Wenn Geschäftssinn und medizinische Verantwortung kollidieren » Eli-Lilly drängt auf Zulassung seines umstrittenen Medikaments „Zyprexa“ für Kinder und Jugendliche

Das Psychopharmakum »Zyprexa« war in den vergangenen Jahren recht häufig in den Schlagzeilen vertreten: einerseits im Wirtschaftsteil, wenn der US-Konzern Eli-Lilly neue Rekordzahlen vermelden konnte, die nicht zuletzt auf die Topumsätze mit Zyprexa (Jahresumsatz 2006: ca. 4 Milliarden US-Dollar) zurückgehen. Andererseits wurden immer wieder die teilweise massiven Nebenwirkungen diskutiert, auf die sich Hinweise in unzähligen Studien finden, die aber seitens Eli-Lilly verharmlost oder geleugnet wurden. Ungeachtet aller Risiken soll Zyprexa in den USA nun auch für Kinder und Jugendliche zugelassen werden.

Auf der negativen Topliste der Medikamentenskandale des Jahres 2007 steht Zyprexa auf einem wenig ehrenvollen dritten Rang. Nun lese ich bei der »Stationären Aufnahme« den Hinweis auf einen ausführlichen Artikel in der »St. Petersburg Times«. Dort wird der Versuch von Eli-Lilly thematisiert, das umstrittene Präparat nun auch noch für Heranwachsende zuzulassen. Und die FDA (US-Arzneimittelbehörde) scheint dem Anliegen zustimmen zu wollen. 

Wenn umsatzstarke Medikamente in die Kritik geraten: Warnungen, Irritationen und Zweifel wurden jahrelang kleingeredet und verharmlost.

Zur Erinnerung: sofort nach seiner Erstzulassung im Jahr 1996 begann der Siegeszug von Zyprexa (Wirkstoff: Olanzapin). Die neue Wirkstoffgruppe der atypischen Neuroleptika wies augenscheinlich viele handfeste Vorteile1 auf und bald wurde von den begeisterten Ärzten der Anwendungsbereich erweitert. Ursprünglich war Zyprexa zur Behandlung von Schizophrenie und zur kurzzeitigen Therapie manischer Phasen bei bipolaren Störungen vorgesehen; da Zyprexa aber als sehr sicher und nebenwirkungsarm galt, wurde es bald auch bei Depressionen, ADHS oder gar Schlafstörungen verschrieben. Für den Hersteller Eli-Lilly wurde »Zyprexa« auf diese Weise zu einem Topseller.

Allerdings gab es schon bald Indizien für massive Nebenwirkungen: unter Einnahme von Zyprexa wurde teilweise eine groteske Gewichtszunahme2 und eine starke Erhöhung des Blutzuckerspiegels beobachtet. Kein Wunder, daß auch die Diabetesneigung deutlich anstieg – aber war dies eine direkte Folge des Medikaments oder doch nur mittelbar durch die Gewichtszunahme bedingt? Und ist es nicht bekannt, daß Schizophreniepatienten recht häufig Freßattacken erleben und deutlich an Gewicht zunehmen?3 

Reaktion auf Zweifel und Kritik: mehr PR und Marketing

Aber seit spätestens 1998 äußerten sich dutzende Ärzte besorgt und irritiert über die Begleiterscheinungen, die sie an ihren Patienten beobachteten:

There were letters from doctors who raved about the drug’s effectiveness but warned Lilly that patients were developing diabetes at an alarming rate. Like this one from 2001, from Dr. Clif Tennison, in Knoxville: "It is troublesome, frustrating and occasionally irritating to repeatedly hear the official line that a relationship between Zyprexa and diabetes is unclear, that diabetes is known to occur more frequently in mentally ill people with or without meds, etc. We know that.

But we also know that our Zyprexa patients gain weight and that they do develop diabetes. It feels as if our concerns are being dismissed, and that if we would just listen to the experts, we wouldn’t worry about this anymore."

Lilly reagierte auf seine Weise: es verschärfte das Marketing und wies seine Pharmavertreter an, alle Bedenken zu zerstreuen. Die St. Petersburg Times zitiert einen der damaligen Lilly-Vertreter, der zu Protokoll gibt:

"We were taught to downplay it and negate it, or to change the topic."

Und auf Ärzte, die immer noch Zweifel äußerten, konterte er mit folgendem Spruch:

"Would you rather have a skinny, unwell patient or a fat, stable one?"

Kleine Ironie am Rande: natürlich hat Eli-Lilly auch überaus umsatzstarke Cholesterinsenker in seinem Portefeuille. Wer also nach der Zyprexa-Therapie an Diabetes leidet, bleibt dem Unternehmen weiterhin treu – er schluckt dann einfach einige der Pillen, die den Blutzucker senken sollen…

Um den Topseller nicht zu gefährden, werden Studien manipuliert, Zahlen geschönt und die Zusammenhänge verschleiert. Taschenspielertricks eines geldgierigen Pharmamultis?

