Kasperltheater, oder: Wie sich die Firma Callactive für einen Kabarettpreis bewirbt | Werkstattnotiz II

Wer bloggt, lebt gefährlich. Das ist eine der Lehren, die man aus den Entwicklungen der letzten Tage wohl ziehen muß. Gut, wer glaubte, bei der Blogosphäre handle es sich um einen weitgehend rechtsfreien Raum, der war immer schon naiv. Auch für Blogs gelten – und das sollte man nicht als Zumutung empfinden! – Gesetze. Und das Recht auf freie Meinungsäußerung reicht immer – man verzeihe mir hier diesen trivialen Hinweis – nur soweit, bis andere, höherstehende Rechte berührt oder in Mitleidenschaft gezogen sind. Wer böswillig andere (gleichviel ob natürliche oder juristische) Personen diffamiert, hat die Folgen für sein Tun zu tragen. Mitleid wäre hier falsch verstandene Bloggersolidarität.1

Was neuerdings aber wieder hinsichtlich des Abmahnwesens abläuft, eignet sich nur noch als Steilvorlage für ein Kabarettprogramm. In einer der letzten Querverweissammlungen hatte ich bereits den Fall von Stefan Niggemeier erwähnt, der sich u.a. als Kritiker vermeintlich unlauterer Praktiken verschiedener Rätsel-Anruf-Gewinn-Sender positioniert hat. Niggemeier hat zwar erst unlängst vor dem Landgericht Hamburg zähneknirschend klein beigegeben, als er seinen Widerspruch gegen eine Einstweilige Verfügung in letzter Minute zurückzog, der aktuelle Fall ist aber nochmals etwas anders gelagert.2

Am vergangenen Sonntag aber [um genau zu sein um 3:37Uhr] hatte ein Kommentator in Stefans Blog offenbar eine kritische Bemerkung an die Adresse der in der Kritik stehenden Firma "Callactive" geschrieben. Wie Niggemeier selbst berichtet, hatte er am Sonntagvormittag um 11:06 Uhr diesen Kommentar sofort gelöscht. Dennoch flatterte ihm eine erneute Abmahnung ins Haus. Es sei – so die Begründung – nicht ausgeschlossen, daß irgendjemand in Zukunft diesen diffamierenden Kommentar wiederhole.

Hier ist nicht der Ort, um darüber zu diskutieren, ob diese Begründung einer prophylaktischen Gefahrenabwehr juristisch stichhaltig ist. Spannend wurde es gestern, als sich just die Firma, die sich per Abmahnung gegen diesen Kommentar zur Wehr setzte – und es eben keinesfalls dulden wollte, daß dieser Kommentar nochmals irgendwo öffentlich nachzulesen sein sollte! – , in verschiedenen Blogs selbst zu Wort meldete. Und, man lese und staune: die Firma Callactive setzte genau die inkriminierte Passage, die sie wenige Tage zuvor beanstandet hatte, selbst in die Kommentare. Muß man das verstehen?

Der Spreeblick hat dieses mehr als seltsame Gebaren nochmals pointiert zusammengefaßt. Und an vielen Stellen [etwa hier, hier, hier, hier, hier und auch im Lawblog und bei Robert Basic] wird der Fall auch eingehend kommentiert und diskutiert. Weswegen ich auch nochmals darauf Bezug nehme? Ich habe einen kleinen privaten Verdacht, weswegen Callactive nun zu solch skurril anmutenden Manövern greift: Kann es sein, daß die Geschäfte der Firma nicht so wie gewünscht laufen? Kann es vielleicht sein, daß es weit weniger naive, geldgeile Menschen gibt, die sich von den Hütchenspielerinnen Moderatorinnen der besagten Trivialshows einlullen lassen, als gedacht und für den Geschäftserfolg notwendig?

Dann wäre es ja einzusehen, weswegen wenigstens der Geschäftsführer Stephan Mayerbacher sich schonmal probeweise warmläuft und versucht, sich als Komiker zu betätigen. Irgendwo im Freitagabendprogramm bei den Privaten wird schon in einer seichten Comedyshow ein Plätzchen für mich sein, so mag er sich denken. Insgesamt – wenn man seine Einlassungen in verschiedenen Blogs betrachtet – ist ihm das schon ganz gut gelungen. Für einen gestandenen Satire- oder Kabarettpreis3 reicht es noch nicht. Also fleißig üben, Herr Mayerbacher! Das wird schon!

Wenn er freilich hier mitliest und diesen Verdacht weit von sich weist, dann würde man – wie ich anderswo bereits angemerkt habe – fast den Eindruck gewinnen, als sei der Firma Callactive nicht nur ein vernünftiger Medienrechtsanwalt zu wünschen, sondern gleichzeitig ein Therapeut. Dissoziative Persönlichkeitsstörung hieße sowas möglicherweise in der Fachterminologie.
 


