Der Mythos der „Google Generation“ » Von digitalen Analphabeten in den Universitäten | Werkstattnotiz LXXXI

SucheWieviele Jahre ist es her, daß das einstige Tenniswunderkind Boris Becker in einem Werbespot strahlend verkündete: „Ich bin drin!“? Es war – das vorweg – 1999 als der rotblonde Nationalheld für einen amerikanischen Internetkonzern als Werbefigur agierte.

Doch seitdem sind die technischen Zugangsbarrieren, um ins weltweite Datennetz einzutauchen, immer niedriger geworden. Das Internet ist – zumindest in den Industrienationen – ein überall verfügbares Jedermann-Medium. Die Selbstverständlichkeit mit der heute das Internet von Angehörigen aller Altersschichten genutzt wird, ist beeindruckend. Und für die Jugendlichen gehören E-Mail, Web 2.0 und Google zum ganz gewöhnlichen Medieninventar, oder?

Gnade der späten Geburt?: „digital natives“

Jedenfalls klingt die These durchaus plausibel, daß es sich bei der Generation der heutigen Schüler und Studenten um „digital natives“ handelt.1 Um jene glückliche Generation also, die sich den Umgang mit den neuen Web-Technologien nicht mühsam aneignen mußte, sondern für die E-Mail, MySpace und die Bestellung bei Amazon zur selbstverständlichen Sozialisation gehört.

Das Problem ist nur: die These von der „Generation Google“ ist empirisch keineswegs haltbar. Wie eine hochinteressante britische Studie zeigt, ist es eben nicht so, daß heutige Jugendliche (oder auch Studenten) in der digitalen Welt vollkommen souverän agierten.2

Die Internetkompetenz von Jugendlichen und Studenten ist deutlich geringer als man denkt. Und: ihre Eltern holen auf!

Im Gegenteil: ca. 20% der heute 18-24jährigen sind sogar vollkommen desinteressiert am Internet und können als „digitale Dissidenten“ bezeichnet werden. Die Fertigkeit im Umgang mit den digitalen Medien („digital literacy“) bewegt sich auf einem deutlich geringeren Level, als man gemeinhin vermutet. Und: die ältere Generation holt stark auf.

Die Studie, die im Auftrag und unter Regie der British Library durchgeführt wurde, hält noch weitere spannende Erkenntnisse parat. Und sie sorgt für reichlich Desillusion, was die Internet-Kompetenz von Schülern und Studenten angeht.

Einige der Mythen über die „Google Generation“:

1. Jugendliche sind kompetenter im Umgang mit dem Internet („Digital literacy“)

Nur teilweise richtig. Nur rund ein Drittel der 18-24jährigen weist gute Anwendungsfertigkeiten auf. Der Rest ist mit komplexen Webanwendungen überfordert und bevorzugt sehr einfache Applikationen oder läßt es ganz bleiben. Die Generation 40+ holt rasant auf.

2. Jugendliche eignen sich neue (Internet-/IT-)Kenntnisse selbstständig an

Mythos. Jugendliche lernen nicht schneller und nicht anders als ihre Eltern.3

3. Jugendliche und Studenten sind Recherche-Experten („Information literacy“)

Mythos. Bei der Informationsbeschaffung im Web und selbst bei der Recherche über Suchmaschinen bewegen sich die Kenntnisse auf einem äußerst niedrigen, ich finde: traurigen Level. Die Kompetenzwerte hinken noch hinter der „Digital literacy“ (Punkt 1) zurück.

4. Jugendliche bevorzugen Info-Häppchen, längere Texte sind nicht interessant

Ebenso ein Mythos. Studien zeigen, daß über alle Altersschichten hinweg der Trend hin zur Bevorzugung von etwas kürzeren Informationseinheiten geht. Ebenso werden Texte, die durch visuelle Informationen angereichert sind, präferiert. Aber dies gilt auch für ältere Nutzer.

Leider konnten die Autoren einen anderen „Mythos“ nicht entkräften. Denjenigen der „Copy&Paste-Generation“ – hier zeigten die Trends recht eindeutig, daß Plagiate immer stärker vorkommen und in Schule und Universität die Kopie fremder Inhalte zur Regel werde.

Ernüchternde Ergebnisse

Die Ergebnisse der Studie, die im Januar veröffentlicht wurde, sind jedenfalls ernüchternd. Es wird deutlich, daß die bloße Tatsache, daß sich Studenten zu Hundertausenden bei StudiVZ oder MySpace tummeln, keineswegs zur kurzschlüssigen Annahme führen darf, Studenten verfügten folglich auch über entsprechende Internet- bzw. Medienkompetenzen.

