Weshalb dem „öffentlichen Wissenschaftler“ die Zukunft gehört » Ermutigungen zum bloggenden Wissenschaftsdialog

MegaphonWissenschaftliche Blogs sind eine Bereicherung für die wissenschaftliche Kommunikation. Sie sind eine hervorragende Möglichkeit, um einerseits den Dialog an den Schnittstellen von Wissenschaft und interessierten Teilöffentlichkeiten zu aktivieren und andererseits eine tolles Instrument, das Wissenschaftler zur Selbstdarstellung und Vernetzung nutzen können.

Das ist – wie die Leser der Wissenswerkstatt wissen – mein Standpunkt und ich könnte noch weitere Argumente nachreichen.

Allerdings gibt es natürlich auch skeptische Stimmen, die wissenschaftliche Blogs bestenfalls als überflüssigen Zeitvertreib, schlimmstenfalls als naive Plauderecke sehen, mit denen arglose Wissenschaftler sich (und ihre Disziplin) diskreditieren.

Außerdem laufe jeder Wissenschaftler Gefahr, daß er vielversprechende Ideen ausplaudere, die letztlich „Konkurrenten“ in reputationskonforme Credits transformieren. So meist die gängige Gegenposition. Die „Wissenschaftskommunikation 2.0“ hat also noch einiges an Überzeugungsarbeit zu leisten…

Blogs sind Instrument zur Vernetzung, Selbstdarstellung und zum Dialog mit der Öffentlichkeit. Und sie sind wissenschaftliches Arbeitswerkzeug.

Bei Gelegenheit werde ich eine Pro- und Contra-Liste veröffentlichen, die die einzelnen Argumente gegenüberstellt. Bis dahin freue mich wie ein Schneekönig über Menschen wie Christian Spannagel. Christian ist derjenige, der sich vor einigen Tagen als „öffentlicher Wissenschaftler“ positioniert hat. Engagiert und offensiv propagiert er sein Konzept, das aus schonungsloser kommunikativer Transparenz besteht.

Was Christian forscht, mit welchen Themen und Fragestellungen er sich befaßt und womit er in seinem Wissenschaftleralltag beschäftigt ist, dokumentiert er in seinem Blog und auf korrespondierenden Wiki-Seiten. Er sieht dies

„als Möglichkeit, durch kollektive Wissenskonstruktion neue Ideenressourcen zu erschließen.“

Und auf seinen mutigen Schritt hat Christian viel positives Feedback erhalten. Und nun hat er nochmals einige Punkte konkret angesprochen, die als Gegenargument zu seiner „Strategie“ angeführt werden. Es sind dies

  1. Angst vor der Konkurrenz: Die Befürchtung ein Weblog sei ein bloßer Ideenlieferant für andere, konkurrierende Wissenschaftler.
  2. Angst vor Fehlern: Sorge, daß Denkfehler und Fehlargumentationen im Blog dokumentiert und nachvollziehbar werden. Und die Befürchtung, daß diese „Fehlbarkeit“ sichtbar wird.
  3. Angst vor Prestigeverlust: Im Blogdialog ist die Forscherautorität nebensächlich – wenn mich ein „Laie“ in den Kommentaren berichtigt, kratzt das an meiner professionellen Ehre. Außerdem gelten Blogs sowieso als unseriöses Schmuddelmedium.

Und Christian skizziert in seinem Beitrag, wie sich diese mutlose Angsthasenlogik überwinden läßt. Zwar sind die angeführten Argumente der Skeptiker ja nicht aus der Luft gegriffen – allerdings ist es entscheidend, wie man mit diesen Herausforderungen umgeht. Denn sicher kann man seine wissenschaftliche Arbeit im hintersten Winkel des Elfenbeinturms verrichten, aus lauter Ängstlichkeit vor dem bösen Ideenklau der Konkurrenz. Man kann dieses Problem aber auch anders angehen.

