Streitfall Klimapolitik » Mahner, Skeptiker und einer, der es wissen muß » Wissenschaftsblogs als Diskursarena

Haben wir uns genug empört? Haben wir nicht ausreichend guten Willen und glaubhafte Zerknirschung bewiesen, als uns vergangenes Jahr Al Gore mit seiner Klimadokumentation "Eine unbequeme Wahrheit" über die Ursachen und Konsequenzen der globalen Erderwärmung aufgeklärt hat? Sollten wir stattdessen nicht zu einer Politik des kühlen Kopfes zurückkehren?

Wollen wir uns wirklich von all den Untergangsszenarien um Treibhauseffekt, Anstieg der Meeresspiegel, Häufung von extremen Wetterereignissen und die nach oben zeigende Kohlendioxidkurve zu überstürzten Handlungen nötigen lassen? Die Klimadebatte – so zeigt der kursorische Blick in die Magazine – geht in eine neue Runde.

Ich will dem äußerst vielschichtigen Konzert der Stimmen (die ernsten Mahner einerseits, die Skeptiker des anthropogenen Klimawandels andererseits) keine weitere Wortmeldung hinzufügen. Ich bin Sozialwissenschaftler und kann mir nicht anmaßen, in der Sache etwas substantielles für die Debatte beizutragen. Das soll heißen, daß ich mir kein Urteil darüber erlauben kann, ob und welche Auswirkungen der Anstieg des CO2-Gehalts in der Atmosphäre hat, ob die Argumentationen des IPCC-Panels plausibel sind oder wo hier Lücken bestehen. Mich interessiert heute lediglich, auf welche Weise und an welchen Orten aktuell über diese Fragen debattiert wird. 

Der vermeintliche Konsens der Klimaforscher steht in der Kritik. Welche Argumente haben die Skeptiker? Wo wird die Diskussion geführt? Spielen auch wissenschaftliche Blogs eine Rolle?

Konsens des UN-Weltklimarats: der Klimawandel hat auch anthropogene Ursachen

Nochmals zur Erinnerung: es gibt den sog. UN-Weltklimarat. Dieses IPCC (Intergovernmental Panel on Climate Change) kann als Sachverständigenrat angesehen werden, der den Forschungsstand der Klimatologen, Ozeanologen und anderer Fachwissenschaftler sichtet, bewertet und schließlich in einem umfassenden Bericht zusammenfasst. Der "Vierte Sachstandsberichts des IPCC" wurde im Lauf des Jahres 2007 publiziert und war schließlich auch Grundlage für die Verhandlungen der Weltklimakonferenz von Bali im Dezember letzten Jahres.

Der viele hundert Seiten umfassende Bericht kommt zum Schluß, daß wir es gegenwärtig mit einer Klimaerwärmung zu tun haben, die maßgeblich auf menschliche Einflüße (Stichwort: fossile Brennstoffe, Kohlendioxidemissionen) zurückzuführen sind. Was letztes Jahr in der öffentlichen Diskussion noch für besorgte Mienen gesorgt hatte, steht neuerdings wieder in der Kritik: lassen wir uns die drohende Klimakatastrophe am Ende nur von einigen Hysterikern einreden?

Auch die Gegenpositionen kommen wissenschaftlich daher…

Vor 10 Tagen fand in New York allerdings ein Kongreß statt, der einige Kernthesen des Weltklimaberichts in Frage stellt. Bei genauerem Hinsehen wurde aber deutlich, dass als Referenten nicht nur Fachleute eingeladen waren. Kein Wunder, schließlich wurde die Konferenz vom "Heartland Institute" organisiert, das schon in früheren Jahren durch industriefreundliche Lobbyarbeit aufgefallen ist. Aber die skeptischen Positionen finden auch herzulande immer mehr Resonanz – die Welt schrieb am 11.3.2008 provokant "Klimakatastrophe – alles nur heiße Luft".

Ulli Kulke stellt den Konsens der IPCC-Fachleute dann auch grundsätzlich in Frage: 

"Und inzwischen wird auch immer deutlicher, dass im laufenden Jahrzehnt die globalen Temperaturen im Durchschnitt gar keinen Trend mehr nach oben anzeigen."

