Britischer Wissenschaftshumor: Wie deutsche Journalisten der Satire des einradfahrenden Humorforschers auf den Leim gehen | Werkstattnotiz LVI

Ein einradfahrender Ex-Dermatologe aus Newcastle radelt ein Jahr lang durch die Stadt, dokumentiert die Reaktionen der Passanten, schreibt eine Wissenschaftspersiflage und die deutschen Journalisten haben eine Geschichte. Und die Engländer freuen sich über die Deutschen, die den Humor nicht verstanden haben, den britischen.

Am Anfang jeder wissenschaftlichen Studie steht das Forschungsdesign. Denn schließlich gibt es immer verschiedene Vorgehensweisen, um sich einer Antwort auf die jeweilige Forschungsfrage anzunähern. Man kann klassisch vorgehen, sich an anderen Untersuchungen orientieren oder extravagantere Zugänge ausprobieren.

Wieso lassen sich deutsche Wissenschaftsjournalisten so leicht an der Nase herumführen?

Für die hiesigen Wissenschaftsjournalisten spielt es aber offenbar keine Rolle, wie bestimmte Thesen zustande gekommen sind. Sind die Untersuchungen methodisch sauber durchgeführt oder gemäß einer Schrotschußmethode? In deutschen Wissenschaftsredaktionen läßt man sich ganz offensichtlich gerne zum Narren halten und verkauft auf diese Weise die Leser für dumm.

Gedankenexperiment und Aufgabenstellung:

Entwickeln Sie ein Untersuchungsdesign, um Ursachen und Artikulationsformen von Humor zu analysieren. Nehmen Sie v.a. die Unterschiede im Humorverhalten zwischen den Geschlechtern und verschiedener Altersgruppen in den Blick!

Und? Wie könnte man erste Antworten auf eine solche Fragestellung erhalten? Aber Achtung!, wissenschaftlich soll es schon sein! Laden wir uns Probanden ins Labor ein und spielen ihnen verschiedene Videos (Slapstick, Comedy, Alltagsunfälle…) vor? Hmmm…. vielleicht ja zu konventionell, wenn man Humorforschung betreibt. Wählen wir die teilnehmende Beobachtung und besuchen Theater-, Kabarett- oder Clownsvorstellungen und analysieren die Reaktion der Zuschauer? Zu unwissenschaftlich? Schwierig… aber wir können ja schlechterdings ein Jahr lang mit dem Einrad durch unser Städtchen radeln und notieren, wie die Passanten darauf reagieren. Das wäre zu abgefahren und ja auch nicht wirklich wissenschaftlich, oder?

Methodisches Kabinettstückchen: Ich fahre Einrad und schaue was passiert…

Humor_Professor.jpgGenau eine solche schräge Vorgehensweise halten aber ganz offensichtlich die etablierten Wissenschaftsjournalisten für sauber, solide und ertragreich. Denn Sam Shuster1 – ehemaliger Professor für Dermatologie – behauptete genau diesen Versuch unternommen zu haben. Er sei auf seinem Einrad angeblich ein Jahr lang durch seine Heimatstadt Newcastle upon Tyne geradelt. Und die Reaktionen der Bewohner und seine Schlußfolgerungen präsentierte er nun in einem süffig-launigen Artikel in der "Weihnachtsausgabe" des British Medical Journal.

Und nach einem Jahr voller Beschimpfungen, höhnischer Bemerkungen und neugieriger Nachfragen kommt Shuster zum Schluß, daß der Testosteronspiegel die alles entscheidende Variable darstelle. Je mehr Testosteron, desto häufiger und markanter die humorvollen Sprüche. Der weibliche Teil der Bevölkerung habe – so ergaben des Professors Notizen – fast ausschließlich fürsorglich und nicht hämisch-witzig auf ihn reagiert.

Und ganz gemäß der weihnachtlichen Botschaft der Liebe seufzt der nette, ergraute Professor am Ende seines Artikels, daß die Aggressivität dennoch einen recht hohen Preis für ein paar witzige Sprüche darstelle…

Die Journalisten nehmen den »Fachartikel« für bare Münze

Wer aber nun glaubt, diese nette Wissenschaftspersiflage würde schmunzelnd zur Kenntnis genommen, der irrt. Die deutschen Zeitungen und Onlineportale können offenbar nicht genug vom kauzigen, einradfahrenden Professor bekommen. Und die Studienergebnisse werden überall lang und breit ausgestellt – vom Umstand, daß die Erkenntnisse auf mehr als obskure Weise gewonnen wurden (falls Shuster überhaupt des Einradfahrens mächtig ist) keine Silbe. Daß Shuster an vielen Stellen augenzwinkernd auf seine Parodie hinweist, merken die braven Wissenschaftsjournalisten freilich nicht…2

Die Hinweise auf die Satire werden großzügig übersehen. Stattdessen wird auf das »renommierte« British Medical Journal hingewiesen. Wie blind und naiv ist man eigentlich?