 

Kleine ergänzende Information:

In vielen Blogbeiträgen und Kommentaren wird recht pauschal auf die angeblich "gefährdete Meinungsfreiheit" hingewiesen (etwa hier oder hier) oder gar behauptet, die Meinungsfreiheit sei per se quasi suspendiert. Hier möchte ich zu bedenken geben, daß es zwar leider viele unerfreuliche Abmahnfälle gibt und gab und die Urteile mancher Gerichte manchmal etwas fragwürdig anmuten, allerdings ist die Rechtssprechung in dieser Hinsicht nicht einheitlich.

Damit will ich sagen, daß man in der Bundesrepublik nicht davon sprechen kann, daß man als Journalist oder Blogger durch die Gerichte generell mundtot gemacht wird. Ein Problem ist freilich, daß die Praxis des sog. "fliegenden Gerichsstandes" dem Abmahner erlaubt, sich ein Gericht auszusuchen, von dem er sich erwartet, daß es seinen Vorstellungen gemäß urteilt. Aber nicht immer liegen die Abmahner mit ihrer Einschätzung richtig. Außerdem steht es jedem Unterlegenen frei, die nächste Instanz zu bemühen. Wobei mir bewußt ist, daß dies mit weiteren hohen Kosten verknüpft ist. Und ich kann versichern, daß ich selbst weiß, was das bedeutet.

Nochmals konkret zum Fall der Haftung für Kommentare, die beanstandet werden und für die der Blogbetreiber möglicherweise verantwortlich gemacht wird: das vermeintlich gesunde juristische Laienempfinden geht davon aus, daß ich als Blogger nur für meine eigenen Beiträge und bestenfalls für Kommentare, von denen ich mich nicht in angemessener Frist distanziere bzw. wenn ich meiner Löschpflicht nicht nachkomme, haftbar bin.

Aber tatsächlich gibt es hier mindestens zwei einschlägige und miteinander konfligierende Urteile:

Das Oberlandesgericht Hamburg hat generell entschieden, daß eine Haftung erst ab dem Zeitpunkt der Kenntniserlangung von rechtswidrigen Inhalten greift. Allerdings wird dies in solchen Fällen  eingeschränkt, wenn durch den Inhalt des Blogbeitrags/Postings provokante Kommentare zu erwarten sind. Hier hat der Blog- bzw. Forumsbetreiber eine besondere Sorgfaltspflicht. Hier wäre dann eine sog. Mitstörerhaftung gegeben.

 

OLG Hamburg, Urteil v. 22.08.2006 – Az.: 7 U 50/06 Haftung für Foren-Einträge (Heise-Urteil)

1. Ein Forums-Betreiber haftet grundsätzlich erst ab Kenntniserlangung für fremde, rechtswidrige Einträge.

2. Sind in der Vergangenheit rechtswidrige Postings aufgetaucht, reicht es nicht aus, lediglich die neuen, rechtswidrigen Postings zu löschen. Vielmehr muss der Forums-Betreiber in einem solchen Fall dafür Sorge tragen, dass zukünftige, rechtswdrige Postings unterbleiben. Eine solche Pflicht obliegt einen Forums-Betreiber um so mehr, wenn er seine Webseiten gewerblich betreibt.

3. Kommt ein Forums-Betreiber dieser Pflicht nicht nach, haftet er als Mitstörer auf Unterlassung.

 

Davon abweichend urteilte freilich das Landgericht Hamburg und mutet dem Blogbetreiber deutlich mehr Pflichten zu – zu hoffen ist, daß diese (in meinen Augen weltfremde Ansicht), durch höchstrichterliche Rechtsprechung alsbald korrigiert wird; die Fa. Callactive dürfte sich u.a. auf solche Einschätzungen berufen:

 

LG Hamburg, Urteil v. 27.04.2007 – Az.: 324 O 600/06 Haftung für Foren-Einträge

1. Ein Forums-Betreiber haftet für "eigene Informationen" (…) "Eigene Informationen" im Sinne dieser Vorschrift sind nicht nur "eigene Behauptungen" im Sinne der für Widerruf oder Richtigstellung entwickelten Grundsätze, sondern vielmehr auch Informationen, für deren Verbreitung der Betreiber einer Internetseite seinen eigenen Internetauftritt zur Verfügung stellt, mag auch nicht er selbst, sondern eine dritte Person die konkrete Information eingestellt haben.

Wer sich also mit den juristischen Details auseinandersetzen will, möge sich die verlinkten Urteile durchlesen.  

Und hier das von DonAlphonso empfohlene Buch:

 

[Update: 16.8.2007 | 18:15 Uhr]

Soeben entdecke ich einen ausführlichen Beitrag des Rechtsanwalts Thomas Schwenke zur selben Thematik. Schwenke weist auf die oben angeführten Urteile hin und listet noch weitere Rechtspositionen auf. Sein Fazit lautet ernüchternd, aber nicht ganz hoffnungslos: derzeit kann sich sowohl der – u.U. dreiste – Abmahner, als auch der – u.U. naive – Blogbetreiber auf gute Argumente stützen. Wer am Ende die Oberhand behält, ist von vielen anderen Faktoren abhängig.

