Journalismus zwischen den Fronten » Wenn in Technologiekontroversen Sachkenntnis nicht mehr ausreicht | Werkstattnotiz LXXXIV

Mais, Quelle: stock.xchng, user: luisrock62Es gibt derzeit kaum ein umstritteneres Thema als die sog. „grüne“ Gentechnik. Doch was ist mit eventuellen Risiken? Wer spricht als neutraler Experte, wer im Auftrag der Lobby? Was ist wenn sich auf lokaler Ebene Protestbewegungen formieren? Wie und wo positioniert sich in dieser unübersichtlichen Gefechtslage der Journalismus?

Unter dem Begriff grüne Gentechnik werden alle Bemühungen subsummiert, mittels gentechnologischer Verfahren das pflanzliche Erbgut gezielt zu manipulieren. Das Ziel von Forschern und den natürlich äußerst aktiven Lebensmittel- und Saatgutkonzernen sind ertragreichere, resistentere und (je nach Intention) „optimierte“ Pflanzen. Gentechnik ist hier also ein Instrument der Pflanzenzüchtung.

Das Problem ist: wie bei jeder Technologie sind neben den erwünschten Folgen (etwa der Resistenz gegen bestimmte Schädlinge) auch „Nebenfolgen“ nicht auszuschließen. Das reicht von der Beeinträchtigung von sog. Nicht-Zielorganismen (wenn eben statt des Schädlings auch harmlose Schmetterlinge der Veränderung zum Opfer fallen) bis zur Frage, welche negativen Auswirkungen möglicherweise der Verzehr von gentechnologisch veränderten Lebensmitteln für den Menschen hat.

Welchem Wissenschaftler soll man glauben, wenn sich sogar die Fachleute (teilweise) widersprechen?

Selbstwiderlegung der Wissenschaft

Tatsache ist: bezüglich vieler Fragen gibt es widersprüchliche Expertenmeinungen gibt. Manche halten gentechnologisch veränderte Pflanzen, die das Zulassungsverfahren überstanden haben, für vollkommen unbedenklich1, andere Fachleute können auf seriöse Studien verweisen, die doch ein Risikopotential konstatieren.

Die Bedenken reichen von ökologischen Folgen, wie etwa der Möglichkeit der Auskreuzung von gentechnologischen Pflanzen. Hier schließen sich ungeklärte juristische Streitfragen an, denn was passiert, wenn der Ökolandwirt seine Ernte nicht mehr los wird, da diese durch Pollenflug vom benachbarten Gentech-Feld „kontaminiert“ ist?

Ebenso gab es in der Vergangenheit – ausgelöst durch Fütterungsstudien – durchaus irritierende Befunde, was die gesundheitliche Unbedenklichkeit anlangt. Vor Jahren stellte etwa der englische Wissenschaftler Arpad Pusztai bei Ratten-Fütterungsstudien2 eine Beinträchtigung des Immunsystems und Schädigung von Organen fest. Allerdings waren diese Befunde und das Untersuchungsdesign umstritten. In jüngerer Zeit sorgten Studien im Zusammenhang mit der Maissorte MON863 für Aufsehen, die bei den Versuchstieren ebenfalls unerwünschte Veränderungen des Blutbilds zeigten.

Zu all dem kommt erschwerend hinzu, daß die großen Konzerne wie Monsanto, Syngenta oder BayerCropScience in der Vergangenheit durch intransparente Informationspolitik und leider auch durch massive Versuche der lobbyistischen Einflußnahme auf Zulassungsverfahren auffällig geworden sind. Vertrauensbildende Maßnahmen sehen anders aus.

Woran können und sollen sich Journalisten orientieren? Gibt es eine Alternative zur möglichst umfassenden, transparenten Darstellung alle Positionen?

Worauf es mir in dieser sehr komprimierten Skizze ankommt: sowohl Kritiker, als auch Befürworter der grünen Gentechnik können sich auf gute Gründe berufen. Was aber passiert, wenn ganz konkret der Anbau von Genmais zum (kommunalen) Streitthema wird?

Ziviler Ungehorsam, kritisches Engagement oder Forschungsfeindlichkeit?

