Verheddert: Ulrich Clauß verfängt sich in herbeiphantasierten Schleppnetzen und versteht die Welt nicht mehr

FrustMan muß nicht alles gut finden, was im Internet steht. Ja, man sollte sogar kritisch sein und auf keinen Fall zu naiv gegenüber der überbordenden digitalen Informationsfülle. Ob man sich freilich trotzig in den Schmollwinkel zurückziehen und mit dem Finger auf das böse, böse Internet da draußen zeigen sollte, ist dennoch mehr als fraglich. Allzu leicht gerät das pauschale Internetbashing zu einer epochalen Peinlichkeit, wie man aktuell am Leitartikel von Ulrich Clauß in der Welt sehen kann.

Mir mag es ja einleuchten, daß früher auch nicht alles schlecht war. Da hatte man als Medienschaffender die erhoffte Karriere gemacht. War in die entsprechende Position in einem Verlag, einer Redaktion aufgestiegen. Nannte sich Journalist und Meinungsbildner und ja auch – nicht unberechtigt – die vierte Gewalt im Staat.

Melancholie macht sich breit: Die guten alten Medienzeiten

Selbstbeweihräucherung: Der Journalismus als Deich, der die arglose Medienkonsumenten vor den allzu wilden Informationsfluten beschützt.

Das Publikum da draußen versorgte man alltäglich mit den Informationen, die ihm zumutbar waren. Denn wer die Profession des Journalisten wirklich ernstnahm, der wußte nicht nur zu recherchieren und sorgfältig abwägend zu argumentieren, sondern verstand sich auch als selektierender Gatekeeper.

Der Journalismus früherer, besserer Zeiten war immer auch so etwas wie der Schutzwall, der Deich, der die arglose Medienkonsumenten vor den allzu wilden Informationsfluten beschützte.

Ulrich Clauß, Politikredakteur der Qualitätszeitung „Die Welt“, wünscht sich ganz offenbar in diese guten alten Zeiten zurück. In seinem Leitartikel vom 8.11.2008 phantasiert er eine heile Welt des verantwortungsvollen Journalismus herbei und bringt diesen gegen die perfide Gerüchteküche und Desinformationsmaschine in Stellung, die auf den Namen „Internet“ hört.

Teuflisch-perverse Medienwelt: Das Internet als Gerüchteküche und Desinformationsmaschine.

Blinder Rundumschlag: Wo bleibt die angemahnte Differenzierung?

Und Clauß, der seine journalistische Laufbahn in den 80er Jahren begann, ist wütend. Dumm nur, daß er in seinem journalistischen Furor fröhlich Äpfel und Birnen zusammenwirft und dabei eben auch eine der angeblichen Kerntugenden des bewährten Journalismus mißachtet: die Differenzierung. Erstaunlich, daß einer altgedienten Kraft wie Ulrich Clauß solchermaßen die Pferde durchgehen und er nicht nur wild galoppierend Freund und Feind beschädigt, sondern vor allem sich selbst.

Die Polemiken der Jungs aus den Redaktionen von Holtzbrinck, Springer oder dem Süddeutschen Verlag hatten ja immer respektablen Unterhaltungswert. Da wurden Blogs als Tummelplatz der Ahnungslosen bezeichnet oder gleich das gesamte Web2.0 als „loser generated content“ etikettiert.

Die jüngste Philippika von Ulrich Clauß läßt den halbwegs informierten Leser allerdings fassungslos zurück. Ist Clauß nur unfreiwillig komisch oder muß man sich ernsthaft Sorgen um ihn machen? Kann man so jemanden noch weiterhin auf die wehrlosen (Welt-)Leser loslassen? Eines steht jedenfalls fest: mit soviel Schaum vor dem Mund macht man sich selbst als Leitartikler der Welt hoffnungslos lächerlich.

Zuviel Adrenalin, zuviel Schaum vorm Mund verstellt den klaren Blick, Herr Clauß!

Denn Clauß schimpft nicht nur wie ein Rohrspatz auf das Internet und die „Verluderung der Netzsitten“, für ihn steht fest, daß

„der weitaus größte Teil der Internetinhalte aus anonymem Meinungswissen, Gerüchten, übler Nachrede und mehr oder weniger professionell organisierter Desinformation [besteht].“

Totengräber Barack Obama: Umgehung der Informations-Gatekeeper

Unübertrefflich komisch bzw. tragisch ist dann freilich, daß er zur Bestätigung seiner obskuren These so rasend wie ahnungslos in seiner Argumentekiste wühlt und dabei erstaunliches zu Tage fördert:

Die „Informationsstrategie“ Barack Obamas dient ihm als Beweis dafür, daß die „Filter- und Prüfungsautorität“ des Journalismus verlustig ginge. Denn Obama habe sich erdreistet seine Botschaften auch durch Blogs verbreiten zu lassen! Ein – zumindest für Ulrich Clauß – unerhörter Vorgang, denn so werde die „übliche Kette der Informationsvermittlung“ umgangen.

