Die Launen der Blogdiva, Selbstreferentialität oder: Das schwierige Geschäft die Blogosphäre zu mobilisieren | Werkstattnotiz XV

Welche Bedingungen müssen erfüllt sein, um die hiesige Blogosphäre zu mobilisieren? Welche Qualität muß ein sog. Mem1 aufweisen, damit es sowohl die publikumsstarken (A-)Blogger, als auch die weniger reichweitenträchtigen Blogger des ‚long tail‘ aufgreifen? Oder anders gesagt: Was muß passieren, daß ein Thema zum Thema in und für Blogs wird?

Die jüngsten Erfahrungen mit Blogaktionen2 illustrieren, daß die Blogosphäre in dieser Hinsicht recht wählerisch ist, vielleicht auch unberechenbar. Man könnte auch sagen, daß sich die Blogosphäre bisweilen in der Rolle der selbstverliebten Diva gefällt. Das wäre zwar etwas vereinfacht formuliert, aber im Kern dennoch zutreffend. Manchmal erweckt es sogar den Eindruck, daß diese Diva ihre kapriziöse Art mit großem Vergnügen kultiviert. Schließlich kann man auf diese Weise auch seinen Marktwert steigern; frei nach dem Motto: „Ich springe doch nicht über jedes Stöckchen, das mir hingehalten wird!

Fluch und Segen der Eigensinnigkeit der Blogosphäre

Um keine Mißverständnisse aufkommen zu lassen: die Tatsache, daß die Blogosphäre nicht so leicht auszurechnen ist, ist einer ihrer großen Pluspunkte. Wäre ihr Verhalten, wären die Gesetzmäßigkeiten der Thematisierungsverläufe ohne weiteres verständlich, so wäre auch der Weg zur Manipulation und Einflußnahme geöffnet. Heerscharen von PR-Agenten warten vermutlich nur darauf, bis irgendwo der geheime Zugangscode veröffentlicht wird, mit dessen Hilfe man zuverlässig die eigenen Botschaften in die Blogszene einschleust. „Virales Marketing“ ist glücklicherweise ein riskantes Geschäft mit hoher Mißerfolgswahrscheinlichkeit.

Die Blogosphäre als Sphinx: Wer durchschaut die Gesetzmäßigkeiten der Blogs?

Man darf als Blogger also zurecht stolz darauf sein, einer Gemeinschaft anzugehören, die nicht dem erstbesten Angebot auf den Leim geht. Aber genügt es, wenn man sich selbst zu Gute hält, nicht so leicht manipulierbar zu sein? Ist es befriedigend, sich stattdessen mit dem vielzitierten Katzencontent zu begnügen? Nein, keine Aufregung: ich rede hier nicht der These von der angeblichen „Irrelevanz von Blogs“ das Wort. Jeder einzelne Blog ist genau dann relevant, wenn erstens der jeweilige Autor sich durch dieses Medium angemessen artikulieren kann und zweitens die Leser – und seien es noch so wenige – in diesem Angebot eine Bereicherung sehen. Die Reichweite ist ein höchst nachrangiges Relevanzkriterium.

Allerdings ist eines der Grundmerkmale der Blogosphäre, daß sie auf dem Prinzip der „verteilten Kommunikation“ basiert. Das heißt nichts anderes, als daß die gegenseitige Bezugnahme, das gegenseitige Verweisen und Kommentieren für Blogs charakteristisch ist.3 Das heißt gleichzeitig aber auch, daß sich immer wieder thematische Kristallisationskerne bilden müssen, um die Blogszene untereinander zu vernetzen. Mit anderen Worten: es ist notwendig, daß Kommunikationsangebote zirkulieren, die ein Mindestmaß an Anschlußfähigkeit aufweisen. Diese Kommunikationstopics (oder: „Meme“) können intern generiert werden oder von außerhalb der Blogosphäre eingespeist werden.