Andreas Sentker hat in der ZEIT den Fall von Andreas Schier geschildert.3 Professor Schier ist Pflanzenbiotechnologe an der Hochschule Nürtingen und führt Freilandversuche mit dem Genmais MON810 durch. Nach jahrelangen Protesten der Bevölkerung, einer sich zusehends aufheizenden Stimmung und einer Feldbesetzung durch Anti-Gentechnik-Aktivisten hat die Hochschule nun die Notbremse gezogen.4 Aus Angst vor weiterem Imageverlust hat man Professor Schier ein fünfjähriges Moratorium für seine Versuche auferlegt. Denkpause kann man das nennen oder Beschneidung der Forschungsfreiheit.

Ich halte den Artikel in der Zeit für unbedingt lesenswert, weil in ihm – auch durch O-Töne – verschiedene Positionen innerhalb solcher Debatten illustriert werden. Da ist die junge Abiturientin, die es als Bürgerpflicht ansieht gegen solche Versuche zu demonstrieren und sie sagt:

»Der Feind ist nicht die Hochschule, auch nicht Professor Schier. Der Feind heißt Monsanto.«

Und da gibt es offenbar die Nürtinger Lokalzeitung, die – so Sentker – seit langem Partei für die Gegner der Freilandversuche ergriffen hatte.

»Wir fühlen uns als Anwalt der Leute«, sagt der Redakteur. »Und die Ängste der Leute sind höher zu bewerten als die Freiheit der Forschung.«

Und natürlich gibt es Studenten und Wissenschaftler, die die Proteste und v.a. ihre Folgen nicht verstehen:

„Kathrin Mendler studiert in Nürtigen Agrarwirtschaft. »Das kann doch nicht sein, dass die da auf dem Acker hocken und die Forschung kaputt machen«, sagt sie.“

Ein schwieriges, weites, vermintes Feld.

Ich weise auf den Artikel nochmals so ausführlich hin, da sich in den Kommentaren zu diesem Werkstattartikel eine interessante Diskussion zur Frage entfaltet hat, welche Kriterien ein hochwertiger Wissenschaftsjournalismus zu erfüllen habe. Wenn man diese Frage abstrakt diskutiert, dann ist es einfach für eine hohe Fachkenntnis, Recherchequalitäten und Kritikvermögen zu plädieren. Aber wenn es konkret wird, wie im Fall des MON810-Anbaus, der auf Gegenwehr stößt? Wie kann hier Berichterstattung ablaufen, ohne Stellung zu beziehen?

Leider häufig vergessen – das Credo Hajo Friedrichs: »Mache Dich nie gemein mit einer Sache. Auch nicht mit einer guten.«

Um ehrlich zu sein, kann ich im vorliegenden Fall durchaus Verständnis für die verschiedenen (!) Parteien aufbringen – zumindest teilweise. Wenn man das Gebaren von Monsanto und Co., deren Marktmacht, deren Zynismus und strategisches Kalkül vor Augen hat, dann ist Protest durchaus nachvollziehbar.

Wenn ich an der Stelle Professor Schiers stünde, so wäre ich mehr als konsterniert, daß mir meine Hochschule in den Rücken fällt. Und in der Position des Hochschulrektors bzw. des Hochschulrats sehe ich ein, daß es möglicherweise eine verfahrene Situation, die bereits eskaliert war, zu bereinigen gilt, um weiteren Schaden von der Hochschule abzuwenden – der Forschung ist hier freilich nicht gedient.

Ganz grundsätzlich bedaure ich bei Risikokontroversen im Allgemeinen und in diesem Fall im Besonderen, die mangelnde Bereitschaft zu einer differenzierteren Betrachtung. Das hieße?