Und Schwenke schließt mit der juristischen Weisheit: "Vor Gericht und auf hoher See ist man in Gottes Hand". Na dann bin ich ja beruhigt…

Nachzulesen hier: Upload-Magazin, Haftung für Blogkommentare, 16.8.2007 

 


Weiterführende Literaturtipps:

Internet- und Medienrecht

Weblogs und Web 2.0

 


 

 

  1. Darauf verweist zu Recht auch DonAlphonso, der immerhin noch einen Literaturtipp parat hat. []
  2. Der vorstehende Satz wurde nach dem korrigierenden Hinweis von Stefan Niggemeier geändert. Hier hatte ich in der Erinnerung vorschnell zwei unterschiedliche Streitfälle in einen Topf geworfen. []
  3. Mein Favorit ist ja fast immer noch das "Passauer Scharfrichterbeil". []

8 Gedanken zu „Kasperltheater, oder: Wie sich die Firma Callactive für einen Kabarettpreis bewirbt | Werkstattnotiz II“

  1. Ich habe die Moderatorinnen nicht mit einem „unschönen Synonym“ bezeichnet und habe auch keine Niederlage vor dem Landgericht Hamburg hinnehmen müssen, weil ich Moderatorinnen mit einem „unschönen Synonym“ bezeichnet hätte.

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  2. Stimmt. Mea culpa. Ich habe in der Eile zwei verschiedene Fälle zusammengeworfen. Die Verwendung des „unschönen Synonyms“ geht natürlich auf Marc Doehler zurück [Details hier]. Und dieser mußte sich vor 3 Wochen auch in Hamburg geschlagen geben.

    Bei Stefan, Danke für den schnellen Hinweis und nochmals die Bitte um Entschuldigung, ging es vor gut 2 Wochen ebenfalls um strittige Kommentare in seinem Blog. Er hatte in dieser Sache eine Einstweilige Verfügung erhalten, zunächst Widerspruch eingelegt, diesen dann aber doch wieder bei der mündlichen Verhandlung vor dem LG Hamburg zurückgezogen.

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  3. Der Ruf nach einem vernünftigen Medienrechtsanwalt ist mir auch schon in den Sinn gekommen. Auf mich wirkt das langsam wie ein juristischer Amoklauf von jemandem, der aufgrund gewonnener Prozesse und erfolgreicher Abmahnungen vor Kraft kaum laufen kann, sich für unbesiegbar hält und nun auf alles schießt, was sich bewegt. Das er sich dabei in seine eigenen, bisherigen Argumenten verheddert wird ihm hoffentlich zum Verhängnis!

    (Disclaimer: Ich hoffe dieser Kommentar war ausreichend relativ, theoretisch und im Ungefähren, um nicht justiziabel zu sein. Ansonsten erbitte ich eine Löschung.)

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  4. Mein Mitleid mit Stefan Niggemeier und den sonstigen Bloggern hält sich in Grenzen. Das deshalb, weil ich aus den Kreisen der Überwachungsgegner bislang immer nur Jubelbekundungen über Einschränkungen der Meinungsfreiheit gegen rechts gehört habe. Wer sich über gesetzliche Meinungseinschränkungen begeistert und nicht kapiert, daß auch die eigene ” gute” Meinung nur gedeihen kann in einem Klima der positiven Bewertung der Meinungsfreudigkeit , der bekommt für soviel Ignoranz nun vom Kapitalismus die Quittung. Eine Kultur der Meinungsfreudigkeit gab es in Deutschland noch nie(politisch Lied, garstig Lied), und Stefan Niggemeier ist mir noch nie als Befürworter der vollen Meinungsfreiheit aufgefallen

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  5. @Thomas Kurbjuhn:

    Um eines klarzustellen: ich teile ihre offensichtliche Schadenfreude, daß hier Stefan Niggemeier stellvertretend für andere Blogger nun juristische Schwierigkeiten hat, nicht.

    Ich bin etwas irritiert darüber, daß Sie sich offenbar veranlaßt sehen, denselben Blogkommentar per Copy&Paste in dutzenden Blogs einzustellen. Ich ahne aber, daß Sie sich in ihrer Meinung nur bestätigt fühlen würden, sollte ich ihren Beitrag löschen. Sie sehen also: mein Blog hält eine Diskussion (solange es sich um keine rechtsverletztenden oder diffamierenden Inhalte handelt) und auch Positionen, die meinem eigenen Standpunkt zuwiderlaufen, durchaus aus.

    Allen Liebhabern einer pluralen und freiheitlichen Diskussionskultur empfehle ich freilich, sich ggf. selbst ein Bild von Herrn Kurbjuhns Anschauungen zu machen. Zumindest dieser Blog bzw. die Tatsache, daß sein Beitrag weiterhin lesbar ist, sollte Herrn Kurbjuhn allerdings zu denken geben, ob sein Vorurteil, daß (Zitat aus seiner Website) die Diskussionskultur „zugunsten einer volksfernen und fremden Interessen dienenden politischen Korrektheit [aufgegeben]“ wurde, tatsächlich haltbar ist.

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