Und recht unverblümt schreibt er eine Weltverschwörung der Klimaforscher herbei, der sich nur ein paar aufrechte Geister entgegenstellen – so etwa die Teilnehmer, der jüngst zu Ende gegangenen New Yorker Konferenz:

"Man fühlt sich als neue Nichtregierungsorganisation, auf neudeutsch „Zivilgesellschaft“, die nun gegen den eingefahrenen, offiziellen Klima-Kurs der Regierungen antritt. Ein Anspruch, mit dem die Graswurzelbewegung einst die Umweltpolitik von unten gegen die Ignoranz von oben aufbaute. Jetzt richtet er sich dagegen, dass die im Klimarat versammelten Regierungen in völlig unbegründetem Übereifer die Energieversorgung der Welt, ja die Industriegesellschaft in Frage stellen."

Perfide Taktik der Skeptiker an der Klimaerwärmung: man behauptet eine Weltverschwörung von Wissenschaft und Politik…

Ich lese von der "Ignoranz von oben", vom "völlig unbegründetem Übereifer" der Regierungen und davon, daß viele Thesen des IPCC "maßlos übertrieben" seien und "keiner Empirie" standhielten. Wow! Starker Tobak, oder?

Um ehrlich zu sein, halte ich es für sehr bedenklich, wie hier (in meinen Augen) strategisch motiviert ein bestehender Fachkonsens1 als Alarmismus verunglimpft wird und stattdessen (fast?) alle Fragen als ungeklärt dargestellt werden.2 Spannend ist aber, an welchen Orten über diese neue Argumentationsattacke der Klimaleugner debattiert wird – nämlich in wissenschaftlichen Blogs. Und auch hier gibt es kontroverse Positionen.

Die Reaktionen und Diskussionen in den Blogs

Es war bspw. Ali Arbia in seinem Blog "zoon politikon", der am 7. März die fragwürdige Konferenz in New York ansprach. Und er stellt zutreffend fest:3

"Solche Veranstaltungen hinterlassen den Eindruck einer Kontroverse und das reicht schon, dass viele das Gefühl haben, dass Wissenschaftler offensichtlich selber nicht ‚wirklich wissen‘."
[Zoon Politikon, Hände weg von meiner Realität, 7.3.2008]

Kurz darauf nahm sich Tobias Maier ebenfalls der neu entflammten Debatte an und stöberte in den Quellen der skeptischen Fraktion. Einer der wichtigsten Kritikpunkte der IPCC-Kritiker betrifft offenbar die Frage, ob das Ansteigen des Kohlendioxids überhaupt ursächlich für einen globalen Temperaturanstieg anzusehen ist. Tobias stellt deren These erstmal in den Raum, worauf sich in den Kommentaren lebhafte Diskussionen ergeben; dabei wird durchaus mit wissenschaftlichem Handwerkszeug argumentiert und auch wenn sich dort keine Klimatologen, sondern Biologen, Astronomen und andere Naturwissenschaftler unterhalten, so ist dies dennoch eine Auseinandersetzung auf anspruchsvollem Niveau.

In einem folgenden Artikel ist Tobias noch etwas mutiger und skizziert die Argumentation der skeptischen Außenseiter und macht sie sich teilweise zu eigen:

"Die momentane Konzentration des CO2 in der Erdatmosphäre ist ausreichend, um praktisch alle relevante Wärmestrahlung zu absorbieren. Eine Verdopplung der CO2 Kozentration würde nicht dazu führen, dass sich die gesamte Erdatmosphäre signifikant erwärmt."
[WeiterGen, Weltklimatische Verschwörungstheorie, 13.3.2008]

Für die erweiterte Fachdiskussion sind auch Blogs eine legitime Quelle. Erst Recht, wenn in diesen Blogs renommierte Klimaforscher schreiben…

Überaus spannend sind die Kommentare – denn dort wird sowohl auf konventionelle Studien, aber auch auf Blogs als Quelle rekurriert! Zumindest in dieser erweiterten Fachdiskussion scheinen Blogartikel inzwischen als Bezugspunkt akzeptiert zu sein.

