Das Dilemma alternativer wissenschaftlicher Publikationsformate

Weshalb Open Access und Wissenschaftsblogs auch weiter Akzeptanzprobleme haben werden

Schreibmaschinen-BuchstabenForscher nutzen Blogs ganz selbstverständlich als digitales Notizheft, ihre Ergebnisse publizieren sie in überall verfügbaren Open-Access-Zeitschriften und die unheilvolle Macht von Elsevier & Co. ist gebrochen. Das ist die schöne, neue Welt der wissenschaftlichen Publikationskultur 2.0.

Doch die Realität sieht anders aus. Mit einem Jahresumsatz von mehr als 2 Milliarden Euro – so das Ergebnis 2011 – läuft das Geschäft der ‚Blutsauger‚ von Elsevier ganz prächtig. Und Wissenschaftsblogs gelten immer noch als exotisch, verdächtig oder allenfalls als zeitaufwändige Liebhaberei. Und dafür gibt es Gründe…

Vorgestern hat Lilian Landes, die als Redakteurin die Rezensionsplattform recensio.net betreut, in einem Blogpost darüber gemeckert, daß für Wissenschaftsblogs immer wieder mit dem Argument geworben werde, daß dort auch unfertige Gedanken niedergeschrieben und das Blog ganz generell als Schreibtraining genutzt werden könne.

Taugen Blogs nur als Sammelplatz von unausgereiften Gedanken und fachlich kaum relevanten Notizen? Wie können Akzeptanz und Prestige erhöht werden?

Insofern dürfe man sich auch nicht darüber wundern, daß Blogs weiterhin als minderwertig und für den akademischen Diskurs als weitgehend irrelevant gelten. In der Wahrnehmung (zu) vieler Wissenschaftler seien Blogs allenfalls Abladeplatz, „für all jene Texte, die nicht ausgereift und nicht fundiert genug sind, um es auf Papier zu schaffen.“

Warum sollten Wissenschaftsblogs ernstgenommen werden?

So sehr ich in der Diagnose mit Lilian übereinstimme, so wenig teile ich ihre Schlußfolgerung. Sie fordert nämlich, doch bitte damit aufzuhören, Wissenschaftsblogs als Schreibtraining darzustellen. Diese Argumentation sei nur Wasser auf die Mühlen der skeptischen Fraktion.

Da ich selbst regelmäßig in Gesprächen und Seminaren die vielen Vorteile des wissenschaftlichen Bloggens herausstelle und dabei auch immer wieder das Schreibtraining erwähne, gehöre ich also wohl auch zu denjenigen, die verhindern, daß Blogs endlich in der Wissenschaft „ankommen“. Daß Blogposts ganz selbstverständlich akzeptiert werden, man gar in Berufungsverfahren mit dem Blog punkten kann etc.

Wissenschaftliches-Schreiben
Häufig noch ein traditionelles Geschäft: Wissenschaftliches Schreiben

Doch ich fürchte, daß ich den Vorschlag von Lilian Landes nicht beherzigen werde – denn 1. wird das richtige Argument nicht falsch dadurch, daß es Leute, die sowieso keine Ahnung haben in ihren Vorurteilen bestärkt, und 2. gibt es zunächst andere Faktoren, die es verhindern, daß Wissenschaftsblogs (oder auch neue Online-Zeitschriften-Formate) wirklich Erfolg haben. Ein Beispiel…

Schizophrene Protagonisten der Wissenschaftspublikationskultur 2.0

Die Fans des Wissenschaftsbloggens sind alle ein bißchen wie Julia Schramm:1 da wird lamentiert, daß die akademische Publikationskultur nicht mehr zeitgemäß sei und auf das großartige Potential alternativer Formen (i.e. Open Access, Blogs etc.) hingewiesen. Doch wenn man selbst an der Reihe ist, dann veröffentlicht man seinen Aufsatz natürlich auch in den etablierten, im Zweifel auf Papier gedruckten Fachjournals.

