Verständnisschwierigkeiten und kontraproduktive Schlagzeilen » Wie man den wissenschaftlichen Forschungsstand zum „Social Web“ einseitig darstellt | Werkstattnotiz LXXVIII

Die Beziehung von Wissenschaftlern und Journalisten ist eine Geschichte voller Mißverständnisse. Zwar ist man aufeinander angewiesen, aber man traut dem anderen niemals so richtig über den Weg.

Die Wissenschaftler können – so die latente Unterstellung der meisten Journalisten – nicht verständlich kommunizieren und umgekehrt lamentieren die Forscher über Journalisten, die zwar kommunizieren, dann aber meist das falsche. Ein wunderbares Beispiel für die Schwierigkeiten und Fallstricke der Wissenschaftskommunikation liefert heute die Netzeitung. Die Blogosphäre – das gewissermaßen ein Kollateralschaden – kommt dabei nicht gut weg.

Neue Runde Blogs vs. Journalismus? Eine unglückliche Schlagzeile und die selektive Besprechung eines wissenschaftlichen Sammelbands zum Web 2.0

Vor rund 4 Wochen erschienen in der Reihe „Neue Schriften zur Onlineforschung“ zwei neue Bände. Die Herausgeber Ansgar Zerfaß, Martin Welker und Jan Schmidt versammeln unter dem Etikett “Kommunikation, Partizipation und Wirkungen im Social Web” knapp 40 Essays, Studien und Analysen zur ganzen Bandbreite der Thematik.

Offenbar ist ein Rezensionsexemplar auch auf dem Tisch von Sabine Pamperrien gelandet. Sie hat sich aber ganz offensichtlich nur diejenigen Beiträge herausgepickt, auf deren Grundlage sich am besten markige Schlagzeilen zusammenbasteln lassen. Im Ergebnis ist die Besprechung in der Netzeitung (zumindest in meinen Augen) eine Katastrophe.

Es wäre natürlich zuviel verlangt, wenn man von Sabine Pamperrien erwarten würde, daß sie in wenigen Zeilen die gesamte Vielfalt der Analysen und Kommentare darstellen könnte. Allerdings wundert es doch ein wenig, weshalb sie genau solche Einzelartikel aus den Sammelbänden herausgreift, die genau die schiefen Vorurteile mancher Journalisten bestätigen. Sie schreibt also:

„Zwei der Studien in der zweibändigen Sammlung seien hier heraus gegriffen, um das gegenwärtige Elend politischer Blogs intellektuell greifbar zu machen.“

Entlarvend ist in meinen Augen die Wortwahl. Wer vom „gegenwärtigen Elend“ schreibt, der argumentiert eindeutig normativ – ich kann mir schwerlich vorstellen, daß sich in dem Artikel von Katja Schönherr1 auf den sich Pamperrien bezieht, ähnliche Begriffe finden. Der Grundtenor der Rezension lautet wieder auf den altbekannten Irrelevanzvorwurf. Daß andere Artikel, die in den zwei Bänden zu finden sind, genau dieses angestaubte journalistische Vorurteil widerlegen, wird natürlich nicht erwähnt.2

Medienwatchblogs: Interessiert sich jemand für BILD-Blog und Co.?

Um ehrlich zu sein, bin ich etwas irritiert. Denn Sabine Pamperrien weist mehrmals darauf hin, daß es ihr um eine „nüchterne Bestandsaufnahme“ gehe und auch darum, daß die Diskussion um die Effekte des Web 2.0 nun in „produktive Bahnen gelenkt werden könnte“. Weshalb greift sie sich dann ausgerechnet solche Artikel heraus, die – so die Formulierung – „erschreckende Ergebnisse“ liefern?

Den Artikel von Katja Schönherr mit dem Titel „Medienwatchblogs als Form journalistischer Qualitätskontrolle“ bringt Pamperrien folgendermaßen auf den Punkt:

„Journalisten interessieren sich demnach kaum dafür, weshalb die erwünschte Besserung journalistischer Qualität ihre Zielgruppe verfehlt.“

Wie gesagt: ich kenne den fraglichen Text von Katja Schönherr nicht, aber daß sie Relevanz ausschließlich daran bemißt, ob die Journalisten selbst auf die Medienwatchblogs reagieren, kann ich mir kaum vorstellen. Abgesehen davon, daß etwa die Erfahrungen des BILDBlogs dem widersprechen3 möchte ich nur zu Bedenken geben, daß es auch Leser gibt! Soll heißen: die Sensibilität des Publikums für die Arbeitsweise (die nicht selten kritikwürdig ist) von bestimmten Medien steigt nicht zuletzt infolge der kritischen Kommentierung in Blogs und Foren.

Über den Reifegrad und die Professionalisierung von Blogs

Der andere Artikel, den Pamperrien hervorhebt, ist derjenige von Bettina Berendt, Martin Schlegel und Robert Koch. Er trägt die Überschrift „Die deutschsprachige Blogosphäre: Reifegrad, Politisierung, Themen und Bezug zu Nachrichtenmedien“. Hier argumentiert Sabine Pamperrien deutlich differenzierter und stellt die berechtigte Frage, ob denn der „Reifegrad“ sich wirklich am Anteil der politischen Themen innerhalb der Blogosphäre bemesse.