  1. Für die Protestbewegung: „Die“ Gentechnik gibt es nicht. Wirtschaftliche Interessen sind nicht deckungsgleich mit dem Interesse der Wissenschaftler! Man kann gegen Monsanto protestieren, aber dennoch die Forschung in diesem Bereich akzeptieren.
  2. Für die Wissenschaft: Forschungsfreiheit gilt nie absolut. Wer wissenschaftlich, mit öffentlichen Mitteln arbeiten will, der muß auch akzeptieren, daß die Gesellschaft den Rahmen absteckt, der die wissenschaftliche Neugier begrenzt. Und wer damit nicht einverstanden ist, dem steht es frei, für die eigene Position zu werben. Wer allerdings Ängste innerhalb der Bevölkerung nicht ernst nimmt und als naive Ahnungslosigkeit belächelt, der hat sicherlich durch sein eigenes Verhalten zur mißlichen Situation beigetragen.5
  3. Für den Journalismus: Ich weiß, daß es manchmal schwer ist6 den Leitspruch von Hanns-Joachim Friedrichs zu beherzigen, aber ich halte dieses Credo doch für bedenkenswert: „Mache Dich nie gemein mit einer Sache. Auch nicht mit einer guten.“

In diesem Sinne: für mehr Ausgewogenheit, für weniger Schaum vor dem Mund.



  1. Was ja per definitionem auch der Fall sein sollte. []
  2. Verfüttert wurde die „Lektin-Kartoffel„, die allerdings niemals zur Zulassung oder gar zur Inverkehr-Bringung anstand. []
  3. Nochmal Dank an kamenin für den Link zum Zeit-Artikel. []
  4. Wobei Nürtingen kein Einzelfall ist. Auch andere Unis haben nach massiven Protesten klein beigegeben. Erst letzte Woche stellte die Uni Gießen ihre Freilandversuche vorerst ein. []
  5. Jedenfalls kann man im ZEIT-Artikel zwischen den Zeilen lesen, daß Prof. Schwier nicht so zugänglich für Kritik war. Es ist natürlich die Frage, wie diese Kritik vorgetragen wurde etc. []
  6. Ich selbst schimpfe ja durchaus auch heftig, wenn es bspw. um die Skrupellosigkeit von Pharmakonzernen oder die Verbohrtheit von Chefredakteur/innen geht. []

6 Gedanken zu „Journalismus zwischen den Fronten » Wenn in Technologiekontroversen Sachkenntnis nicht mehr ausreicht | Werkstattnotiz LXXXIV“

  1. Was hast du gegen Leute, die sich mit einer Sache gemein machen? Ich halte den Spruch zum einen für ziemlich arrogant, da er im Grunde das Gemein-Machen mit dem populistischen Herablassen auf das Niveau der „einfachen Leute“ gleichsetzt. Der Journalist nach Friedrichs wird dagegen als aufrechter Verfechter einer objektiven Perspektive gezeichnet. Dass dabei ausgewählt, gewichtet, ja mit Sprache umgegangen wird, wodurch sich der Journalist natürlich mit Sachen gemein macht, fällt unter den Tisch. Außerdem: sich mit einer Sache gemein machen kann man ebenso gut übersetzen als zu der Wahlverwandtschaft mit einem bestimmten Anliegen stehen. In dem Sinne sind Intellektuelle nach Mannheim ganz große Sich-mit-einer-Sache-gemein-Macher. Ist das in solchen Debatten, in denen es sowieso um unentscheidbare Fragen geht, etwas schlimmes?

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  2. @Benedikt:

    Also zunächst habe ich gar nichts dagegen, wenn man sich mit einer Sache gemein macht. Im Gegenteil: ich bin sogar sehr dafür, daß ich, Du, wir uns engagieren und Standpunkte beziehen. Uns einsetzen für Dinge, die uns wichtig sind. Und streiten für gute Texte, gute Musik, informative Medien, mehr soziale Gerechtigkeit, weniger Dummheit, mehr Bildung…

    Als Mensch und Bürger bin ich ein großer Verfechter des sich „Gemeinmachens“! :-)

    Hanns-Joachim Friedrichs ging es aber um die Arbeit professioneller (Nachrichten!)-Journalisten. Und hier stellt sich für mich tatsächlich die Frage, ob man sich Parteinahme nicht weitgehend verbieten sollte. (Ich hatte oben ja angemerkt, daß das schwierig ist und ich selbst auch durchaus Partei beziehe.)