Ein hervorragendes Beispiel für die interne Variante sind die regelmäßig wiederkehrenden Debatten um Abmahnungen im Web 2.0-Kontext. Hier finden sehr schnell Solidarisierungseffekte statt und die Reaktionszeit bis zur sichtbaren Thematisierung auch in den populären Blogs ist meist minimal. Wenn es freilich um Themen geht, die keine originäre Web 2.0-Affinität aufweisen, dann ist das alles problematischer. Solange – das könnte man zynischerweise einwenden – sich die Blogszene mit ihrer eigenen Befindlichkeit befaßt, solange sich die Blogger also im Kreis drehen, solange stellt sich bei den Beteiligten kaum die Frage, ob diese Debatten gerechtfertigt, legitim oder opportun sind.

Wer die Szene etwas eingehender beobachtet, stellt sogar fest, daß mit steigendem Maß der Selbstreferentialität der Inhalte gleichzeitig auch die Selbstverständlichkeit der Kommunikation stabilisiert wird. Einfacher gesagt: die Blogszene ist sehr routiniert im Umgang mit selbstproduzierten, blogspezifischen Themen. Die Fragen nach dem „Warum, Wieso, Wozu?“ bleiben meist aus.

Woher rührt die Skepsis gegenüber konzertierten Aktionen?

Anders verhält es sich, wenn Themen jenseits der Blogszene berührt sind und möglicherweise übergreifende Kommunikations- und Koordinationsleistungen erforderlich wären. Wie man am Beispiel der „Free Burma“-Aktion sehr gut verfolgen konnte: genau in dem Moment, wo einige prominente Blogger dazu aufriefen, sich am 4. Oktober bei der Aktion zu beteiligen, keimten auch Widerstände auf. Die Aktion selbst verlief – wenigstens meiner Einschätzung nach – zwar erfolgreich, Kritik gab es freilich zuhauf.

Bloggerethos: Ein Blogger bloggt, weil er bloggen will. Und eben nicht, weil er soll.

Im Rückblick wird deutlich, daß hier offenbar die oben angesprochene „Diva“ erwacht ist. So billig ist sie nicht zu haben, wurde verdeutlicht. Das hat sicherlich mit einer gesunden Skepsis gegenüber Bevormundungen und Vorschriften zu tun. Ein Blogger bloggt, weil er bloggen will. Und eben nicht, weil er muß oder ihm das von Robert Basic nahegelegt wird. Die Blogszene ist – zum Glück – eigensinnig. Wenn es freilich um Projekte geht, die – das sei vorausgesetzt – einem „guten“ Zweck4 dienen, ist diese kapriziöse Art allerdings (je nach eigenem Standpunkt) etwas lästig.

Es stellt sich also die Frage: Wie müßte eine Aktion geartet sein, damit sie größtmögliche Resonanz in der Blogosphäre auslöst. Wie sollte eine solche konzertierte Aktion vorbereitet werden? Gibt es neben der Angst vor der Bevormundung noch weitere Gründe für die skeptisch-distanzierte Haltung der Blogszene zu solchen Aktionen? Ist man durch die „political correctness“ angeödet oder ist es das Eingeständnis der eigenen Irrelevanz?

Einigen dieser Fragen möchte ich im nächsten Artikel anhand von zwei Beispielen nachgehen. Denn am heutigen 15. Oktober findet der seit einigen Monaten vorbereitete internationale „Blog Action Day“ zum Thema Umwelt statt, allerdings zumindest in Deutschland ohne nennenswerte Resonanz.5 Als zweites Beispiel dient mir die Aktion „Deine Stimme gegen Armut„, die übermorgen stattfindet6 und bislang ebenfalls recht wenig Aufmerksamkeit erregt hat.

