Wahlprognosen: Von der Veröffentlichung, dem Weitertuscheln und Mogelpackungen

demoskopieWas macht die Demokratie aus? Daß wir eine mißliebige Regierung ohne Blutvergießen wieder loswerden können, so schrieb vor fast 65 Jahren Karl Popper. Und der Wahlakt, durch den sich die Willensäußerung des demokratischen Souveräns vollzieht, ist folglich ein bis ins letzte Detail reglementiertes Verfahren. An Wahlsonntagen wird gemeinhin nichts dem Zufall überlassen und doch gibt es Grauzonen. Die Bekanntgabe der Wahlprognosen gehört dazu.

Wahlsonntage haben eine wunderbar ritualisierte Dramaturgie: am Nachmittag vermelden die Radionachrichten, daß die Wahlbeteiligung bislang zu wünschen übrig ließe, was einmal dem guten, dann wieder dem schlechten Wetter zugerechnet wird. Und dann wartet die politische Republik gespannt bis 18.00 Uhr, bis im Fernsehen der freundliche Herr Deppendorf oder der Herr Schönenborn auftaucht und endlich erste Wahlergebnisse verkündet werden.
Wobei: das stimmt so natürlich nicht, denn bis die Stimmen wirklich ausgezählt sind, vergehen logischerweise einige Stunden. Bis dahin muß man sich mit Hochrechnungen begnügen und, um Punkt 18 Uhr, mit einer sogenannten Prognose.

Wettbewerb der Demoskopen: Wer erstellt die perfekte Prognose?

Und diese Prognose, die auf der Basis der Befragung von Wahlberechtigten am Wahltag erstellt wird, ist für die einzelnen Wahlforschungsinstitute der eigentliche Kompetenz- und Expertisenachweis. Wer liegt näher am amtlichen Endergebnis? Hat „infratest dimap“ (im Auftrag der ARD) oder die „Forschungsgruppe Wahlen“ (im Auftrag des ZDF) den besseren Riecher?

Klar ist: diese Prognosen dürfen nicht vor Schließung der Wahllokale publiziert werden. Denn sonst wäre ja (mit dem Wissen um einen bestimmten Wahlausgang) noch eine kurzfristige taktische Stimmabgabe einiger Wähler möglich. Und deshalb steht in §32, Absatz 2 des Bundeswahlgesetzes:1

„Die Veröffentlichung von Ergebnissen von Wählerbefragungen nach der Stimmabgabe über den Inhalt der Wahlentscheidung ist vor Ablauf der Wahlzeit unzulässig.“

Soviel zum offiziellen Ablauf.

Wahlprognosen schon vor 18 Uhr bekannt

Aber natürlich gibt es neben diesem offziellen Drehbuch für Wahlsonntage auch noch einen informellen Ablaufplan, der gewöhnlich nur für die Angehörigen eines kleinen Polit- und Medienzirkels relevant ist. Bei der Landtagswahl in Hessen vor 4 Wochen ergab es sich (egal ob nun durch eine dumme Panne oder Dreistigkeit), daß auch für Normalsterbliche offenbar wurde, daß die Zahlen der Wahlprognosen augenscheinlich schon weit vor 18 Uhr kursieren.

In welchem Umfang kursieren die Daten der Nachwahlbefragungen bereits vor 18 Uhr?

Wie man etwa im BILDBlog nachlesen konnte, tickerten die Prognosewerte schon um 17:47 Uhr bei Bild.de über den Ticker. Ein klarer Verstoß gegen die gesetzlichen Regeln, sollte man meinen. Peinlich, dreist, dumm? Egal – es wäre im Grunde auch halb so wild, denn insgeheim weiß und ahnt man es ja sowieso, daß ausgewählte Personenkreise bereits vor Schließung der Wahllokale von den Ergebnissen wissen.

Dorin Popa ist der Sache nachgegangen und hat recherchiert, ob und in welchem Umfang es üblich ist, daß die Prognose-Ergebnisse bereits am späten Nachmittag lanciert werden. Und – das ist das Ärgerliche an der Geschichte: die Verantwortlichen stellen sich dumm oder leugnen schlicht diese so offensichtloiche Praxis.