    Du hast vollkommen recht, daß es naiv wäre, einen Journalismus als absolut neutrale, objekte Sphäre anzusehen. Vollkommener Quark. Journalisten sind Menschen! Sie haben Präferenzen, agieren in ihrem sozialen Milieu, sitzen in einer Redaktion etc.

    Allerdings geht es mir eben – deswegen das Friedrichs-Zitat – um das Bemühen um größtmögliche Transparenz, um das Bemühen alle Positionen halbwegs angemessen darzustellen. Wer sich in seiner Eigenschaft als Nachrichtenjournalist als Parteigänger begreift, der hat sich damit abgefunden, daß er einseitig berichtet. In meinen Augen gibt es eben einen Unterschied zwischen Öffentlichkeitsarbeit für eine Sache und der Berichterstattung darüber.

    Insofern wünsche ich mir von Journalisten, daß sie ihren eigenen Standpnkt reflektieren und auf dieser Basis auch die anderen Perspektiven zur Sprache bringen. Ich habe gestern in einem Kommentar das juristische Prinzip des „audiatur et altera pars“ angeführt. Das ist im Grunde das, was ich meine.

    Im übrigen sehe ich einen Unterschied zwischen einem Nachrichtenjournalismus und anderen journalistischen Formen – ich wollte bspw. auf die jüngste Recherche von Günter Wallraff hinweisen, der in einer LIDL-Brötchenfabrik gearbeitet hat. Mehr Partei als Wallraff geht schwerlich. Und ich finde ihn gut und seine Arbeit wichtig. Aber das läuft nicht unter dem Deckmantel der Ausgewogenheit.

    Also, zusammengefasst: gerade wenn es um strittige Fragen geht, die eventuell unentscheidbar sind, halte ich es für zu bequem, sich auf eine Seite zu schlagen. Es gibt gute Gründe, weswegen bei der Berichterstattung über Castor-Transporte auch ein Statement der AKW-Betreiber vorkommt.

    Meine Forderung zielte ja nicht auf eine illusorische „Kastrierung“ der journalistischen Meinung, sondern kritisiert eine stillschweigende Übereinkunft (mit der Protestbewegung), die als solche für die Leser als alternativlos dargestellt wird.

    Alternativen gibt es aber dann doch immer, auch wenn man sie selbst nicht begrüßt.

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  3. Was soll man gegen Deppensyllogismus tun? Vor allem wenn er von so genannten Journalisten verbreitet wird, wie ich es vor kurzem im ZDF zum Thema „Handystrahlung“ gesehen habe?

    Oder auch im Rahmen von Gentechnik?

    Wenn aufgrund völliger Unwissenheit Urteile gefällt werden? Wenn man anstatt sich in ein Thema einzuarbeiten, lieber Vorurteile aufgreift und weiterverbreitet und so die Angst gezielt weiterschürt, so irrational sie auch sein mag?

    Ja, wenn Unwissenheit und Vorurteile als Argumente benutzt werden, um Wissenschaft zu verbieten. Denn darauf läuft es hinaus.

    Was soll man tun, wenn unter Zeitdruck, Sensationsgier und lauter Schreierei Journalisten versagen? Wenn Leute meinen, dass Wissenschaft Gedöns ist und jeder darüber was schreiben kann, selbst wenn er keinen blassen Schimmer über das Thema hat und gleichzeitig nur das über Wissenschaft weiß, was er im Fernsehen gesehen hat? Und meint, dass dafür ein paar Stunden Recherche genügen wofür andere ihr Leben lang lernen.

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  4. Interessant und hochkomplex! Die lokalen Zeitungen schlagen sich vermutlich auch deshalb auf die Seite der Genmais-Gegner, weil sie damit deutlich mehr Leser erreichen und ihre eigene Auflage stützen. Es geht also auch um handfeste wirtschaftliche Gründe (zumal in den schwierigen Zeiten des Medienwandels!).

    Rätselhaft ist für mich das Verhalten der Hochschule, die mit ihrer Entscheidung allenfalls auf lokaler Ebene ihren „Ruf“ gerettet, im internationalen Kontext aber sicher schwer beschädigt hat.

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