Barack Obama, der Totengräber des handwerklich sauber arbeitenden Journalismus, wird in diesem Leben bei Ulrich Clauß kaum mehr punkten können.

Als weiteres Beispiel führt Clauß das vor wenigen Wochen u.a. durch Blogs kolportierte Gerücht an, daß Apple-Chef Steve Jobs einen Herzinfarkt erlitten habe. Nicht fein, zugegeben – aber Clauß erwartet nicht ernsthaft, daß man ihm dutzendeweise Beispiele liefert, in denen der redaktionelle Wirtschaftsjournalismus sich an der gezielten Streuung von Gerüchten beteiligt hat, oder?

Im Grunde wären diese beiden schräg-anekdotischen Argumente bloßstellend genug. Wirklich stichhaltig sind sie nicht. Vollkommen dadaistisch wird es freilich, wenn Ulrich Clauß allen Ernstes die leidigen Spam-Mails als Argument für den alten, redaktionellen (Print-)Journalismus und gegen die Internet-Info-Portale bemüht. Clauß schreibt:

„Über 90 Prozent aller Internetpost beispielsweise – immerhin der meistgenutzte Internetdienst – sind nach Expertenmeinung sogenannte Spam-Mails, das heißt unaufgefordert und anonym zugesandter Datenmüll oder Schlimmeres.“

Argumentatives Kabarett: Spam-Mails als Indiz für Untauglichkeit des Bürger- und Netzjournalismus.

Lieber Herr Clauß, sagen Sie doch endlich, daß Sie nur Spaß machen! Bitte! Sind Sie Kabarettist oder Karnevalspräsident im Nebenjob? Herr Clauß, hallo! Sie wollen uns nicht weismachen, daß Sie zu doof sind ihren Spamfilter für Ihren Mailaccount richtig zu konfigurieren und das als Indiz für den Niveauverlust durch den Netz- und Blog-Journalismus anführen?!

Oder doch?! Wie? Sie akzeptieren im Gegenzug tatsächlich das Argument, daß die Qualitätszeitung „Die Welt“ nichts taugt, da sie ebenso auf Papier gedruckt ist, wie der ganze papierne Werbeflugblattmüll, der tagtäglich in meinem Briefkasten landet?

Ach so, dann ist ja gut.



  1. Und auch von Marco Kitzmann oder hier beim Sichelputzer gab es Antworten. []

6 Gedanken zu „Verheddert: Ulrich Clauß verfängt sich in herbeiphantasierten Schleppnetzen und versteht die Welt nicht mehr“

  1. Na wusst ich doch dass du dir die Steilvorlage nicht entgehen lässt…

    Ein anderer Aspekt, der den Text vollends ad absurdum führt, sei noch angemerkt. Clauß beschreibt ja die Blog- und internetlastige Medienstrategie von Barack Obama folgendermaßen:

    *Er umging mit seiner Informationsstrategie auch systematisch die klassischen Medien, indem er seine Botschaften über Internet-Blogs verbreitete, TV- und Radiosender also zwang, diese wiederum im Nachgang zu zitieren und damit die bislang übliche Kette der Informationsvermittlung zu umgehen.*

    Was er entweder nicht sagt oder (wahrscheinlich) nicht weiß ist, dass Obamas Kommunikationsstrategie die direkte Konsequenz aus der Medienberichterstattung der letzten beiden Präsidentschaftswahlen ist.

    Wie du dich möglicherweise erinnern wirst, hat John Kerry die Wahl unter anderem durch das inzwischen legendäre „Swiftboating“ verloren. Diese und andere „Attack Ads“ mit fragwürdigem Wahrheitsgehalt haben sich generell in den letzten Wahlperioden als äußerst erfolgreich erwiesen. Der Kern der Sache ist nun, dass es gerade die „klassische redaktionelle Verarbeitung“ durch den Journalismus ist, die derartigen Schmierenkampagnen überhaupt erst ihre Durchschlagskraft gegeben hat.

    Denn Journalisten dürfen ja nicht bewerten, wenn sie berichten. Das heißt, sobald ein Journalist über einen noch so absurden Vorwurf berichtet – berichten muss – tut er erstmal automatisch so, als sei er von vornherein legitim (was ich persönlich für die große Achillesferse des modernen Nachrichtenjournalismus halte). Je dreister die Behauptung, desto öfter wird sie in den Nachrichten wiederholt, und desto mehr bleibt sie hängen.

    Obama hatte also gar keine andere Wahl, als den Journalismus irgendwie zu umgehen und den auf ihn geworfenen Schmutz zu neutralisieren, bevor er durch mediale Berichterstattung legitimiert wurde. Was ja auch hervorragend funktioniert hat.

    (Fußnote: In der gleichen Weise funktioniert ja auch moderne PR – Journalisten können quasi als Legitimationsautomaten für die eigene Botschaft benutzt werden, indem man ihnen schöne Schlagzeilen liefert)

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