Nichtsdestotrotz konstatiert sie (und stimmt damit sicher mit der Kernaussage des Artikels überein), daß in den USA solche „harten“ Themen deutlich wichtiger sind, als in der hiesigen Szene; sie schreibt:

„Deutschsprachige Blogs zeigten sich viel schwächer verlinkt als US-amerikanische. Wenn sie verlinkt waren, blieb diese Verlinkung im Rahmen relativ geschlossener Gruppen von Blogs, während die US-Blogger weitaus mehr Quellen auch von Mainstream-Nachrichtenmedien rezipierten.“

Kommt Frau Pamperrien gar nicht auf die Idee, daß sich (wenn man diesen Begriff schon verwenden will) der Reifegrad vielleicht daran ersehen läßt, daß die Blogosphäre just nicht mehr nur am Nachrichtentropf der klassischen Medien hängt? Ist dieser Befund von Berendt et. al. nicht sogar als Beweis dafür lesbar, daß sich die deutsche Blogosphäre emanzipiert hat?

Interessant und vollkommen fragwürdig wird es allerdings, wenn (wie eben zitiert) gleichzeitig bemängelt wird, daß die deutschen Blogs in viel geringerem Maß auf die Mainstream-Nachrichten bezogen seien und dann folgende Passage kommt:

„Deutsche A-List-Blogs verlinkten vorwiegend zu «Spiegel-Online», «Heise.de», «Netzeitung», ARD und BBC. Die an zweiter Stelle der Nennungen rangierende Bild-Zeitung verdankt ihre Position vorwiegend der häufigen Verlinkung durch das Bildblog, was laut Studie ihre Rolle relativiert. Ohne diese Links läge die «Bild»-Zeitung nur auf Rang 10 hinter der «FAZ», so der Studienbeitrag.“

Was nun liebe Sabine Pamperrien? Sie müßten sich doch wenigstens entscheiden. Entweder schmarotzen die deutschen Blogs doch nur am Output der Profis oder sie charakterisieren sich dadurch, daß sie zu solchen Themen nicht beitragen. Beides geht doch nicht, oder?4

Wieso gelingt es Frau Pamperrien nicht, den Beißreflex zu zügeln? Es geht ihr doch angeblich um eine nüchterne und fruchtbare Diskussion.

Fazit: Bedauerlich ist einfach, daß sich Sabine Pamperrien des Themas annimmt (was erfreulich ist), dann aber doch in alte Reflexe verfällt. Immer wieder sind 2-3 Sätze mit dabei, die zeigen, daß sie prinzipiell zu einer differenzierten Betrachtung in der Lage ist. Der Gesamteindruck bestätigt aber leider wieder, daß man seitens vieler Journalisten lieber die Irrelevanzkeule schwingt und damit der eigenen Profession eine rosige Zukunft vorgaukelt, anstatt sich dem eigentlichen Phänomen anzunehmen.

Falls die Autorin auch die Schlagzeile zu verantworten hat (was ich nicht glaube und hoffe), so hat sie sich mit dieser eigenwilligen Rezension selbst unglaubwürdig gemacht. Denn wie lautet der Überschrift noch gleich?

„Weblogs in Deutschland: Deutsche Blogger sind unpolitisch und unreif“

Gut. Eindeutiges Statement, klarer Standpunkt. Aber wie kann man dann im Artikel selbst folgendermaßen jammern:

„Bislang diskutierten Journalisten und Blogger meist aggressiv und selten fruchtlos miteinander.“

Und dabei wird es mit solchen Texten auch bleiben. Der Artikel (und v.a. seine Überschrift) führt jedenfalls nicht zum Abbau von gegenseitigen Vorbehalten. Und zu einer fruchtbaren Diskussion trägt er vermutlich auch nicht bei.5

 

 


Link:

Hier lassen sich die Inhaltsverzeichnisse und das Vorwort als PDF herunterladen:

Und hier ein Blogpost des Mitherausgebers Jan Schmidt:6

Literaturempfehlungen:



  1. Er liegt mir leider nicht vor. []
  2. Barbara Witte konstatiert etwa in ihrem Beitrag eine „Mehrebenenrelevanz von Einflüssen des neuen Netzes auf den politischen Journalismus“ – so ist im Vorwort nachzulesen. []
  3. Stefan Niggemeier und Christoph Schultheiß berichteten letzte Woche darüber, daß zumindest in BILD.de fast alle Fehler und Falschinformationen binnen weniger Stunden verschwinden, wenn diese im Blog thematisiert werden… []
  4. Die Erklärung ist – vermutlich – folgende: Die sog. A-List-Blogs haben wohl tatsächlich einen starken Bezug zu den etablierten Nachrichtenportalen; wenn man die Blogosphäre insgesamt nimmt, dann fällt dieser Anteil (im Vergleich zu den USA) allerdings recht gering aus. []
  5. An verschiedenen Stellen, etwa bei netzpolitik oder Robert hat man den Artikel auch schon zur Kenntnis genommen… []
  6. Der vermutlich über die recht einseitige Lesart auch nicht besonders glücklich sein wird. Wobei: die Aufmerksamkeit steigt durch eine solche Rezension ja schon… []

14 Gedanken zu „Verständnisschwierigkeiten und kontraproduktive Schlagzeilen » Wie man den wissenschaftlichen Forschungsstand zum „Social Web“ einseitig darstellt | Werkstattnotiz LXXVIII“

  1. Ich denke, dass die amerikanischen Blogger eine politische Lücke füllen, die in Deutschland so nicht existiert. Amerikanische Fernsehnachrichten beispielsweise, das ist zumindest mein unmaßgeblicher Eindruck, bestehen in der Regel zu je einem Viertel aus City-News, Sport und Wetterbericht. Das letzte Viertel teilen sich USA- und Weltnachrichten, Werbung und Sonstiges. Deutsche Blogger wissen die politischen Nachrichten dagegen in halbwegs guten Händen und können sich stärker auf unpolitischen Quatsch konzentrieren. Und dass Journalisten und Blogger selten fruchtlos miteinander diskutieren, ist doch schon fast ein Kompliment. ;-)

    Antworten

Schreibe einen Kommentar