Wege aus der Nische: Was man von erfolgreichen Wissenschaftsblogs lernen kann

Anmerkungen zur Tagung “Weblogs in den Geisteswissenschaften”

Eine Taufe, fromme Wünsche und anregende Beispiele wissenschaftlichen Bloggens. Das war so in etwa das Programm der Tagung “Weblogs in den Geisteswissenschaften”, die am vergangenen Freitag in München stattgefunden hat. Ich selbst habe in einem Vortrag skizziert, wodurch sich außergewöhnlich erfolgreiche und reichweitenstarke Wissenschaftsblogs auszeichnen. Es kann ja an einem solchen Tag nicht schaden, wenn man weiß, wie das Kraftfutter für den zarten Sproß angerührt werden könnte.

Doch bevor ich meine zentralen Thesen zu den Geheimnissen des Wissenschaftsbloggens hier nochmal anschlage, noch ein kurzer Rückblick auf die Tagung selbst. Anlaß für die Veranstaltung, zu der mehr als 100 Besucher in die Bayerische Akademie der Wissenschaften gekommen waren, war Zuwachs für die bislang recht kleine Familie der Wissenschaftsblogportale (die bestand ja bis dato lediglich aus Scienceblogs und SciLogs). Nun also sind es immerhin drei!1

Es wurde allerhöchste Zeit! Nun ist zu hoffen, daß de.hypotheses.org neue Impulse für die Wissenschaftsblogosphäre gibt.

Auch wenn man sich fragen muß, weshalb es so lange gedauert hat, bis ein wissenschaftliches Blogportal mit dezidiert geisteswissenschaftlicher Ausrichtung gegründet wurde, ist es doch eine erfreuliche Tatsache: mit de.hypotheses.org ist nun eine Blogplattform gestartet, die hoffentlich neue Impulse setzt und weiter am Abbau der Zurückhaltung gegenüber unkonventionellen Formen der Wissenschaftskommunikation in den oftmals etwas behäbigen Humanities arbeitet.

“Historische” Momente: Ein Blogportal wird getauft

Insofern war es wirklich ein quasi historischer Moment, als Mareike König vom Deutschen Historischen Institut in Paris um die Mittagszeit das Portal offiziell startete. Ich kann nur die Daumen drücken und viel Erfolg dabei wünschen, das in Frankreich offenbar sehr gut funktionierende Portal nun auch in Deutschland mit Blogleben zu füllen. Das Team um Mareike König und ihre Redaktion hat jedenfalls gut vorgearbeitet, Allianzen geschmiedet und um Unterstützung geworben. Im Frühjahr 2013 darf man sicherlich das erste Zwischenfazit ziehen und nachschauen, was sich bei de.hypotheses.org getan hat.2

Am Vormittag hatte es bereits Vorträge von Cornelius Puschmann und Melissa Terras gegeben. Cornelius zeigte kurz, welche unterschiedlichen Spielarten wissenschaftlicher Blogs es überhaupt gibt, welche Grundfunktionen sie haben (können) und inwiefern die Blogakzeptanz und -nutzung in Deutschland deutlich hinter anderen Ländern zurückhinkt (hier Cornelius’ Präsentation). Ein guter, sehr wissenschaftlicher Einstieg. Persönlich wurde es dann bei und mit Melissa Terras. Sie schilderte wie sie bloggt, wie sich ihre Blognutzung über die Jahre veränderte, welche Highlights es gab und gibt und welcher Schattenseiten man auch gewahr sein sollte.

Die Monographie ist (in den Geisteswissenschaften) weiter der „Goldstandard“ wissenschaftlicher Publikationen. Mit allen Vor- und Nachteilen.

Ganz ähnlich (nämlich mit dem Fokus auf seine individuelle Blogbiographie) gestaltete Klaus Graf von Archivalia seinen nachmittäglichen Vortrag (nicht ohne auf einen Seitenhieb in meine Richtung zu verzichten, wobei er mich – glaube ich – absichtlich mißverstehen wollte). Den Schlußpunkt setzte mit Peter Haber vom weblog.hist.net dann der Doyen der deutschsprachigen Geschichtswissenschaftsblogger. Peter riskierte einen Blick auf die Zukunft wissenschaftlichen Publizierens, die in seinen Augen eher von hybriden Formen und Formaten geprägt sein wird (Trennschärfe zwischen formellen und informellen Mitteilungen, sowie zwischen fragmentarisch-dynamischen und definierten Publikationen schwindet etc.).