Ich kann das auch verstehen. Jedem jungen Wissenschaftler ist klar, daß er seine Forschungsergebnisse bestmöglich „platzieren“ muß. Es geht um akademisches Prestige und um Karrierechancen. Das nächste Bewerbungsgespräch kommt bestimmt. Und wie blöd wäre man, wenn man dann hochkarätige Forschungsergebnisse in zwar sympathischen, aber im Fach bislang wenig respektierten Online-Journals veröffentlichen würde.

Über die Angst, den Anfang zu machen

Aber genau hier beißt sich die Katze in den Schwanz. Denn wenn auch diejenigen, die es gut meinen (und von der Idee des Open Access oder den noch deutlich unkonventionelleren Wissenschaftsblogs überzeugt sind), also wenn selbst die Protagonisten der wissenschaftlichen Publikation 2.0 ihre wirklich wichtigen Inhalte in die „alten“ Kanäle einspeisen, dann wird sich mittelfristig an deren Dominanz auch nichts ändern.

Wo sind die Wissenschaftsblogger, die mit ‚gutem Beispiel‘ vorangehen und ihre Ergebnisse im Blog publizieren?

Es wäre allerhöchste Zeit, daß sich hier etwas bewegt. Klar ist, daß hier v.a. Wissenschaftler gefragt sind, die sich bereits einen gewissen Status in ihrer Community gesichert haben. Wenn irgendein Nachwuchsforscher interessante Ergebnisse in seinem Blog publiziert, dann ändert das nicht wirklich viel.2 Wenn freilich gestandene Professoren, Fachvertreter auf deren Forschungsergebnisse andere Peers gespannt warten, wenn also etablierte Wissenschaftler die akademischen Konventionen ignorieren und statt in Journals mit tollem Impact Factor in ihren (privaten) Blogs publizieren würden, dann würde das etwas ändern.

Wer macht den Anfang?3

Photos/Bildquellen: Jeweils stock.xchng, Buchstaben: User ‚typofi‘, Füller: User ‚hisks‘

  1. Auf den Fall der Piratenpolitikerin Julia Schramm, die vor zwei Wochen ihr (schlechtes) Buch in einem ordinären Verlag publiziert und dafür dem Vernehmen nach einen ordentlichen Vorschuß eingeheimst hat und auf diese Weise die Ernsthaftig- und Glaubwürdigkeit der Piratenforderung nach alternativen Geschäftsmodellen konterkariert hat, bin ich damals nicht eingegangen. Irgendwie war mir dieses überschätzte Buch samt seiner Autorin zu anstrengend. Vielleicht verstehe ich Julia Schramm auch nicht, aber mir ist das zuviel Kindergeburtstag eines verwöhnten Teenagers. Lesenswert: Malte Welding und Alexandra Tobor. []
  2. Und ist individuell gesehen – weil Nachteile in der weiteren wissenschaftlichen Laufbahn vorhersehbar sind – reichlich naiv. []
  3. Ich selbst würde ja, aber gehöre ja mittlerweile nicht einmal mehr zur Fraktion der ziemlich irrelevanten Nachwuchswissenschaftler. Allerdings überlege ich derzeit, wo und wie ich die Ergebnisse meiner Twitterstudie publizieren werde. Hier in der Werkstatt auf alle Fälle, aber auch woanders….? []

29 Gedanken zu „Das Dilemma alternativer wissenschaftlicher Publikationsformate“

  1. Wieso sollte ich meine Ergebnisse in einem Blog präsentieren? Mein Projektleiter würde mir sagen, ich solle meine Zeit nicht vergeuden, die Leitung vom Forschungsbereich würde wieder auf „hochkarätige Veröffentlichungen“ pochen, und am Ende würde die DFG für eine weitere Förderphase nichts dran finden. Da hängt meine Zukunft dran, und ich mag meinen Job. Gut, ich könnte das zusätzlich machen, in meiner Freizeit. Aber es soll ja auch noch Leute geben, die tatsächlich nicht ganz und gar ausschließlich für die Forschung leben und in ihrer Freizeit was anderes machen.