Die Mediennutzungsgewohnheiten haben sich zwar verändert, aber die Kompetenz, das Web sinnvoll, etwa für wissenschaftliche Recherchen, zu nutzen, ist weitgehend unterentwickelt. Insofern wundere ich mich auch gar nicht weiter, wenn etwa Dorin Popa folgendes berichtet:

„Nun war ich gestern mittag mit drei Mädels (21, 25, 27) verabredet, die gerade ihr Diplom abschließen und übernächste Woche ein Assessment Center durchmachen müssen. Keine einzige von ihnen war auf die Idee gekommen, im Internet danach zu googeln, was sie da erwarten könnte und wie man sich am besten auf so einen Einstellungstest vorbereite.“

Wer bringt den Studenten endlich bei, daß man das Internet wirklich sinnvoll durchforsten und durchstöbern kann? Zu glauben, die Studenten in den Seminaren brächten all die Kenntnisse mit, um selbstständig in den Webarchiven zu recherchieren, wäre jedenfalls hoffnungslos naiv.



  1. Manchmal wird auch der Begriff „Net-Generation“ verwandt. Meint aber dasselbe. []
  2. Heute schreibt Andrian Kreye in der SZ zum selben Thema und verweist auf eine Studie der Uni Sheffield. Mehr Details nennt er nicht. Ich bin aber recht sicher, daß Kreye die Studie (s. Link) als Vorlage diente. []
  3. Das ist zugegeben ein erstaunlicher Befund, aber man sollte sich durch die eigenen Erfahrungen eben nicht täuschen lassen. []

13 Gedanken zu „Der Mythos der „Google Generation“ » Von digitalen Analphabeten in den Universitäten | Werkstattnotiz LXXXI“

  1. Ganz davon zu schweigen, daß nicht alle jungen Leute studieren… Und selbst, wenn sie vielleicht einen Account bei den Lokalisten oder eine Email-Adresse bei GMX haben, nutzen sie das kaum, sondern sind überwiegend jede Statistik beschönigende Karteileichen.

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  2. Aus meiner Erfahrung kann ich diese Ergebnisse (in meinem begrenzten Umfeld) bestätigen. Unter den Kommilitonen teilt es sich tatsächlich in zwei bzw. drei Gruppen auf:

    – Internetverweigerung, soweit möglich. Dabei sind Emails schon das höchste der Gefühle, sofern überhaupt ein PC vorhanden ist.
    – Internet, weil es nicht anders geht. Hier wird das nur genutzt, weil seitens der Hochschule das einfach nötig ist (Prüfungsanmeldungen, Stundenplan, Skripte. Emails werden fast täglich gelesen.
    – Internet“profis“. I-Net stellt einen täglichen Partner bei allen möglichen Dingen dar. Emails werden mehrfach täglich gelesen und beantwortet.

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  3. @Dorin:

    Ja, das habe ich stillschweigend vorausgesetzt, daß man vermutlich unter Studenten noch die höchste Webkompetenz antrifft.

    Und zum souveränen Umgang mit dem Internet gehörten ja eben neben den Recherchefähigkeiten auch Fähigkeiten wie Quellenkritik oder der bewußte Umgang mit privaten Daten. Aber wenn man sich in dem Zshg. die einschlägigen Social Networks ansieht, so bestünde hier ebenfalls dringend Nachhilfebedarf.

    Sollen wir Kurse anbieten? In 2×5 Stunden zum Web2.0-Führerschein? Wie manövriere ich sicher und effektiv im Netz? ;-)

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  4. Ich bin selbst Student und vermutlich wenig repräsentativ. Suchmaschinen und andere Online-Resourcen sind mir vertraut. Aber ich kenne auch Leute, die aus recht untechnischen Studienfächern kommen und gerne das Netz bemühen. Da liegt dann meistens ein Wissensdurst dahinter. Man sagt mir dann immer wieder, es sei einfach unglaublich praktisch, so schnell an Informationen zu kommen. Dabei handelt es sich sowohl um studienrelevante Inhalte als auch um private Interessen. Es wäre spannend, mal zu untersuchen, in wie weit die WWW-abstinenten Studenten vielleicht generell eher Wissen passiv konsumieren, das ihnen vorgelegt wird, anstatt sich selbstständig und gierig am Wissen zu bedienen.
    Dass letzteres jeder Student tun sollte, halte ich für einen Mythos. Und durch Bachelor/Master (ich selbst studiere in diesem System) hat man nicht unbedingt noch die Muse, abseits des vorgegebenen Pfades Bibliotheken und Online-Resourcen umzugraben.
    Was das Lernen von Internetkompetenz angeht: Man lernt doch immer am ehesten das, was einen interessiert. Wenn einen die Informationsbeschaffung nicht interessiert, dann macht man sich freiwillig auch keine Mühe.
    Das mit dem Wissensdurst müßte wirklich mal näher betrachten. Nicht mein Fachgebiet, leider. ;-)