Aber dazu hätte man den Artikel ja vermutlich kurz lesen oder zumindest überfliegen müssen! Aber stattdessen posaunt man überall in der Welt diese bahnbrechenden Erkenntnisse hinaus – nur weil sie so nett skurril sind? Gibt man deswegen den letzten Rest kritischen Sachverstand bei der Redaktionssekretärin ab? So liest man in SZ, Spiegel, Welt und Co., daß eine britische Studie einen Zusammenhang zwischen Testosteronspiegel und Humor ergeben habe und ein "britischer Forscher behauptet: Männer haben mehr Humor als Frauen."3 Und das alles stünde im "renommierten" – so wird überall hervorgehoben – British Medical Journal:4

Der traurige Witz mit dem Witz

Der Witz ist nur: Sam Shuster macht einen Witz! Zwar gibt es selbstverständlich Sozialwissenschaftler, Psychologen und auch Biologen, die sich auch mit Humor beschäftigen, aber Sam Shuster leistet eben definitiv keinen Beitrag zu diesem randständigen Forschungsfeld. Die einzigen "Zitate" in seinem Artikel stammen von Marty Feldman und Diane Keaton, beides sicherlich komische Herrschaften, aber ausgewiesene Humorexperten?

Die Mühe Fachartikel zu zitieren macht sich Shuster erst gar nicht. Und nur ganz am Ende verweist er – als er die möglichen evolutionären Vorteile von humorvollem Verhalten erläutert – neben Darwin noch auf zwei weitere Bücher, die sich mit dem Geschlechterverhältnis, Attraktivität und Evolution befassen.

Statt auf methodische Details5 oder wissenschaftliche Aspekte einzugehen, dokumentiert Shuster seine angeblichen Beobachtungen im Plauderton:

The response of people in cars was remarkable. Young men in old cars were very aggressive, acting as if to frighten me off the road—they lowered their windows and shouted abusively, waved their arms, and hooted. I did not see this with women drivers and older men in more expensive cars.

Aha! Man hüte sich v.a. vor der Kombination von jungen Männern in alten Autos! ;-)

Aber solche anekdotischen Verspieltheiten können die Wissenschaftsvermittlungsprofis hierzulande offenbar kaum irritieren.6 Und selbst der abschließende Hinweis auf Interessensverquickungen,

Competing interests: None, apart from owning a bicycle as well as a unicycle.

wurde von Spiegel, SZ und Co. geschluckt. Hallo, Herrschaften! Da gibt der "Gelehrte" – wie Ihr anerkennend schreibt – freimütig zu Protokoll, daß er auch noch ein "normales" Rad sein Eigen nenne und Ihr begreift immer noch nicht, daß Ihr gerade eine kleine, subtile Wissenschaftssatire gelesen habt?

 


Hinweis:

Ich selbst hatte zunächst nur den Artikel von Werner Bartens in der SZ gelesen7 und war doch sehr verwundert über diese angebliche Einrad-Humor-Studie. Bei kamenin in der "Begrenzten Wissenschaft" las ich dann von all den naiven Schreiberlingen, die dem guten Sam Shuster auf den Leim gegangen waren und wollte eigentlich kein Wort mehr dazu verlieren. Nun – zwei Wochen nach der ersten Artikel-Serie – legt aber Philip Bethge im Spiegel (sogar in der gedruckten Ausgabe!) nach und rekurriert wieder auf den Spaß-Text ohne den Lesern mitzuteilen, daß die Studie nicht ernst zu nehmen ist. Aber Bethge hat vermutlich den Kollegen vertraut, selber lesen und nachdenken macht ja Arbeit…

Die traurige Liste des unkritischen Nachplapper-Wissenschafts-Journalismus:8

 

Und hier ist der "Stein" des Anstoßes:

 

Vielleicht sollten die hiesigen Wissenschaftsredakteure mal einen Blick in folgende Bücher werfen:

 

  1. Das Photo oben zeigt den Spaßvogel. Es stammt von der Guardian-Website. []
  2. Gleich im ersten Absatz schildert Shuster, wie es zu seiner Studienanordnung gekommen sei. Bei der Suche nach einem Geschenk für seinen Enkel habe er sich in ein chromglänzendes Einrad verguckt und schließlich sagte seine Frau: "buy the bloody thing"…. ;-)  Werte Damen und Herren Wissenschaftsjournalisten, wollen Sie mir erzählen, daß sie in "seriösen" Fachartikeln regelmäßig lesen, welchen Beitrag die Ehefrau des Forschers geleistet habe? Werden Sie bei solchen eminent wissenschaftlichen Infos – "buy the bloody thing" – nicht stutzig? []
  3. So etwa wieder Philip Bethge im gedruckten (!) Spiegel. []
  4. Bei Pia Heinemann (Die Welt) liest sich alles wie ein stinknormale Studie; sie schreibt u.a. "Als versierter Forscher fing er sofort an, diese Reaktionen aufzuzeichnen, zu ordnen und schließlich auszuwerten. Streng systematisch ging er dabei vor…" Weiter ist von " reiner empirischer Betrachtung" zu lesen und an keiner Stelle trüben Zweifel, ob das mit rechten Dingen zugeht, ihren Artikel… []
  5. Er erklärt lediglich, daß er sich bemüht habe immer im selben Outfit und in "neutraler" Haltung zu radeln. "I therefore wore the same bland tracksuit, trainers, and facial demeanour, and I rode "neutrally" with no attempt to entertain." []
  6. Auch die vielen Unzulänglichkeiten – wäre es eine "richtige" Studie – scheinen niemanden zu interessieren: Shuster schreibt bspw. er habe einfach von der Kleidung auf die soziale Schicht bzw. Herkunft der jeweiligen "Probanden" getippt! Ja, genauso mache ich es auch bei der nächsten Untersuchung bei der ich beteiligt bin… ich schätze einfach. ;-) []
  7. Der immerhin anklingen läßt, daß er die "Studie" für extravagant hält. Die Versuchsanordnung sei "einseitig" gewesen, bemerkt Bartens und herausgekommen sei eine "wilde Theorie". []
  8. Wären es Blogs gewesen, die hier die Satire für Ernst genommen hätten, dann wäre das Geschrei bei den Profis wieder laut gewesen… []

30 Gedanken zu „Britischer Wissenschaftshumor: Wie deutsche Journalisten der Satire des einradfahrenden Humorforschers auf den Leim gehen | Werkstattnotiz LVI“

  1. Sehr schöne Geschichte. Mich wundert aber nichts mehr, seit in den Scienceblogs Uri Geller als ernsthafte Konkurrenz für wissenschaftliche Wahrheit gesehen wird, gegen die man sich argumentativ zur Wehr setzen muss. Übrigens: Wer absurde „Wissenschaft“ liebt, wird auch auf Philica.com fündig

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  2. @Benedikt:

    Naja, daß einem in der Eile mal Fehler unterlaufen, wäre ja nicht der Aufregung wert und wenn die Zusammenfassung einer Studie plausibel daherkommt, so kann es sicher mal passieren, daß man einer „Ente“ aufsitzt.

    Was aber im Fall von Sam Shuster, der übrigens in der Vergangenheit schon mehrmals mit schrägen Pseudo-Fachartikeln aktenkundig wurde, traurig ist, ist die Tatsache, daß quer durch alle Medien unisono diese angeblichen Befunde diskutiert werden, ohne daß offenbar jemand den Witz merkt.

    Und zum aktuellen Uri-Geller-Hype fällt mir auch nichts mehr ein. Klar es ist Show, aber – wie Du richtig anmerkst – im wissenschaftlichen Kontext sind solch Scharlatanereien im Prinzip gar nicht diskussionswürdig. Aber drüben bei Focus (zwar im Kultur und nicht im Wissenschaftsressort) übt man sich aktuell als Stichwortgeber für den großen Meister.