Gleichzeitig verwies Peter Haber (vollkommen zu Recht) auf die Tatsache, daß auch im Jahr 2012 innerhalb der Geisteswissenschaften die Monographie weiterhin der “Goldstandard” wissenschaftlicher Publikationen ist. Reputationsakkumulation läuft darüber, nicht über Blogs. Mögen sie auch noch so engagiert gemacht sein. Daß man in anderen wissenschaftlichen Disziplinen hier schon weiter ist bzw. die Monographie niemals diese dominante Stellung innehatte, darüber wurde in München nicht diskutiert.

Wege aus der Nische: Was man von erfolgreichen Wissenschaftsblogs lernen kann

Wissenschaftliche Blogs: Wege aus der Nische

Nun aber zu meinem Vortrag. Ich habe den Fokus explizit auf richtig erfolgreiche Wissenschaftsblogs gelegt (wobei ich hier “Erfolg” mit der Reichweite gleichsetze, was keineswegs zwingend ist)3 und habe versucht darzustellen, was diese Wissenschaftsblogs von anderen unterscheidet.4 Klar ist, daß man dieses Etikett mit der Aufschrift “Erfolg” hinterfragen kann (und sollte). Es gibt dutzende weitere Kriterien, an denen man Wissenschaftsblogs messen kann. Und doch – davon bin ich überzeugt – ist es sinnvoll, wenn man sich vergegenwärtigt, wie sozusagen in der Championsleague gebloggt wird. Nachdem man verstanden hat, nach welchen Spiel- bzw. Blogregeln dort gearbeitet wird, kann man sich immer noch entscheiden andere Wege zu gehen. Aber kurz der Reihe nach…

Die Nische und die Bedeutung von Knoten

Die erste Hälfte meines Vortragstitels lautete ja “Wege aus der Nische”. Insofern wollte ich diese Behauptung durchaus kurz belegen bzw. wenigstens illustrieren. Mein Ausgangspunkt: Welche Blogs und welche Disziplinen fallen auf, wenn man sich mit der deutschsprachigen Wissenschaftsblogosphäre beschäftigt? Wer wird wahrgenommen und wer fristet (noch) ein Schattendasein?

Die bestehenden Blogportale lenken auch die Aufmerksamkeit. Sie sind Massepunkt der Wissenschaftsblogosphäre.

Bislang dominieren die Naturwissenschaftler das Geschehen. Astronomen, Biologen, Chemiker oder Physiker. Diesem Eindruck wird man kaum widersprechen können. Egal ob man Google bemüht oder ob man auf anderen Pfaden unterwegs ist. Denn die Pfade führen einen unweigerlich auf die großen Portale Scienceblogs und Scilogs. Das sind die zentralen Inseln im Meer der Wissenschaftsblogosphäre. Zwar ist es theoretisch gleichgültig wo ein Blog seine Heimat hat. Praktisch macht es aber doch einen Unterschied. Mehr Sichtbarkeit, mehr Leser, mehr Feedback, mehr Resonanz und somit mehr Spaß gibt’s auf diesen Portalen. Das sind die Knoten im Netz.

Und wenn wir mehr Wissenschaftsblogs wollen, eine lebendigere Kultur und mehr Raum für solche Formate, dann brauchen wir neue Knoten. So einfach ist das. Und deshalb ist es auch klar, daß de.hypotheses.org eine Bereicherung darstellt.

