Barcamp München » Social Networks und eine kleine Kritik der kollektiven Intelligenz | Barcampnotiz III

Das Barcamp-Wochenende ist vorbei und mit diesem dritten Artikel sind auch meine heutigen Anmerkungen komplett. Inzwischen hat sich drüben bei Robert eine kleine Diskussion entwickelt, die auf das leidige Thema der "No Shows" eingeht. Also das Dilemma, daß man bei Veranstaltungen für die kein Eintrittsgeld fällig ist, immer mit einer hohen Ausfallquote zu kämpfen hat. 

Franz Patzig, der die Organisationsfäden gesponnen hat, erwähnt in seinem Kommentar, daß die Anmeldeliste mit den tatsächlich Anwesenden abgeglichen wurde; und die unentschuldigt Fehlenden haben – so hoffe ich – auf die eine oder andere Art Konsequenzen zu tragen.1 Schade, daß eine an und für sich sehr gut gelungene Veranstaltung ein klein wenig durch solche ärgerlichen Randerscheinungen beeinträchtigt wird. Deshalb soll abschließend der Blick nochmal auf die positiven Aspekte gewendet werden: die Inhalte.

Warum blogge ich, wie blogge ich und die Frage nach einem Social Network für Blogger

Robert Basic, natürlich wieder einer der Aktivposten und Ideengeber des Camps, betätigte sich später noch als Moderator weiterer Sessions. Zusammen mit Heiner Wittmann wurde am Samstag nch Brainstorming betrieben und gemeinsam erörtert, was Corporate-Blogs besonders auszeichnet.2 Wo also Schwierigkeiten und Vorteile für Firmen liegen, wenn sie sich auch innerhalb eines Blogs in den – so meist die Begründung – in den Dialog mit den Kunden stürzen. Robert steuerte einige positive Beispiele und Praktiken bei, andere Teilnehmer berichteten von Fällen, in denen Firmenblogs eher negative Effekte zeigten: nämlich meist dann, wenn die Kommunikationspolitik der jeweiligen Firmen ohnehin restriktiv ausgerichtet ist und dann stets nur der Pressesprecher vorgeschickt wird, um brenzlige Situationen zu entschärfen. Klar wurde: den Königsweg gibt es nicht und es gibt sicher Branchen, in denen Firmenblogs erfolgsversprechender sind als in anderen. Wichtig aber überall: Authentizität und weniger strategisches PR-Geplänkel.

Am Sonntag ging es dann vormittags gleich weiter mit einer gemeinsamen Ideen-Session zu Social Networks. Robert präsentierte seine Vision eines auf seine Kernfunktionen reduzierten Social-Networks, das ausschließlich dazu dient, einzelne Blogger zu vernetzen. Zielsetzung: Blogger in die Lage zu versetzen andere Blogger (mit ähnlichen Interessen, ähnlichem Blogschwerpunkt etc.) zu kontaktieren. Es wurde eifrig diskutiert – Robert präferiert eine simple Lösung, die neben grundlegenden Profildaten alles andere über "tags" organisiert. Über die Verschlagwortung werden Gruppen und Zusammenänge gestiftet. Das alles unter dem Dach eines offenen, fließenden Projekts. Offen für Input der Anwender. Zusätzliche Features möglicherweise durch PlugIns integrierbar.3

Kollektive Intelligenz und die Skepsis gegenüber der Glorifizierung einer "Demokratisierung des Wissens"

Eine der spannendsten Fragestellungen präsentierte Heiner Wittmann am Sonntag.4 Er selbst – als promovierter Romanist und Historiker – zeigte auf, daß die Wikipedia keineswegs so singulär ist, wie häufig vermutet. Das zeitgenössische Wissen wurde schon seit unzähligen Generationen auch innerhalb von Gemeinschaftsprojekten gesammelt und zusammengefasst. Wittmann schwärmte von mehrbändigen Lexika, die heute fast vergessen sind und wies natürlich auf die Enzyklopädie von d’Alembert und Diderot hin. Die im aufklärerischen Denken und unter Mitarbeit so herausragender Denker wie Voltaire in 17 Bänden insgesamt 45.000 Artikel versammelte.

Ist die Enzyklopädie von d’Alembert und Diderot die Wikipedia des 18. Jahrhunderts?

Heiner Wittmann artikulierte seine Skepsis bezüglich der angeblichen Überlegenheit des Jedermann-Lexikons Wikipedia. Die Jubelarien und die Rede von der "Demokratisierung des Wissens" hält er für vorschnell und illegitim. Die Masse – so sein Einwand – sei immer schon auch Ausgangspunkt für Verbrechen und zumeist schlicht Hort der Durchschnittlichkeit gewesen.  Durchaus provokante Thesen im Web2.0-Kontext. ;-)

Ich selbst kann nicht leugnen, daß ich an der Rede von einer "Demokratisierung des Wissens" nichts auszusetzen habe. Solange bspw. die Wikipedia als ein wunderbares Informationsinstrument genutzt, aber gleichzeitig auch dessen Begrenztheit beachtet wird, sehe ich diese Entwicklung als Fortschritt an. Die Naivität, zu glauben, daß die bloße Ausweitung der potentiellen Mitarbeiter5 an einem Projekt automatisch eine höhere Qualität erzeugt, teile ich freilich auch nicht. Und als wissenschaftliche Quelle taugt – da stimme ich Heiner ebenso zu – die Wikipedia ebenfalls in keinster Weise.6

Ende der intellektuellen Expertenherrschaft? Ist die Kollaboration der unsichtbaren Vielheit die Zukunft der Wissensgesellschaft?