    Da werden in einem Interview Fragen gestellt, die einen blaß werden lassen. Da hat man nicht nur jede Kritikfähigkeit – falls man sie je besaß – abgegeben, sondern säuselt Geller solche Fragen ins Ohr: „Und später beschlossen Sie, aus Ihren transformierenden Kräften eine Karriere zu machen?“

    Ich find’s gruselig… [Das ganze Interview kann man hier lesen]

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  3. Ich glaube, ein großer Teil des Problems (nicht nur für den Wissenschaftsjournalismus) besteht darin, dass man allzusehr a) auf die Berichterstattung der Kollegen schaut und b) sich viel zu stark von „Inhaltezulieferern“, z.B. Presseagenturen sagen lässt, was berichtenswert ist. Gerne und oft wird von Journalisten schale Fertigkost verwendet, gerade, wenn diese sich im ersten Moment irgendwie interessant anhört.

    Wenn mein Eindruck zutrifft, wäre das Problem dann also Bequemlichkeit und vorschnelles Vertrauen – oder umgekehrt formuliert der i.d.R. sehr hohe Arbeits- und Veröffentlichungsdruck von Journalisten bzw. ausgedünnte Redaktionen. Das verstärkt jedenfalls den Mechanismus, dass man sich untereinander vertraut. Würde jeder Wissenschaftsjournalist die Studien, über die er berichtet, tatsächlich a) selber und vor allem b) gründlich lesen, dann sähe der populäre Wissenschaftsjournalismus wohl anders aus.

    Besser?

    Vielleicht. Aber an Stelle von 5-10 Berichten pro Tag käme vielleicht ein Bericht pro Woche heraus. Ein Medium, das so gründlich arbeiten würde, müsste wohl in kürzester Zeit Konkurs anmelden.

    Ich sehe nicht, sorry, jedenfalls im Moment nicht, wie der Journalismus, sofern er Geld verdienen will, dem Oberflächllichkeitsdilemma entkommen kann.

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  4. Ähm, wenn hier deutsche Wissenschaftsjournalisten am britischen Witz gescheitert sind, dann frage ich mich aber, warum auch so viele englischsprachige Medien daran gescheitert sind und die Studie ebenfalls wiedergeben, siehe http://tinyurl.com/33kv73. Nur weil Sam Shuster die Ergebnisse humoristisch aufgeschrieben hat, heißt das noch lange nicht, dass er diese Untersuchung niemals durchgeführt hat. Wie hier behauptet wird, die ganze Sache sei ein Witz, ohne aber dafür irgendeinen harten Beleg zu haben oder sich darum bemüht zu haben (und das hat auch kamenin nicht), finde ich schwach. Typisch Blogs halt – da vertraue ich doch lieber weiter der Zeitung…

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  5. @Herrn Gans: wenn es kein ‚harter Beleg‘ (wie Sie schreiben) für die Unwissenschaftlichkeit eines Artikels ist, dass er keine einzige Fussnote mit Literaturhinweisen enthält, dann weiß ich auch nicht. Es geht ja nicht darum, ob Herr Shuster tatsächlich hin und wieder Einrad gefahren ist (das kann ja sein), es geht doch darum, ob seine Ergebnisse von irgendeiner Relevanz sind. Und das sind sie eben nicht, weil sie keinerlei wissenschaftlichen Kriterien entsprechen, ich finde diesen Beleg ‚hart‘ genug! Und das könnten auch Journalisten erkennen.

    Im übrigen könnte man als Wissenschaftsjournalist auch wissen, dass das British Medical Journal offenbar in jeder Weihnachtsausgabe einen solchen ‚Scherz‘ veröffentlicht. Sam Shuster ist höchstwahrscheinlich der Letzte, der seine Studienergebnisse ernst nimmt!

    Aber vertrauen Sie ruhig weiterhin den Zeitungen!

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  6. Die diesjährige Weihnachtsausgabe des BMJ enthielt zudem ja noch einige weitere „skurille“ Artikel, bspw. einen über die Vererbung von magischen Fähigkeiten am Beispiel der „Harry Potter“-Reihe.
    Wenn dann eine Dermatologe (sic!) Einrad fahrend über Humor forscht, sollte doch etwas auffallen…

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  7. Ich stimme Arne Gans in allen Punkten zu. Bin ja der letzte, der den Wissenschaftsjournalismus in deutschen Zeitungen für besonders befriedigend hielte, aber dieser entlarvend daherkommende Blogartikel ist argumentativ erstmal ein kompletter Rohrkrepierer. Die angeblichen Belege sind miserabel.