Wobei man fairerweise sagen muß, daß es hauptsächlich die Blogs des renommierten Klimaforschers Stefan Rahmstorf4 sind, die hier genannt werden. Alles zwar keine Quellen, die das Peer-Review-Siegel tragen, aber dennoch für eine solche Diskussion als legitimer Referenzpunkt dienlich sind.

Der Fachmann meldet sich zu Wort

Und Stefan Rahmstorf mischt sich auch selbst wortgewaltig in die Debatte ein. Der oben erwähnte Welt-Artikel von Ulli Kulke, ist ihm verständlicherweise ein Dorn im Auge. Und so schimpft er (wie ich finde zu Recht) auf die süffisante Kritik des Klimawandel-Skeptikers.

"Die Aussage von Kulke ist etwa so clever, als würde man das Kommen des Frühlings anzweifeln, weil es im Verlauf der letzten Woche kühler geworden ist."

Aber Rahmstorf versteht es nicht nur polemisch zu kontern, sondern liefert auch argumentatives Gegenmaterial – auf die These Kulkes: "Die Welttemperaturen in diesem Winter signalisieren im Vergleich zum vorherigen den steilsten Absturz seit Aufzeichnung der Wetterdaten, der Januar war der kälteste seit 15 Jahren.", antwortet Rahmstorf so:

"Der Hauptgrund für diesen „steilen Absturz“ ist aber nicht, dass Januar 2008 so ungewöhnlich kalt war: seine Temperatur lag deutlich über dem langjährigen Mittel und lag nur um Hundertstel unter (also im Rahmen der Messunsicherheit gleichauf mit) dem Januar 2000. Der Grund ist vielmehr, dass 2007 mit weitem Abstand der wärmste Januar seit Beginn der Aufzeichnungen war. Man hätte es auch so formulieren können: inzwischen ist das Klima derart warm, dass selbst „der steilste Absturz seit Aufzeichnung“ keinen richtig kalten Januar mehr bringt."

Der Artikel von Stefan Rahmstorf in seiner "KlimaLounge" bei den Spektrum-Wissenslogs ist eine unbedingte Lesesempfehlung! So kann wissenschaftliches Bloggen im Idealfall aussehen! 

 


 

Links:

Literaturempfehlungen:

 

  1. Wenngleich es auch Klimaforscher gibt, die nicht alle Annahmen des IPCC-Beirats teilen. []
  2. Und der Versuch, sich in tapferer Gallier-Manier als Kämpfer gegen die böse Übermacht der Klimawandelapologeten zu gerieren, ist furchtbar lächerlich. []
  3. Ali Arbia spricht in diesem Beitrag von sich als "Klimaagnostiker" – für mich trifft dasselbe zu. ;-) []
  4. Rahmstorf ist Chef am Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung, Mitautor des IPCC-Klimaberichts und Mitglied des Wissenschaftlichen Beirats der Bundesregierung für „Globale Umweltveränderungen“ (WBGU) []

4 Gedanken zu „Streitfall Klimapolitik » Mahner, Skeptiker und einer, der es wissen muß » Wissenschaftsblogs als Diskursarena“

  1. Wie man ja in den Kommentaren zu Rahmstorfs Beitrag sehen kann, gibt es eine Art verschärftes Godwin’sches Gesetz für Klimadebatten: Wenn Klimaskeptiker an einer Debatte beteiligt sind, ist die Wahrscheinlichkeit eines Nazivergleiches 1.

    Wär das nicht mal ein Thema für nen Soziologen?

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  2. Wobei man anmerken muss, dass die Debatte bei Scienceblogs eines der wenigen Beispiele ist, in dem diese in einem naturwissenschaftlichen Kontext stattfindet. Das ist erstmal begrüßenswert, da die Meinungsbalance (oder besser: Ergebnisbalance) eher dem wissenschaftlichen Konsens entspricht.

    Allerdings kann ich mich bei Betrachtung der herangezogenen Quellen des Eindrucks nicht erwehren, dass zumindest ein wenig eine politische Komponente mitspielt. Die Achse des Guten oder Oekologismus.de sind nun mal schwierig als naturwissenschaftlich einzuordnen, nett ausgedrückt.

    Wäre interessant, da mal die politischen Affiliationen der vertretenen Position zum Klimawandel gegenüberzustellen.

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