    Für mich wäre die Rolle von Blogs eher im populärwissenschaftlichen Bereich zu finden. Da haben aber die meisten Wissenschaftler nicht das Verständnis, warum man einer breiten Masse seine Arbeit präsentieren sollte, obwohl die einen als Steuerzahler ja aushalten. Außerdem ist das schwierig, vor allem bei der eigenen Arbeit, die für die Allgemeinheit verständlich zu erklären. Je näher am Prof, desto weniger können sich die Leute verständlich machen.

    Das Blog als „Übungsraum“ oder „Testgelände“ – ich sehe das auch nicht so, aber andererseits: Wenn ich was wirklich gut kann, warum sollte ich darüber bloggen? Da könnte ich es doch auch an eine populärwissenschaftliche Zeitschrift verkaufen. Gerade bei halben Doktorandengehältern ist das doch die attraktivere Idee.

    Wer Open Access erfolgreich in Action sehen will, sollte sich die Organe der Association for Computational Linguistics anschauen. (Journal und Proceedings.)

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  2. @DrNi:

    Ja, ich gebe Dir ja (zumindest was den ersten Absatz deines Kommentars betrifft) zu 100% recht. Ich habe selbst oben geschrieben, daß es vollkommen doof wäre, wenn Wissenschaftler ihre Forschungsergebnisse einfach spontan in ihr Blog packen. Mir kam es in meinem Text ja eben darauf an, auf die etwas verquere Argumentation hinzuweisen, wenn einerseits gejammert wird, daß Blogs belächelt werden und wenn es drauf ankommt, kaum zählen (wenn es um Jobs, Projektanträge und Geld geht), andererseits auch diejenigen, die jammern kaum etwas dazu beitragen an diesem Zustand was zu ändern… Mein Text ist ja eben eine Antwort auf dieses Blogposting: „Versuchen Sie es doch ersteinmal mit einem Blog…“.

    Allerdings fände ich es (zumindest als „Experiment“) schon spannend, was sich (in welchem zeitraum etc.) ändern würde, wenn in einem einzelnen Fach nur eine handvoll renommierter Leute auf die Publikation in den üblichen Journals verzichten würden und stattdessen das nur in ihr Blog packen. Wenn das 5-6 der Topleute in einer Disziplin machen, wird das etwas verändern.

    Ansonsten gebe ich Dir auch noch darin Recht, daß es zwischen Blogs und Open-Access-Journals einen ziemlich großen Unterschied gibt. (Ich habe beide Formate hier ausnahmsweise in einen Topf geworfen, weil es in dem Posting auf das ich antworte auch verquickt wird).

    Und abschließend noch der Verweis auf ein kurzes Posting vom Mai, in dem ich nochmal betont habe: „Wissenschaftsblogs sind nicht der Ort, an dem relevante wissenschaftliche Ergebnisse publiziert werden. Blogs sind kein Ersatz für Fachzeitschriften.“

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  3. Warum sollten gestandene Wissenschaftler oder Professoren es anders machen? Auch bei ihnen werden die Institutsmittel anhand der „relevanten“ Publikationen verteilt und auch für ihre Projekte sind solche Publikationen wichtig (siehe Argument des vorposters). Ich glaube, so schnell wird sich daran nichts ändern.

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  4. Wer macht den Anfang? ist einfach nur eine Frechheit.