    Zunächst einmal ist nur humoristische Eindimensionalität und Fantasielosigkeit beim Verfasser festzustellen. Mit gar nicht britischer Mentalität geht er felsenfest davon aus, ein Beitrag könne nur eines von zwei Dingen sein: entweder ernst gemeint oder aber humorvoll und dann aber doch bitte glatte Satire.

    Fürchterliche Besserwisserei.

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  8. @BurgessShale:

    Meine Kritik an der Darstellung der Shuster’schen Studie in den genannten Medien hat mit Besserwisserei wenig, mit der Kenntnis wissenschaftlicher Standards dagegen viel zu tun.

    Ich gestehe zu: einen Beweis, daß Sam Shuster niemals durch Newcastle radelte und uns alle an der Nase herumführen wollte, habe ich nicht. Das habe ich allerdings auch an keiner Stelle behauptet. Allerdings kann ich eine Vielzahl an Indizien anführen, die zusammen zweifelsfrei ergeben, daß es sich hier um alles andere als eine ernstgemeinte „wissenschaftliche Studie“ handelt. Und darauf – das meine Kritik – hätten auch die Kollegen kommen können.

    Denn wenn wir kurz annehmen, uns flatterte (etwa als Gutachter für ein Journal) ein Paper auf den Tisch. Worauf wäre zu achten?

    Unstrittig ist, daß gewisse Qualitätskriterien vorliegen müssen.

    Da ist zum einen ein Mindestmaß an Objektivität, d.h. die „Messung“ (=Beobachtung) darf nicht beliebig sein. Hier sehe ich bei einem einradfahrenden Ex-Dermatologen, der seine Heimatstadt durchstreift, erste Fragezeichen. Die „Testsituation“ ist hochgradig durch das Verhalten der Untersuchungsperson, dessen individueller Einschätzung etc. abhängig. Shuster gibt ja aber u.a. freimütig zu Protokoll, daß er etwa das Alter (!) und die Schichtzugehörigkeit (!) der Passanten schätzte (!). Bereits diese Vorgehensweise verbietet sich bei einer seriösen Studie. Denn zumindest wäre es notwendig gewesen, daß Shuster diese Personendaten kurz abfragt und somit deren Richtigkeit sicherstellt.

    Ein weiteres Gütekriterium wäre freilich die Reliabilität: also die Zuverlässigkeit und im weiteren Sinne die Reproduzierbarkeit der (Meß-)Ergebnisse. Aus offensichtlichen Gründen ist es nicht möglich, diese Studie zu wiederholen. Die Anzahl der Zufallsparameter (und Shuster gibt sich kaum Mühe, diese zu minimieren) ist derart hoch, daß jede Wiederholung dieses Verfahrens andere Ergebnisse bringen muß. (Shuster hätte sich ja zumindest darauf beschränken können zu einer bestimmten Tageszeit in einem kleinen begrenzten Viertel mit bekannter Zusammensetzung der Passanten zu radeln. Stattdessen macht er ohnehin – weil es eben auch bei dieser angeblichen Durchführung unmöglich wäre – keine (!) Angaben, wann, wo, wie oft er durch Newcastle fuhr. Seltener im Winter, häufiger im Sommer? Wie oft an Regentagen etc. ?)

    Und schließlich sieht es bei der Validität ebenfalls finster aus: denn aus welchem Grund sollte ein zufälliger Kommentar oder Ausspruch als Reaktion auf einen einradfahrenden Herrn das Humorverhalten repräsentieren? Und die Schlußfolgerungen sind aufgrund hochgradig mangelhafter Reliabilität- und fehlender Intersubjektivität ebenfalls beliebig und nicht belastbar.

    Aber jenseits dieser Punkte gibt es eine Vielzahl an Details, die jedem Gutachter die Haare zu Berge stehen ließen. (Bsp.: Shuster gibt nirgendwo an, wieviel Prozent der Reaktionen auf Fußgänger oder Autofahrer entfallen. Aber er trifft dennoch Aussagen der Art: „Junge Männer in alten Autos reagieren besonders aggressiv.“ Auf welcher Datenbasis?)

    Genauso wirft meines Erachtens die Angabe, daß 95% aller Personen auf ihn irgendwie „reagierten“, Zweifel auf – ist es plausibel, daß ihn nur 5% „ignorierten“? Wie will Shuster das (ohne Assistenten!) gemessen haben? Und: wie schon oben bemerkt – die Tatsache, daß Shuster ja den Eintritt in die Pubertät als Kriterium heranzieht, muß mehr als fragwürdig erscheinen, wenn man bedenkt, daß er ja das Alter usw. schätzt. Mit welcher Treffergenauigkeit taxiert ein radelnder Rentner, ob ein englischer Junge, der im Winterhalbjahr mit Jacke, Schal und Mütze unterwegs ist, ob sich dieser vor, während oder nach der Pubertät befindet?