Rezepte für erfolgreiches Wissenschaftsbloggen

Nun ist es ja so, daß wir immerhin das Jahr 2012 schreiben und wissenschaftliche Blogs keine so schrecklich neue Erfindung sind. Es gibt Erfahrungswerte und das kann man dann auch mal zu Kenntnis nehmen, finde ich. In München habe ich die lukullische Metapher noch ein wenig mehr strapaziert, denn bei Blogs verhält es sich auch nicht so schrecklich anders wie am Herd: wer vernünftig kochen lernen will, der sollte den richtig guten (und eben erfolgreichen) Leuten über die Schulter schauen. Man muß sich später ja selbst keine Michelinsterne erkochen, aber es ist sicher kein Fehler zu wissen, wie die (Koch-)Stars arbeiten.

Und bei Blogs? Genau: auch hier kann man sich bei den Platzhirschen was abschauen. Dazu gleich mehr. Wichtig ist aber freilich zunächst ein Grundverständnis für das Format. Denn nur weil ein Blog zu einem Großteil auch aus Texten besteht, heißt das nicht automatisch, daß beliebige (Fach-)Texte auch blogkompatibel wären.

Denn – und man sollte sich das immer wieder bewußt machen – ein (Wissenschafts-)Blog ist vor allem ein Blog. Und das ist keineswegs so trivial, wie es auf den ersten Blick erscheint. Denn diese Feststellung impliziert folgendes:

Ein Wissenschaftsblog ist keine (!) Online-Sammlung wissenschaftlicher Essays!

Wissenschaftliche Texte, die für andere Zwecke (Fachjournals, Förderanträge, Ausstellungen, Pressemitteilungen, Fachbücher etc.) geschrieben wurden, sind für ein Blogs fast immer ungeeignet. Denn idealerweise5 ist ein Wissenschaftsblog das Online-Notizbuch eines Forschers (und dieses Notizbuch kann als Schmierzettel, als Experimentierfeld, als öffentlicher Meckerkasten etc. genutzt werden). Und die Interessen, Expertise, (Be-)Urteilungen und Persönlichkeit des Blogautors machen das Blog zu seinem (!) Blog.

Insofern lässt sich zusammenfassen: Ein Wissenschaftsblog ist dann ein gutes Wissenschaftsblog, wenn der Blogger seinen individuellen Mix aus fachbezogenen Notizen und persönlicher Note gefunden hat.

Und als weitere Definition möchte ich vorschlagen:

Ein (Wissenschafts-)Blog, ist die (einzige?) wissenschaftliche Textgattung, in der man “ich” schreiben darf – und das Geheimnis erfolgreicher Wissenschaftsblogs besteht darin, davon Gebrauch zu machen!

Zutaten (extrem) erfolgreicher Wissenschaftsblogs

Wenn man das einmal verstanden hat. dann ist das auf alle Fälle die halbe Miete. Wobei ich in München dann noch weiter gegangen bin und einfach an einem Beispiel illustrieren wollte, welche zentralen Merkmale ein richtig gut funktionierendes Wissenschaftsblog ausmachen.

Wissenschaftsbloggen heißt: mehr Persönlichkeit und Individualität wagen.

Und richtig gut funktioniert eben “Astrodicticum Simplex” von Florian Freistetter. Und deshalb habe ich Florians Blog hergenommen, um zu zeigen, was also die Grundzutaten sind. Es sind nach meinen Erfahrungen genau drei:

  1. Persönlichkeit (Ein Blogposting ist keine Doktorarbeit und kein Förderantrag. Das Format bietet die Möglichkeit einerseits einen eigenen Stil, andererseits auch ein (persönlich-menschliches) Profil zu entwickeln. Und das sollte man ausnutzen.)
  2. Fleiß/Frequenz (Auch im Bloggeschäft haben die Götter vor den Erfolg den Schweiß gesetzt. Regelmäßige Postings sind dafür wichtig. Da geht es um Leserbindung etc. Und wenn man es schafft mehrmals wöchtlich zu bloggen, dann umso besser.)
  3. Dialog (Es geht um Kommunikation. Nicht als Einbahnstraße, sondern als Dialog. Und zwar auf Augenhöhe. Zwischen Blogautor und anderen (Wissenschafts-)Bloggern. Zwischen Blogautor und den Kommentatoren. Auch ein Wissenschaftsblogger ist nicht unfehlbar.)

