Unpolitische Studentengeneration ::: Religiosität als Stressblocker | Werkstatt-Ticker 59

Ticker.jpg» Jung, unpolitisch, desinteressiert…

Mein Studium liegt schon einige Jahre zurück und vermutlich ist das auch gut so. Jüngste Studienergebnisse, die sich mit Einstellungen, Werthaltungen und politischem Engagement von Studenten beschäftigen, zeigen ein interessantes, in manchen Facetten ziemlich trauriges  Bild: heutige Studenten sind unpolitischer denn je und pendeln irgendwo im Niemandsland von Lethargie und neuer Bürgerlichkeit.

Die Hochschulforscher aus Konstanz führen seit Jahren regelmäßig Befragungen zu Lust und Frust des Studiums, Zukunftsperspektiven und Einstellung der Studentengeneration durch. Aktuell wurden fast 9000 Studenten an 25 Unis befragt.

Studentengeneration 2009: Ängstlich, lethargisch, latent fremdenfeindlich?

Lediglich 37% gaben zur Auskunft, daß sie sich halbwegs für Politik interessierten (das sind fast 20% weniger als noch vor wenigen Jahren). Und sich selbst verorten die meisten angehenden Akademiker auch nicht mehr innerhalb der klassischen politischen Lager, sondern „irgendwo in der Mitte“.

Verloren in dieser unentschiedenen Mitte sprechen sich 52% für die „Förderung von Technologien“ sowie die „harte Bestrafung von Kriminellen“ aus. Da wundert dann auch kaum mehr, daß jeder vierte Student die „Begrenzung der Zuwanderung von Ausländern“ fordert und stattliche 17% sich für die „Abwehr kultureller Überfremdung“ aussprechen.

Traurig.

» Feine Unterschiede: Unterscheidet sich das Gehirn von Gläubigen und Nicht-Gläubigen?

Um überhaupt erst gar keine Mißverständnisse aufkommen zu lassen: ich halte nichts von pauschalen Kategorisierungen, die auf der einen Seite vermeintlich naive Gläubige, auf der anderen Seite aufgeklärte, rationale Atheisten verorten.1 Nach meinen Erfahrungen gibt es in beiden Fraktionen vernünftige, liebenswerte Zeitgenossen. Und es gibt genausoviele aufgeklärt, liberale Christen, wie es eben auch verbohrt, dogmatische Atheisten gibt.

Doch bei aller Gemeinsamkeit in der Haltung, so unterscheiden sich diese beiden Personengruppen – wenigstens wenn man manchen Studien glauben darf – hinsichtlich ihrer neurologischen Basisausstattung.

Weniger Stress durch Glauben?

Ein Forscherteam um den Psychologen Michael Inzlicht von der Uni in Toronto hat herausgefunden, daß gläubige Probanden bei einem Test deutlich weniger Stressanzeichen zeigten, wenn sie Fehler machten. Im Bereich des Anterior Cingulate Cortex (ACC) zeigte diese Gruppe weniger Aktivitätsmuster, als die Probanden, die nichtreligiös waren. Inzlicht erläutert:

„We found that religious people or even people who simply believe in the existence of God show significantly less brain activity in relation to their own errors. They’re much less anxious and feel less stressed when they have made an error.“

Nun stellt sich freilich die Frage, ob hier ein kausaler Zusammenhang besteht. Oder anders: ist dieses neuronale Verabeitungsmuster von Stress bzw. der Umgang mit eigenen Fehlern (in diesem bestimmten Hirnbereich) eine Folge der religiösen Praxis? Oder ist es schlicht (und möglicherweise ganz zufällig) so, daß eben just solche Personen, die hier Auffälligkeiten aufweisen auch besonders dazu neigen an Gott zu glauben?

Oder nochmal anders und einfach formuliert, was war zuerst da: Glaube oder Stressresistenz? Ob der bloggende Neurotheologe Michael Blume hier bereits eine Antwort hat?


  1. Solche Pauschalisierungen gibt es freilich genauso häufig in der Form, daß sich gott- und gewissenlose Atheisten gegenüber verantwortungsbewußt-ethisch handelnden Christen gegenüberstehen. Alles Quatsch… []

9 Gedanken zu „Unpolitische Studentengeneration ::: Religiosität als Stressblocker | Werkstatt-Ticker 59“

  1. Oha, der „Neurotheologe“ wird Michael eher nicht gefallen, fürchte ich… Der Mann ist Religionswissenschaftler, nach dem, was ich so mitbekommen habe, ist das genau die andere Seite der Barrikade. ;-)

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  2. @Fischer:

    Ich weiß doch, daß er Religionswissenschaftler ist, aber habe vorhin bei ihm auf der Seite ein älteres Interview gefunden, wo er auch als „Neurotheologe“ bezeichnet wird. Und ich denke, er verkraftet auch diesen Titel. :-)

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  3. Ich hätte da ein Gedankenexperiment: Wann bist Du mehr gestresst? Wenn Du in Deinem Blog, den Du ganz alleine zu verantworten hast, ein heißes Eisen anfasst. Oder wenn Du dies halbanonym bei Scienceblogs im Topthema tust.