Auf Nachfragen erfuhr Dorin bei der Forschungsgruppe Wahlen:

„Die Prognosen, die das ZDF bei Wahlen um 18.00 Uhr veröffentlicht“, so Regina Henrich-Dieler „stehen nicht vorher fest und können daher auch nicht vorher an andere Medien weitergegeben werden. Sie werden punktgenau um 18.00 Uhr nach Schließung der Wahllokale errechnet und gesendet.“

Und infratest dimap informierte:

„Bei unserer Wahlberichterstattung, also auch der Prognose am Wahlabend, handelt es sich um eine exklusive Auftragsarbeit für die ARD und ihrer angeschlossenen Anstalten (auch den Hörfunk). Wir bedienen darüber hinaus am Wahltag keine anderen Medien und verweisen bei Anfragen immer auf die ARD.“

Jetzt will es also keiner gewesen sein. Typisch.

Aber es stellt sich doch die Frage, weshalb man hier nicht die Souveränität besitzt und auf Nachfrage einräumt, daß meinetwegen ab 16:30Uhr an handverlesene Journalisten solche Infos rausgegegeben werden. Aber stattdessen die Tatsache leugnen, daß überhaupt vor 17:59Uhr etwas an die Öffentlichkeit gelangt, obwohl Insider es sowieso wissen? Kindisch.
Und man darf gespannt sein, ob bei der nächsten Landtags- oder Bundestagswahl nicht vielleicht doch um 17:20Uhr etwa über Twitter schon erste Prognosewerte weitergezwitschert werden. Was dann vermutlich erstmals wirklich Anlaß wäre, über die Rechtmäßigkeit dieser seltsamen Praxis des Weitertuschelns von Prognosezahlen zu reden…



  1. § 32 Unzulässige Wahlpropaganda und Unterschriftensammlung, unzulässige Veröffentlichung von Wählerbefragungen []

8 Gedanken zu „Wahlprognosen: Von der Veröffentlichung, dem Weitertuscheln und Mogelpackungen“

  1. So klein ist der Zirkel gar nicht, über den sich zwischen 15 und 16 Uhr die ersten Prognosen via SMS und Mail ergießen. Es ist quasi ein Statussymbol, wie mir ein Lobbyist bestätigte, diese Zahlen vor seinen Freunden/Kollegen/Konkurrenten zu erhalten…

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  2. @Dorin:

    Abhängig von der Größe dieser Gruppe stellt sich freilich die Frage, ob hier ein Verstoß gegen §32 vorliegt. Denn wie Du zuletzt richtig geschrieben hast: Journalisten sind letztlich auch Wahlbürger. Wieso sollten für die andere Rechte gelten, als für den normalsterblichen Urnengänger?

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  3. Bei der Bundestagswahl 1998 wurden die Exit Polls – mit dem Sieg Schröders – bereits am Nachmittag in einem britischen TV-Sender (den man via Satellit aber auch hierzulande sehen konnte) ausgeplaudert.

    „Geglaubt“ habe ich’s aber erst, als es um 18:00 Uhr auch alle deutschen Sender erzählten. Wären die wohl bestraft worden, wenn sie vor 18:00 Uhr bereits über die britische SENDUNG berichtet hätten …?

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  4. So wie ich „meine“ MdLs verstanden habe haben die Parteizentralen – wie es oben steht – die „Exit-Polls“-Daten um 16.30 Uhr.

    Wie sollen die denn auch sonst um 18.01 Uhr – bei eindeutigen Werten – sonst ein so glattes Statement rausbringen können. Und ich meine mich zu erinnern, dass im Spiegel 1998 beschrieben wurde, dass Schröder am Nachmittag von seinem Wahlsieg erfuhr.

    Veröffentlicht werden die Zahlen meiner Meinung nach dadurch nicht. Wenn die Redakteure natürlich unfähig sind ein CMS zu bedienen, nun ja, das belegt das Sprichwort, dass es eher Dummheit mehr Leid über die Menschheit bringt als eine Verschwörung

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  5. Mich würde es jedenfalls nicht verwundern, wenn die ersten Ergebnisse schon vor 18.00 Uhr an die Parteien gehen, die diese ja aber nicht weitergeben werden/sollten, weshalb von einer „Veröffentlichung“ im juristischen Sinn im Grunde keine Rede sein kann. Die Zahlen auch an Journalisten zu geben (worauf die Bild-Tickermeldung ja hindeutet) wäre natürlich eine unnötig riskante Dummheit…

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  6. @Marc W. und Christian:

    Ja, im Grunde sind wir uns ja alle einig, daß es im Grunde auch halb so wild wäre, wenn (allerdings wirklich eine eng begrenzte Personengruppe) auch bereits vor 18 Uhr informiert wird. Und es ist ja ganz offenbar auch ein offenes Geheimnis. Es ist ja nur hochgradig albern, daß es auf Nachfrage so dargestellt wird, als blieben die Zahlen tatsächlich bis 18.00Uhr unter Verschluß.

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