Allerdings sehe ich durchaus Vorteile darin, daß die Begrenztheit und die Irrtumsanfälligkeit von wenigen "Experten" dadurch überwunden werden kann, daß eine Vielzahl engagierter und qualifizierter Personen im kollaborativ-iterativen Diskussionsprozeß gemeinsame Antworten entwickeln. Und die Tatsache, daß Wissen und Wissenschaft schon immer eine Machtkomponente beinhaltet, halte ich ohnehin für unabweisbar. Solange das Prestige und die Reputation von identifizierbaren Sprechern eine Hauptrolle spielt, solange sind immer wieder auch Verzerrungen, haarsträubende Fehleinschätzungen und strategische Machtkämpfe zu erwarten.

Irrtümer wird es immer geben. Wenn aber – wie ich gestern ausführte – über das "Instrument" Internetcommunity die privilegierten Sprecherpositionen teilweise suspendiert werden, dann wäre  endlich der "zwanglose Zwang des besseren Arguments" ausschlaggebend oder zumindest denkbar. Dabei geht es nicht darum, einer Beliebigkeit des Wissens das Wort zu reden; Feyerabends "anything goes" gilt in diesem Kontext gerade nicht. Argumentative Standards müßten ohnehin den unbestreitbaren Rahmen für kollektive Wissensgeneseprojekte bilden. Wenn gewisse (Vorsichts-)Maßnahmen beachtet werden, ist das eine Vision, die ich im Anschluß an Jürgen Habermas für mehr als begrüßenswert halte.

 


Links:


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  1. Mittlerweile wurde das Thema auch noch hier bei Tim im betalog aufgegriffen, Roman läßt ebenfalls Dampf ab. Und auch Sascha geht auf die Frage ein. Schließlich hat noch Guido Karl sein persönliches Fazit in einen sehr schön lesbaren Artikel verpackt. []
  2. Und er erinnert an eine tatsächlich bemerkenswerte Situation, in der er (Robert) flapsig erwähnte, daß er die Priorität bei den Inhalten sieht und ihm erstmal die Grammatik recht gleichgültig sei. In diesem Moment rollte Heiner Wittmann bedrohlich mit den Augen… Robert hat diese kurze Begebenheit inzwischen als sein "Barcamp-Highlight" beschrieben. []
  3. Die wichtigsten Ergebnisse der Session hat Oliver Gassner protokolliert. []
  4. Er hat hier sein Kurzreferat zusammengefaßt. Unten sind daraus einige spannende Links zu finden. []
  5. Stichwort: "user generated content" []
  6. Dies liegt v.a. Dingen an zwei Faktoren: erstens sind die Autoren nicht identifizierbar. Können also auch nicht adressiert werden und ihre Expertise/Qualifikation bleibt ungewiß. Zweitens (und entscheidend) die Informationen der Wikipedia sind nicht stabil. Sie können morgen bereits wieder ganz anders aussehen. Wissenschaft benötigt aber verläßliche (Text-)Referenzen. []

4 Gedanken zu „Barcamp München » Social Networks und eine kleine Kritik der kollektiven Intelligenz | Barcampnotiz III“

  1. Wie bereits gesagt, die Session an sich fand ich sehr spannend, ich bin mir aber nicht sicher ob alle über das gleiche redeten.

    Ein Beispiel: Der Sartre Artikel Auf den Heiner sich bezog ( war doch Sartre oder ? ) könnte ja durchaus von nur zwei Leuten geschrieben sein, dann wäre er aber sicher nicht ein Ausdruck kollektiver Intelligenz. Die Wikipedia als ganzes aber ohne Bezug auf den einzelnen Artikel ist ein Ausdruck kollektiver Intelligenz.

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  2. @Florian:

    Du hast sicher recht, daß innerhalb unserer Diskussion unterschiedliche Verständnisse von „Kollektiver Intelligenz“ mit im Spiel waren, ohne daß dies jeweils richtig transparent wurde. Insofern sind einige kleine Mißverständnisse zu erklären.

    Ich stimme Dir aber auch voll und ganz zu: das „Prinzip“ Wikipedia ist durchaus ein faszinierendes Beispiel kooperativer Wissensgenese. Man braucht dieses Werkzeug nicht euphorisch in den Himmel loben, aber zu verdammen braucht man es auch nicht. Und einige wenige Beispiele (meiner Erinnerung nach nannte Heiner einen fehlerhaften Camus-Artikel) sind eben immer nur eine zufällige Stichprobe und sagen insofern wenig über das Ganze…

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