    Den Anfang habe ich bereits seit langem gemacht, indem ich in Archivalia Forschungsmiszellen publiziert habe, bislang sind seit 2005 über 120 genuine Forschungsbeiträge in diesem Rahmen publiziert worden:

    http://archiv.twoday.net/search?q=%23forschung

    Archivalia wird im übrigen auch in gedruckten Publikationen immer wieder zitiert, selbst in der vielleicht angesehensten deutschsprachigen Zeitschrift der Geschichtswissenschaft, der Historischen Zeitschrift. Mit weit über 200 gedruckten wissenschaftlichen Publikationen (davon null Prozent Vanity Publishing) – die meisten online einsehbar – bin ich alles andere als ein Außenseiter in der Geschichtswissenschaft. Auf dem Feld der historischen Landesgeschichte und der Erinnerungskultur der Vormoderne werden meine Studien nicht weniger rezipiert als die des durchschnittlichen Professors.

    Nicht das erste Mal muss ich mich über Scheloskes bodenlose Ignoranz aufregen, was geisteswissenschaftliche Blogs angeht.

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    • Lieber Klaus Graf,

      Danke für den Kommentar und ich freue mich wirklich über so energischen Widerspruch. Allerdings geht der Angriff ziemlich ins Leere. Archivalia kenne ich doch seit Jahr und Tag und Ihr bloggendes Engagement schätze ich ebenso.

      Aber das ändert doch alles nichts an meiner grundsätzlichen Diagnose! Spannend wäre es (so unrealistisch dieses Szenario auch ist), wenn in einer Disziplin (mehrere) gestandene Professoren (Plural!) von der Publikation in den üblichen Zeitschriften zur Eigenpublikation in Blogs umstellen würden. Das wäre ein Signal!

      Ihre unbestritten verdienstvolle Pionierarbeit, Herr Graf, in allen Ehren, aber sie sind in ihrem Fach ein Paradiesvogel. Und ein „Graf“ macht eben noch keinen Sommer…

  5. Das Dilemma, dass sie beschreiben, gibt es gar nicht mehr. das forschungsbegleitende Bloggen ist in vielen (v.a. jungen) Projekten bereits angekommen.

    Natürlich kann man seinen Vortrag noch in einem Kongressband veröffentlichen – viel zu spät und leicht veraltet. Die Publikation eines Aufsatzes in einer Zeitschrift oder einer Institutsreihe ist doch sowieso ein abgekartetes Spiel. Gerade dort wimmelt es von unausgegorenem preliminary results-Blabla, das zwar die Publikationsliste der Beteiligten verlängert, der Leser aber hat davon keinen Gewinn mehr: das vorläufig von gestern ist ja heute schon vorbei.

    Ich arbeite in einer alt-ehrwürdigen Institution in einem zukunftsweisenden Projekt, sehe die Ergebnisse meiner jüngeren Kollegen und die Pläne meiner älteren Kollegen: alle bespielen mehr oder weniger intensiv die ganze Breite der Publikationsmöglichkeiten.

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    • @mimimaloon:

      Faustische Kurz-Antwort:
      Die Botschaft hör ich wohl, allein mir fehlt der Glaube.

      Lange Version:
      Es würde mich ja freuen, wenn es so wäre. Sie mögen gerne eine Ausnahme sein (klingt ja auch toll: „altehrwürdige Institution und zukunftsweisendes Projekt“), üblich scheint es mir freilich nicht, daß Wissenschaftler (junge und alte!) die ganze Bandbreite an Publikations- und Kommunikationsmöglichkeiten nutzen. Es wäre interessant zu erfahren, in welcher Disziplin sie tätig sind und welche Institution hier so fortschrittlich ist.

      Wobei ich eine Sache auch noch reklamieren muß: ich finde es toll, wenn zu Forschungsprojekten ein Blog erstellt wird. Aber davon habe ich nicht gesprochen. Mir ging es um die Publikation von Forschungsergebnissen (!), für die es ja eben die einschlägigen Zeitschriften gibt. Wenn Sie mir dafür Beispiele geben, dann gestehe ich gerne ein, daß das Dilemma von dem ich schreibe allein meiner Phantasie entsprungen ist.

      P.S.: Über Links zu den Forschungsprojektblogs würde ich mich auch freuen. ;-)

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