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  5. Digital Natives sind für mich (und ich glaube auch für John Palfrey) die Jugendlichen, die wirklich mit den neuen Medien aufgewachsen sind und in deren Verhalten die Grenzen zwischen Produktion und Nutzung von Inhalten verwischen.

    Wer sein StudiVZ-Profil mit Daten füttert, nutzt ein Social Network, ebenso wie ein Kunde der Sparkasse einen entsprechenden Kontodienst nutzt. In dieser Hinsicht ist es gar nicht überraschend, dass sich die Altersgruppe der heutigen Studenten nicht von ihren Eltern unterscheidet, da es sich bei beiden Gruppen nicht um Digital Natives handelt.

    Um zu verstehen, was damit gemeint sein könnte, ist es am anschaulichsten sich vorzustellen, wie Kinder Sprachen lernen. Ein Kind das zweisprachig aufwächst, muss sich von Anfang an in zwei Welten zurechtfinden und wechselt im Idealfall mühelos zwischen „den Welten“.

    Wie wir alle wissen, kann dieser zwangsweise ambitionierte Ansatz aber auch in die Hose gehen und am Ende ein großes Gebrabbel stehen. Wie können Eltern zwischen Mitte zwanzig und Ende fünfzig aber das an ihre Kinder weitergeben, was sie selber nicht beherrschen oder verstehen?

    Leider gibt es darauf keine klare Antwort, aber es gibt die Möglichkeit ein besseres Lernklima in der Schule und zu Hause zu schaffen. Vielleicht sollte man deutschen Schülern und Lehrerns auch Linux-PCs in die Hand drücken. Was nicht heißen soll, das so jedes Problem zu lösen wäre. Immerhin könnten sich Eltern aber nicht mehr einfach auf die Netnanny herausreden und Schüler den Computer nicht mehr so leicht wie bislang zweckentfremden. Ganz zu schweigen von dem Effekt auf die technisch schlummernde Lehrerschaft..

    In jedem Falle würden wir technisch kompetentere Studenten bekommen.

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  6. Einen Computer anmachen zu können, etwas StudiVZ hier und ein bischen Second Life dort reicht nun einmal nicht aus, um von Informationskompetenz reden zu können. Die bedingt nicht nur, dass sich effektive Methoden der Webrecherche aneignet (Boole’sche Operatoren, Suchbäume usw.) werden sondern auch, dass Nutzer in der Lage sind, dass Gefundene einschätzen zu können. Auch wenn Digital Natives weniger Berührungsängste zum Web haben und was den prinzipiellen Umgang damit schneller sind, so frage ich mich, ob dieser Vorsprung bei der Einschätzung und kompetenten Verwertung des Wissens wieder verloren geht?

    Gut, dass es zu dazu eine neue Studie gibt.

    Die erste mir bekannte Studie, die die Informationskompetenz von Studierenden untersuchte ist von 2001. Online gibt es sie noch unter http://stefi.de/.

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  7. Eine sehr interessante Studie. Ich studiere leider Informatik und kenne nur Studenten für die das Internet möglicherweise mehr bedeutet als ihre Freunde oder Familie. Erschreckend die Erkenntnis, dass viele Studenten das Medium gar nicht oder wenig nutzen. Vor allem Studenten sollten die Effizienz des Internets nutzen.

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  8. Eine wirklich interessante Studie. Verwunderlich ist sie aber wenig, denn die Kompetenz in Bezug auf andere Medien dürfte nicht viel besser sein bei vielen. Ist wohl auch ein grundlegendes Problem, denn die Überfülle von Inhalten in Internet, Fernsehen und Zeitung bedarf schon guter Selektionsstrategien; die keiner in die Wiege gelegt bekommt.

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  9. Ich bin einer derjenigen, die das Internet mehr oder weniger täglich nutzen und ich würde mich ohne eine solche Verbindung zur „Außenwelt“ ziemlich „nackt“ fühlen. Aus diesem Grund finde ich es sogar befremdlich, wenn ich auf Menschen treffe, die so gar nichts mit PCs und Internet anfangen können und wollen.

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