    Werter BurgessShale, Sie können mir glauben, daß ich begeistert bin, wenn in wissenschaftlichen Papers hier und da eine ironische Randbemerkung o.ä. auftaucht, aber diese Studie würde in jedem Journal, zumal im „British Medical Journal“ durchfallen. Die Tatsache, daß sie gedruckt wurde (und ja eben in der Weihnachtsausgabe, die alljährlich „silly reaserach“ versammelt), ist nicht anders zu erklären, als daß man den Lesern zuzwinkern wollte, es sich um Ironie, um eine halbseidene Spaß-Studie handelte.

    Und ich habe nichts weiter als festgestellt und bemängelt, daß die hiesigen Wissenschaftsjournalisten dies den Lesern nicht adäquat vermittelt haben, sondern die Studie teilweise als stinknormale wissenschaftliche Erkenntnis verkauft haben…

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  9. Liebe Leute,
    trifft der Vorwurf, Humor nicht zu verstehen, nicht eher auf den Autor des Beitrags zu? Spaetestens im Spiegel-Artikel wird doch deutlich, dass der Schreiber die Studie nicht wirklich ernst genommen hat. „ist ein ruestiger Einradfahrer witzig?“, ebenda. ein wenig ironieverstaendnis waere wertvoll bei diesem leichten thema. im uebrigen ist die these des briten so abwegig nicht. dass humor auch biologische grundlagen hat, ist unter humorforschern eine akzeptierte tatsache.
    gruesse! mogo

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  10. @zettmann:

    Ich glaube nicht, daß ich mit meiner Kritik „übers Ziel hinausschieße“.

    Zunächst: ja, es gibt auch jenseits standardisierter Wissenschaft (die oftmals nur Scheineindeutigkeiten liefert) einen Bereich, der legitim und wichtig ist. Ich bin selbst (Wissenschafts-)Soziologe und wäre der allerletzte, der so naiv wäre, zu behaupten, daß es nur einen Weg gäbe, um an mehr „Wissen“ zu gelangen.

    Ich habe selbst schon häufig auf die Kontextualität jeder (!) Wissenschaft, ihre Beobachterabhängigkeit, ihre niemals endgültig zu kontrollierenden Randbedingungen hingewiesen. Und man kann nicht zu oft darauf hinweisen, daß auch vermeintlich „objektive“ Wissenschaft immer einen Rest an Beliebigkeit aufweist – denn die Vorgehensweise ist niemals so zwingend, die Interpretation der Meßergebnisse bleibt immer eine „Interpretation“ etc.

    Und natürlich gibt es Platz für qualitative Wissenschaftsformen wie „teilnehmende Beobachtung“, Einzelfallstudien oder andere „verstehende“ Zugänge. (Übrigens bin ich selbst kein „quantitativer“ Soziologe, sondern arbeite „qualitativ“…)

    Die Frage ist aber diejenige, nach einer höchstmöglichen Gegenstandsadäquanz und das Bemühen um Richtigkeit. Und: man muß gute Gründe anführen (können), weshalb man die eine Vorgehensweise gewählt hat und keine andere.

    Mit anderen Worten: was ich den Wissenschaftsjournalismuskollegen vorwerfe, ist ja genau diese Naivität, die einen Artikel relativ unreflektiert ernst nimmt, nur weil er in einem renommierten Journal publiziert ist.

    Ich wünschte mir stattdessen ein genaueres Hinsehen (denn dann wäre einem die obskurse Forschungsmethodik von Shuster aufgefallen) und eine größere Offenheit gegenüber unkonventionelleren Forschungsmethoden – denn Ergebnisse sind nicht nur dann relevant, wenn man sie mit einer Statistik untermauern kann.

    Der entscheidende Punkt ist aber: um die obige Fragestellung zu beantworten, wären andere Zugänge viel fruchtbarer und erfolgversprechender gewesen. Und die Tatsache, daß Shuster mehr verschleiert, denn aufklärt, wie er es denn genau gemacht habe, ist ebenfalls nicht gutzuheißen.