 


Weitere Anmerkungen zur selben Frage gibt es hier:

 


 

 

  1. Als „Mem“ wird – frei nach Richard Dawkins – eine Idee, ein Gedanke oder generell: eine Kommunikationseinheit definiert, die wirkmächtig genug ist, um durch Kommunikation weiterverbreitet zu werden und sich durch diese Kommunikationsprozesset weiter verfestigt. []
  2. Die soziale und/oder ökologische Mißstände zum Inhalt hatten; z.B. die „Free Burma“-Aktion oder der heutige „Blog Action Day„ []
  3. Das geschieht eben durch Comments, stärker aber noch durch Verlinkung und/oder Trackbacks. []
  4. Und es sei ebenfalls vorausgesetzt, es ließe sich ein solcher „guter Zweck“ eindeutig bestimmen. []
  5. Nach meiner ersten Durchsicht sind heute nicht viel mehr als 300 deutschsprachige Blogger mit dabei. Einige Posts zum Aktionstag finden sich dennoch hier, hier, hier oder hier. []
  6. Hier habe ich selbst bereits darauf hingewiesen und bspw. das Unterstützungsvideo der Band „Beatsteaks“ erwähnt. []

9 Gedanken zu „Die Launen der Blogdiva, Selbstreferentialität oder: Das schwierige Geschäft die Blogosphäre zu mobilisieren | Werkstattnotiz XV“

  1. Das Ganze ist doch vollkommen klar. Blogger sind eben auch nur Menschen die unterschiedliche Interessen haben und genau wie in der „realen“ Welt nur eine Handvoll auf die Straße gehen um für etwas zu demonstrieren, nehmen eben auch nur eine bestimmte Anzahl von Bloggern an verschiedenen Aktionen teil. Wäre furchtbar langweilig wenns nicht so wäre!

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  2. Bloggerblues?

    Scheint das verflixte 7. Jahr zu sein. Im siebten Jahr nach Beginn des anschwellenden Web-Log-Schreibens sind die Veteranen in der Krise. Zwischen Selbstgeißelung (“Egomanen-Stadl“) und Desillusionierung („Utopieverlust“) oszilliert ihre Einschätzung, und das, obwohl der Abgesang auf die Holzmedien gerade erst verklungen war.

    Auffällig: In den weblogs der Alphamädchen wird wahnsinnig viel Kuchen gefressen.

    Hat die Szene den Blogger-Blues?

    Ein paar Zitate aus den websites: „Die Blogosphäre ist zu einer überdimensionalen, virtuellen Schleimspur von meinungslosen Linkhuren verkommen, die nur der Chartpositionen wegen bloggen…“. „Aggressive Kleinbürger“ hätten sich ein Forum geschaffen, in dem sie andere hemmungslos beleidigen können. Der versponnene Sound (die lyrische Coolness, die „inzestuöse Selbstreferentialität“ wow!) schrecke ab, die erhoffte Gegenöffentlichkeit sei nicht zustande gekommen. Statt Diskurs gebe es immer mehr Entertainment, statt neuer journalistischer Freiheit die Wiederkehr altbekannter Stilformen. Die community-Romantik habe sich verflüchtigt, die Kommerzialisierungsversuche hätten die Atmosphäre vergiftet, alles sei gesagt, „das Spielzeug Blog hat seinen Reiz verloren.“

    Einsprüche gegen die Herbstdepression gibt es auch:

    Die Blogosphäre differenziere sich zunehmend in Spartenkanäle (Erzählblogger, Tagebuchblogger, Infoblogger, Kunstblogger etc.). Und sie professionalisiere sich – wie in den 1980er Jahren die alternativen Stadtzeitungen. Banale Plapper-Blogs würden auf der Strecke bleiben, die Auslese sei überfällig. Auch die elitäre „Wir nennen es Arbeit“-Boheme verabschiede sich (um in den Mainstream einzutauchen). Die ideologische und ästhetische Überfrachtung des Bloggens weiche einer nüchternen Einschätzung. Weder werde sich das Onlineschreiben als Bürgerjournalismus durchsetzen („Relevanz! Relevanz!“), noch könne es die immer gleichen narzisstischen Pirouetten drehen (Vanessa Diemand: „Der Blogger konstruiert sich als Objekt seiner Betrachtung“).

    Was aber dann? Beginnen nun die Mühen der Ebene?

    wm

    Siehe „Schreibblog“ auf http://www.autoren-reporter.de

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