 

Ermutigungen und Ermunterungen zum transparenten Wissenschaftsdialog in Blogs

Meine Gegenthesen (und damit befinde ich mich im Einklang mit Christians Position) lauten:

1. Wissenschaftliches Selbstbewußtsein und Credit-Kultur:

Neue Ideen, Ansätze und Konzepte brauchen frische Luft! Wer eine Idee formuliert und diese im Blog der Öffentlichkeit präsentiert, der demonstriert, daß er kreativ und innovativ ist. Und er zeigt, daß er sich mit diesen Ideen der Diskussion stellt.

Und wenn andere diese Anregungen aufgreifen? Bitteschön, sollen Sie doch erstmal was Anständiges daraus machen und wer sagt, daß ich nicht selbst von der (Weiter-)Arbeit der Kollegen profitiere? Vielleicht ergibt sich die Möglichkeit zur Kooperation?

Und in Sachen „Ideenklau“ verweise ich auf Christian:

„Wenn ich eine Idee im Web 2.0 äußere, beispielsweise in meinem Weblog, dann protokolliere ich, wann exakt ich diese Idee hatte. Jeder andere rechtschaffene Wissenschaftler müsste sich auf diesen Weblog-Artikel beziehen, wenn er ihn als Quelle nutzt – ansonsten diskreditiert er sich selbst.“

2. Selbstreflexion und Lernfähigkeit:

Welcher Wissenschaftler ist als Universalgenie geboren, das ausschließlich unangreifbare und 100% fehlerfreie Essays, Papers und Studien formuliert?1 Wer sich in seinem Blog mit kleinen Fingerübungen probiert, der wird frühzeitig auf kleine (oder auch große?!) Denkfehler und Schwachpunkte verwiesen. Sind wir als Wissenschaftler nicht auch menschliche Wesen und damit fehlbar?

Und wie wertvoll (und zeit-, ressourcen- und nervensparend) kann der Hinweis eines Kollegen sein, daß ein Aspekt meines Konzepts nicht richtig durchdacht ist? Bevor ich mich wochenlang an einem Punkt aufreibe, nur um am Ende festzustellen, daß ich mich in eine Sackgasse manövriert habe? Rechtzeitiges Feedback signalisiert mir, ob ich richtig liege oder auf dem Holzweg bin.

Und wenn ich bei Fehlern „ertappt“ werde? Na gut – wer souverän ist, kann mit Fehlern umgehen und dokumentiert stattdessen in seinem Blog, daß er in der Lage ist, auf solche Irritationen produktiv zu reagieren.

Oder wie es Christian formuliert:

„Wenn ich meine Fehler protokolliere, dann kann ich auch anschließend protokollieren, wie ich mit meinen Fehlern umgehe und aus ihnen lerne. Ich protokolliere also nicht anderes als meine Reflexionsfähigkeit. Besser geht’s nicht. In den Didaktiken wird immer hervorgehoben, dass man in der Schule eine Atmosphäre schaffen muss, in der Fehler nicht als Versagen, sondern als Lernchance gesehen werden. Lasst uns also als Wissenschaftler als gute Beispiele vorangehen und protokollieren, wie man professionell mit Fehlern umgeht!“

3. Demokratische Diskussionskultur:

Müssen wir wirklich Angst davor haben, uns in und durch unsere Blogs zu diskreditieren? Fällt uns wirklich ein Zacken aus der Wissenschaftlerkrone, wenn uns ein Nichtfachmann in einem Kommentar korrigiert?

Es lebe der faire Wettstreit der Argumente!

Es lebe der faire Wettstreit der Argumente. Standesdünkel und akademische Ehrerbietungen haben in Blogs nichts verloren. Wer will Kommentare lesen, die mit „Sehr geehrter Herr Professor Doktor…“ einsetzen? Blödsinn! In Blogs gilt das Prinzip des „one man – one vote“.

Wer sachlich und nach gewissen Spielregeln diskutiert, dem wird Gehör geschenkt. Egal ob er nun akademische Titel vorweisen kann oder nicht. Es zählt – Habermas wird sich freuen – der zwanglose Zwang des besseren und fruchtbaren Arguments.