    Und wenn sich der Autor einer Studie gar nicht erst bemüht, seine Beobachtungen in den Forschungsstand einzuordnen und fast schon in Münchhausen-Manier behauptet, er habe seine Erkenntnisse allein kraft seiner ureigenen Beobachtungen gewonnen (so wie Sam Shuster), dann sollte man doch hellhörig werden. Egal, ob es sich nun um medizinische oder psychologische Studien handelt…

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  11. Arme Gänse,

    ich bin sprachlos! Da wird von Besserwisserei geredet und von guter sowie schlechter Wissenschaft. Dabei steht die Tatsache, dass der Artikel von Herrn Shuster nicht Ernst zu nehmen ist gar nicht zur Diskussion! Es handlet sich nicht um schlechte Wissenschaft sondern gar nicht um Wissenschaft. Punkt! Egal ob Spass oder Ernst gemeint.

    Um es mit den Worten der „Sterne“ zu sagen: „Sie werden dafür bezahlt!“. Und da ist es selbstverständlich, dass ein Journalist seine Quellen auf Wert prüft. Um einen Artikel zu lesen dessen Ergebnisse man der Öffentlichkeit nahe bringen möchte braucht man keine Woche sondern Verantwortungsbewusstsein.

    Es kotz mich an, dass ich mich als Vertreter der „harten“ Naturwissenschaften (in meinem Fall Chemie) ständig bezüglich der (monetären) Relevanz meiner Forschung rechtfertigen muss während so ein Humbug dann als revolutionärer Ansatz verteidigt wird. Dabei hakt es in der Wissenschaftskommunikation ohnehin. So wird es nicht einfacher!

    Mein Forschungsergebniss für heute: Wenn Freunde von Freunden 30 Jahre alt werden trifft man alte Bekannte. Mal sehen wo ich das veröffentlichen kann…

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  12. @Marcus:

    Kein Anlaß zur Selbstbeschuldigung: die Tatsache, daß hier kein Trackback angezeigt wird, liegt in keinster Weise an Dir oder Deiner vermeintlichen (technischen) Unfähigkeit. Du könntest ein noch so versierter Blogger sein und es ginge nicht.

    Es ist ganz schlicht so, daß man es für Euch Scienceblogger offenbar nicht für nötig hält, daß Trackbacks gesendet oder empfangen werden. Purer Luxus das. Die Prioritäten liegen einfach woanders. ;-(

    Zu Deinem kleinen Shuster-Nachtrag: Ja, sehr nett. Ich war auch schon dabei, mich auf die Fährte des kauzigen Gesellen zu begeben, habe es dann aber wieder aufgegeben. Ist ja wirklich kurios, daß der Euch zunächst nur antworten wollte, wenn Ihr seine Antworten auf Eure Fragen „vorhersagt“.

    Aber sein Feedback (Toll: „real life breathes comedy“) bestätigt eher das oben von mir Gesagte, oder?

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  13. Seit zwei Jahren wurden keine neuen Meinungen mehr veröffentlicht und so bin ich mir nicht sicher, ob dieses Thema noch aktuell ist. Als begeisteter Einradfahrer nützte ich noch die letzten schönen Tage in Wien (Prater Hauptallee, Stadion) um diesem Sport zu frönen. Der Anblick eines älteren Einradfahrers (jenseits der 70er) brachte die „Leute“ auf den Plan, anerkennende, aber auch böswillige Worte zu äußern oder sogar Drohungen auszustoßen (hauts ihn owi = stoßt ihn vom Rad, i prack ihm ane = …). Nun glaube ich, dass Shuster tatsächlich diese „Studie“ erstellt hat.

    Von Kindern und Ausländern (oder Besuchern) kamen nie abfällige Bemerkungen – diese – und das macht mich etwas traurig – kamen nur immer von älteren Personen. Missgunst? Neid?

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  14. @Toni Leitner:

    Danke für diesen Erfahrungsbericht. Ich persönlich glaube das gerne. Und im oben stehenden Artikel ging es ja auch nicht darum, daß Einradfahrer nicht mit blöden Kommentaren konfrontiert werden. Es ist nur so, daß man daraus (wie oben geschildert) keine „Studie“ machen kann und schon gar nicht die Schlußfolgerungen ableiten, wie Shuster es spaßeshalber gemacht hat.

    Ihnen freilich weiterhin frohes Radeln. Möglichst ohne schimpfende Rentner.

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