Und um seine Geldmaschine weiter am Laufen zu halten, sorgte Eli-Lilly intern für ein maximal sauberes Image. Wie erst 2006 nach Recherchen der »New York Times« öffentlich wurde,4 hat Eli-Lilly seit 1999 unzählige Studien entweder zurückgehalten, die Werte geschönt oder auf andere Art die negativen Aspekte verschleiert. Auffällige Werte wurden in Fußnoten versteckt oder es wurden ganze Patientengruppen nachträglich aus den Analysen herausgenommen, angeblich weil im Labor Fehler unterlaufen seien. Und wenn solche Methoden nicht ausreichten, dann veränderte man schlicht die Werte, bevor man die Studienergebnisse öffentlich machte.

Schweigegeld für geschädigte Patienten eines angeblich sicheren Medikaments?

An der Tatsache, daß tausende Patienten im "freien Pharmafeldversuch" dennoch genau die diskutierten Begleiterscheinungen am eigenen Körper erleiden mußten, änderten die Taschenspielertricks von Eli-Lilly freilich wenig. Nachdem sich tausende Zyprexa-Diabetes-Opfer zusammengeschlossen hatten, zahlte Eli-Lilly im Jahr 2005 als Ausgleichszahlung 1.2 Milliarden US-Dollar. Man könnte diese Summe vermutlich auch als Schweigegeld bezeichnen.

Kinder und Jugendliche reagieren noch empfindlicher auf die atypischen Neuroleptika wie bspw. Zyprexa. Dennoch sieht es so aus, als würde die FDA demnächst die Zulassung auch auf Heranwachsende ausweiten….

Die Geschäfte mit Zyprexa, das weltweit 2 Millionen Patienten einnehmen, laufen seitdem weiter. Bestimmte Warnhinweise wurden etwas fetter auf den Beipackzettel gedruckt, ansonsten änderte sich wenig. Und obwohl auch aus Studien bekannt ist, daß Kinder noch empfindlicher auf die unerwünschten Effekte des Wirkstoffs »Olanzapin« reagieren, drängt Lilly nun auf Zulassung genau für diesen Personenkreis.

David Healy, einer der anerkanntesten Pharmakologieexperten und Professor für Psychiatrie an der University of North Wales, ist freilich empört und betont, daß Zyprexa selbst bei Erwachsenen erst zur Anwendung gelangen solle, wenn es keine anderen Alternativen gebe. Und den Einsatz bei Kindern und Jugendlichen hält er für absolut verrückt:

"It ought not to be used in children at all," he said. "It is going to be marketed as a safe and gentle drug. It is not a safe and gentle drug. I think it’s an extremely dangerous drug. The idea that it’s going to be given to children on a large scale is quite scary." [alle Zitate: Farley, Robert – St. Petersbrug Times]

Wenn man freilich berücksichtigt, daß in den Pharmakonzernen leider häufiger der Blick auf die Umsatzentwicklung entscheidet und der verantwortliche Umgang mit den potentiell risikobehafteten Produkten viel zu selten ist, darf man vermutlich eher erwarten, daß die Stimmen der Skeptiker ungehört bleiben und sich Eli-Lilly alsbald an neuen Klienten und neuen Rekordzahlen erfreuen darf.

 


Link:

[Weitere Links finden sich in folgendem Artikel der Wissenswerkstatt, s. Platz "3" der Liste.] 

 

Einen interessanten Einblick in die Praktiken der Pharmabranche gibt das Interview mit John Rengen, der 8 Jahre lang Geschäftsführer von Eli-Lilly in Schweden war:

 

  1. Die "alten" Medikamente führten bspw. recht häufig zu Tremores (unwillkürliches Zittern, Muskelkontraktionen) oder zu Gesichtszuckungen. []
  2. In der Größenordnung von 20-30kg in wenigen Monaten. []
  3. Diese Ausreden wurden u.a. von Eli-Lilly bemüht, um Zusammenhänge zu verschleiern. []
  4. Die Links auf die Artikel von Alex Berenson finden sich in diesem Wissenswerkstatt-Artikel. []

1 Gedanke zu „Wenn Geschäftssinn und medizinische Verantwortung kollidieren » Eli-Lilly drängt auf Zulassung seines umstrittenen Medikaments „Zyprexa“ für Kinder und Jugendliche“

  1. Zugegeben, ich setze Zyprexa selber ein. Allerdings heute weit kritischer als noch vor ein paar Jahren (siehe auch meinen Blog web4health.blogspot.com). Hintergrund bei mir : Ein Todesfall einer Schizophreniepatientin unter der Medikation. Mich stört auch die stillschweigende Ausweitung der Indikationen für atypische Neuroleptika. Während klassische Neuroleptika verteufelt werden, setzen Ärzte Atypika immer unkritischer ein.

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