 

Wissenschaftliche Blogs erfordern Mut, Beharrlichkeit und ein gewisses Maß an Enttäuschungsreistenz.

Klar ist: für die Bedenkenträger unter den Arbeitern im wissenschaftlichen Weinberg sind Blogs kein geeignetes Betätigungsfeld. Wissenschaftliche Blogs erfordern Mut, Beharrlichkeit und ein gewisses Maß an Enttäuschungsreistenz. Und wir brauchen mehr solche Blogger, solche wissenschaftlichen Bloggervorbilder wie den Juniorprofessor Dr. Christian Spannagel! :-)

Übrigens: Christian hat mir gestern in einem Interview für das „Wissenschafts-Café“ noch viele, viele spannende Antworten zu seinem Selbstverständnis gegeben. Er hat erläutert, weshalb für ihn Weblogs auch „Denkwerkzeuge“ sind und nochmals sein Credo formuliert:

„Mich stört die weit verbreitete Einstellung, man müsse seine Ideen möglichst bis zu dem Zeitpunkt unter Verschluss halten, bis sie in einem peer-reviewed Journal veröffentlicht sind, und zwar aus Angst, jemand könnte die Ideen klauen und vorab veröffentlichen. Dies behindert gemeinsamen Ideenaustausch, Kooperation, Synergieeffekte und das Bilden einer echten Community.

Daher habe ich mich jetzt auch entschlossen, meine Arbeit in die Öffentlichkeit zu tragen. Als öffentlicher Wissenschaftler blogge ich meine Gedanken rund um Forschung und Lehre. Außerdem habe ich in einem Wiki meine Lehrphilosophie und mein Forschungsprofil beschrieben. Ich lade jeden (Wissenschaftler, Studierende, alle anderen) ein, mit mir dort meine Arbeit zu diskutieren.“

Dem ist kaum etwas hinzuzufügen!

Außer vielleicht der Appell an die mitlesenden Wissenschaftler: Nachmachen & Ausprobieren!


  1. Auch für diesen Blogpost gilt, daß er nicht das Produkt tagelanger Recherche und Arbeit, sondern aus dem Moment heraus geboren ist. Blogposts sind – nicht immer, aber häufig – spontane Notizen. Und als solche nicht an Journalartikeln zu messen. []

7 Gedanken zu „Weshalb dem „öffentlichen Wissenschaftler“ die Zukunft gehört » Ermutigungen zum bloggenden Wissenschaftsdialog“

  1. Als Plus des „öffentlichen Forschens“ kann auch angeführt werden, dass Nachwuchswissenschalter/innen sich die bloggenden Wissenschaftler gut als Vorbild nehmen können. Deren Vorgehensweise ist einsichtiger und nachvollziehbarer und kann gegebenenfalls übernommen werden. So kann von und mit den „erfahrenen Wissenschaftlern“ gelernt werden. Besonders motivierend finde ich zudem, dass es möglich ist, Experten eines Fachgebiets direkt auf bestimmte Forschungsthemen anzusprechen und ggf. sogar Antworten zu bekommen. Genauso motivierend/bestätigend ist aber auch – meiner Meinung nach – in der Rolle eines Mentors oder einer Mentorin Fragen zu beantworten.

    Ich selber sehe mich als heranwachsende Wissenschaftlerin, die sich viele Fragen zur Methodik des Forschens selbst stellt und fleissig Antworten sammelt. Die Beobachtung bloggender „öffentlicher Wissenschaftler“ hat mir bisher schon viel gebracht.

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  2. Pingback: Amys Welt
  3. Mit meinen naturwissenschaftlichen Arbeiten, die ich zum Teil in meiner Homepage (www.west-dietmar.de) veröffentlicht habe, möchte ich in den „Blogverkehr“ kommen.
    Allerdings hatte ich damit bislang wenig Erfolg.
    Können Sie mir hierzu einige Tips geben?

    Mit freundlichen Grüßen
    Dietmar West
    27.10.2008, Göppingen

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