Ontologie des Wissenschaftsbloggens

Was zeichnet nun also Blogs aus? Was unterscheidet sie von anderen Formaten und Kanälen?

  1. Blogs sind Ich-Medien. Das heißt: Gute Wissenschaftsblogs sind Wissenschaftlerblogs.
  2. Blogs sind Kommunikations- und Dialogmedien.6 Das heißt: Ein Blogposting ist nicht das Ende, sondern der Anfang einer Diskussion. Blogpostings sind der Einstieg in einen Dialog (der in den Kommentaren geführt wird).

Worauf es mir noch ankommt: Ein Blogposting muss nicht alle Aspekte eines Themas erschöpfend (und abschließend) behandeln. In München war einige Male von der “Kultur des Fragments” die Rede. So ist es. Wissenschaftsblogs bieten den Rahmen dafür.

Und daß wissenschaftliche Blogs in ganz unterschiedlichen Spielarten daherkommen können und sollen, steht sowieso außer Frage. Ich habe an andere Stelle so oft betont, daß Blogs den Raum für Experimente bieten und das sehe ich auch heute kein bißchen anders. Und ich habe auch in München explizit betont, daß ein Blog auch mit 15 regelmäßigen Lesern “erfolgreich” sein kann bzw. legitim7 sein kann, wenn es die “richtigen” Leser sind.

Ich wünsche de.hypotheses.org jedenfalls nun erstmal einen guten Start. Und viele Blogs. Und zwar solche mit vielen und mit wenigen Lesern.

 

Hier meine Präsentation (unten gibt es noch Lese- und Linktipps):

  1. Wobei ich unbedingt der Meinung bin, daß die Zahl solcher Aggregationsplattformen deutlich wachsen sollte! []
  2. Viele Dinge sind bei de.hypotheses.org sicher auf einem guten Weg. Womit ich ehrlicherweise ein wenig Probleme habe: die Website selbst ist in meinen Augen verflucht unübersichtlich. Wo finde ich wirklich die vorhandenen Blogs? Kann ich die schnell thematisch eingrenzen? Wie springe ich von Einzelblogs zur (deutschen) Übersichtsseite? Also, wie gesagt, die Navigation ist in meinen Augen deutlich verbesserungswürdig. Ob das umsetzbar ist, wenn man am großen französischen Bruder hängt? []
  3. Auch an dieser Stelle sei nochmals angemerkt: für mich persönlich ist die Reichweite eines Wissenschaftsblogs nur ein Kriterium unter vielen anderen. Ob ein Blog monatlich 500 oder 500.000 Besucher hat, ist mir grundsätzlich gleichgültig. Das alles ist wie so oft eine Frage der investierten Mittel, der Ziele, die sich der Autor gesetzt hat etc. Auch ein “kleines Blog” kann erfolgreich sein – es kommt einfach darauf an, was der Autor für sich als “Erfolg” definiert! []
  4. Meine Fokussierung auf die „erfolgreichen“ Wissenschaftsblogs stieß bei einigen Zuhörern auf Kritik. Möglicherweise habe ich nicht ausreichend verdeutlicht, daß für mich die Zahl der Leser per se kein (!) Qualitätskriterium ist. Prof. François Bry reklamierte mehrmals – ich hoffe, daß ich ihm verdeutlichen konnte, daß ich andere Varianten, die anders motiviert sind, ebenfalls klasse finde. []
  5. Es gibt natürlich Ausnahmen, aber dann muß man sich eben etwas anderes einfallen lassen, wie man die orginäre Blogcharakteristik ausfüllt. []
  6. Ich habe früher auch schon davon geschrieben, daß Blogs Mensch-Verbindungsmaschinen seien. []
  7. Legitimiert i.S. einer Rechtfertigung des investierten Aufwands und des Ertrags. Was ich von meinem Blog “erwarte”, ob es viele Leser sind, ob es anregende Diskussionen sind oder 1x pro Jahr ein inspirierendes Feedback, das ist jedem Blogger selbst überlassen. []

23 Gedanken zu „Wege aus der Nische: Was man von erfolgreichen Wissenschaftsblogs lernen kann“

Schreibe einen Kommentar