    Die Studie könnte also auch ein Indiz für „Gottvertrauen“ sein.

    Apropos heißes Eisen: Was hat denn Religion mit Wissen zu tun ;o)

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    • @Oli:

      Die Studie könnte also auch ein Indiz für “Gottvertrauen” sein.

      Klar. Ich lese das genau so. Und die Tatsache, daß wir üblicherweise in Situationen, in denen wir ggf. Unterstützung beanspruchen könnten bzw. nicht vollkommen alleine dastehen, auch souveräner agieren und weniger Stress haben, ist ja auch hinlänglich belegt, behaupte ich.

      Interessant ist ja nur, daß gläubige Personen offenbar diesen stressreduzierenden Beistand immer bei sich haben. Was ja ein netter Effekt ist.

      Aber zu deinem Gedankenexperiment: naja, für heiße Eisen eignet sich das Topthema ja nicht. Und diese halbanonyme Sache ist auch nicht der Weisheit letzter Schluß. Generell stehe ich ganz entspannt zu den Dingen, die ich schreibe. Egal ob hier in der Werkstatt oder anderswo. Vielleicht sollte ich mir aber tatsächlich mehr Gedanken bzgl. potentieller Konsequenzen machen, die sich natürlich – abhängig vom Ort, an dem ich evtl. anecke – unterschiedlich ausfallen können.

  4. Bei der unpolitischen Jugend frage ich mich immer, ob wir denn die großen Zeiten deutscher politisierter Jugend zurückwünschen. Es kann durchaus eine rationale und dem politischen System der BRD zuträgliche Entscheidung sein, sich des politischen Engagements zu enthalten. Gebloggt habe ich dazu auch: http://anouphagos.com/wordpress/?p=1985

    Ich vermute, dass in Bezug auf deine Überlegung zur Kausalität von Stress-Resistenz und Religiosität beide Richtungen stimmen: Sicherlich neigen religiöse Menschen weniger zum Stress, gleichzeitig ist bei eher robusten psychischen Naturen die Neigung zur Religiosität möglicherweise Größer. Die Religiosität wirkt im ersten Falle vielleicht auch noch als positiver Verstärker.

    Und deine Beobachtung, dass es rationale Christen und verbohrte Atheisten gibt, kann ich aus meiner langjährigen Erfahrung in „Atheistenorganisationen“ nur bestätigen. An welchen Gott man glaubt, bleibt sich letztlich gleich, und wenn es der Götze der unbedingten Gotteskritik ist.

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    • @Dennis:

      Bei der unpolitischen Jugend frage ich mich immer, ob wir denn die großen Zeiten deutscher politisierter Jugend zurückwünschen.

      Das ist doch bitte kein Argument! Es ging mir oben um politisches Interesse, um die Anteilnahme am öffentlichen Leben im Sinne eines Bewußtseins dafür, daß es eine gewisse Mitverantwortlichkeit gibt, derer man sich auch durch Ignorieren der öffentlichen Sphäre nicht entziehen kann.

      Ansonsten halte ich es mit Max Frisch: „Wer sich nicht mit Politik befaßt, hat die politische Parteinahme, die er sich sparen möchte, bereits vollzogen: er dient der herrschenden Partei.“

  5. @ Fischer, Marc

    Ihr wart schneller als ich! :-) Ich habe die Aussagen von „Neurotheologen“ (also von Hirnforschern, die aus ihren Befunden Aussagen über Gott, Religion etc. abgeleitet haben) kritisch-konstruktiv in meiner Dissertation analysiert, bin aber selber kein XY-Theologe, sondern (dem methodologischen Agnostizismus verpflichteter) Religionswissenschaftler. ;-)

    Aber das Thema an sich ist ja jetzt gerade Titelthema bei Gehirn & Geist:
    http://www.chronologs.de/chrono/blog/natur-des-glaubens/allgemein/2009-03-07/zum-glauben-geboren-forscher-ergr-nden-die-evolution-der-religion

    Euch beste Grüße, freue mich aufs Wiedersehen, bis bald!

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