Saubermänner, Lügenbarone und die rettende Kapitulation » Wie sich der Radsport aus dem Dopingsumpf ziehen könnte, wenn er denn wollte

Diesmal kann Jan Ullrich nichts dafür. Ein Jahr ist vergangen, seitdem das einstige Lieblingskind des deutschen Sports von der Teilnahme an der "Tour de France" ausgeschlossen und von seinem Rennstall "T-Mobile" fristlos gekündigt wurde. Seitdem nähert sich Ullrich Schritt für Schritt jener bemitleidenswürdigen Gestalt an, die Cervantes so einprägsam als "Ritter von der traurigen Gestalt" beschrieb; Ullrichs Metamorphose ist beinahe abgeschlossen: vom strahlenden Helden, der alljährlich für Begeisterungsstürme sorgte, ist er schon längst zu einer Karikatur geworden.

Dopingarrangements_03a.jpgWie einst Don Quichotte kämpft er beharrlich gegen all die bösen Staatsanwälte und Ermittlungsbehörden und hangelt sich vom einen fragwürdigen Dementi zum nächsten. Doch das Netz der Indizien spannt sich immer dichter um den früheren Radhelden und man möchte ihm zurufen, er möge doch einsehen, daß er seinen Kampf gegen die Windmühlen niemals gewinnen kann. Denn die Frage ist längst nicht mehr, ob Ullrich betrogen und gedopt hat. Die einzige Frage ist lediglich noch: wie naiv muß man sein, um sich selbst derart zu beschädigen?

Aber das kommt davon, wenn man nicht begriffen hat, daß gerade die Kapitulation eine unüberschätzbare befreiende Kraft entfalten kann. Dies gilt für gefallene Sportstars genauso wie für den Radsport ingesamt. Dessen Rettung liegt in einem Maßnahmenbündel, in dessen Zentrum die Kapitulation steht. Es wird Zeit, daß der Radsport dies begreift. Es spricht viel dafür, daß es seine letzte Chance ist.

Während Ullrich noch versucht mit allerlei juristischen Tricks und Finten den endgültigen Zeitpunkt seiner Entzauberung hinauszuschieben, ist das härteste Radrennen der Welt in eine neue, seine 94. Runde gegangen. Nach all den Enthüllungen und Dopingbeichten, weiteren Skandalen und erschreckenden Erkenntnissen über systematisches Doping in früheren Jahren, war allen Beteiligten klar, daß sich nicht zuletzt im Verlauf der diesjährigen Tour würde zeigen müssen, ob der Radsport eine Zukunft haben wird. Die Vorzeichen freilich waren uneinheitlich: auf der einen Seite gab es wiederholt weitere starke Verdachtsmomente gegen einzelne Teams und Fahrer, andererseits durchaus glaubhafte Bemühungen einen sauberen Neuanfang zu wagen. So blieb kaum anderes, als abzuwarten, ob sich die uneinsichtig-alte Garde oder die reuigen Sünder durchsetzen würden.

Der Eklat kam früh: acht Rennställe, die sich einen sauberen Sport auf die Fahnen schreiben wollten, formierten sich zu einem neuen Bund. Doch wie sich nun zeigt, ist es ein steiniger Pfad der vom Saulus zum Paulus führt. Ausgerechnet die Fahrer Sinkewitz und Moreni sind nun wegen positiven Dopingbefunden auffällig geworden. Zweimal fand man zuviel Testosteron im Urin, zweimal sind Rennställe der neuen "Bewegung für einen sauberen Radsport" betroffen. Und nun?

Geschwächtes Immunsystem und die langen Schatten der Dopingtradition

Gut, man könnte nun freilich argumentieren, daß es schließlich doch ein gutes Zeichen ist, wenn ganz offenbar die Tests funktionieren und die Selbstreinigungskräfte des Radsports selbst für die notwendigen Sanktionen sorgen. Man habe begriffen, daß der Sport in seiner tiefsten Krise stecke, so ist seit Wochen allenthalben von den Verantwortlichen des Radsportbusiness zu hören. Das Problem sei erkannt und der neue Tour-Direktor Christian Prudhomme spart nicht mit deutlichen Worten, mit denen er all den betrügerischen Machenschaften den Kampf ansagt. Doch reichen die gebetsmühlenhaft vorgetragenen Anti-Doping-Statements tatsächlich aus, um erfolgreich gegen die universale Dopingkontamination des Radsports anzugehen? Die notwendige Einsicht, daß hier dringend Handlungsbedarf besteht ist da. Aber reicht diese Einsicht aus? Denn, man sollte sich von all den Stimmen, die neuerdings vehement gegen Doping Stellung beziehen, nicht darüber hinwegtäuschen lassen: das Immunsystem des Radsports ist bis heute mehr als geschwächt. 

Das Virus der jahrelang hinter den Kulissen praktizierten und tolerierten Leistungsmanipulation hat tiefe Spuren hinterlassen. Und so ist es auch nicht verwunderlich, daß der Däne Michael Rasmussen bis gestern das gelbe Trikot trug, obwohl eindeutige Zweifel hinsichtlich seiner Integrität bestanden. Sicher, auch und gerade für Radsprofis muß die Unschuldsvermutung gelten, aber Rasmussen hatte – wie erst allmählich klar wurde – in eindeutiger Weise gegen die Regularien der Welt-Anti-Doping-Agentur und auch diejenigen seines eigenen Verbandes verstoßen. Dennoch fuhr er tagelang in gelb. Aber erst die Buhrufe und Pfiffe der enttäuschten Fans, die sich nicht länger für dumm verkaufen lassen wollten, waren am Mittwoch Anlaß für Rasmussens Sponsor Rabobank ihren Teamkapitän aus dem Rennen zu nehmen. Ein überfälliger Schritt, aber er kam von einem um sein Prestige besorgten Sponsor und nicht von den Veranstaltern, die hier längst konsequent hätten handeln müssen.1  

Halbherzigkeit im Kampf gegen Doping

Aber wirklich konsequent wird der Kampf gegen das Dopingsystem nicht einmal in Deutschland geführt. Da mag BDR-Präsident Rudolf Scharping noch so oft das Bild von den eisernen Besen bemühen, mit denen er zu kehren gedenke; wenn beispielsweise der einstige Coach von Jan Ullrich und massiv belastete Bundestrainer Peter Weibel zumindest inoffiziell weiterhin Nachwuchsfahrer betreut, so keimen doch Zweifel auf, ob man beim BDR willens und fähig ist, die behauptete Abkehr vom verseuchten Spitzensport in Angriff zu nehmen. Denn wie die Journalisten vom Kölner "Büro für Stilsicherheit" Anfang Juli berichteten, war der Ende Mai suspendierte U-23-Nationaltrainer Weibel dennoch weiterhin aktiv. Aber anstatt den Hinweisen nachzugehen, ob dieser nicht vielleicht doch engagierter weiterarbeitet als gedacht, reagierte der BDR trotzig wie ein kleines Kind: man konterte wehleidig mit Vorwürfen an die Adresse der Journalisten, verweigert seitdem die Zusammenarbeit und klammert sich an die Pressemitteilung: Weibel arbeite "nicht am Mann". Andererseits räumt man sogar offiziell ein, daß Weibel weiterhin den 19-jährigen Nachwuchsnationalfahrer Sascha Weber betreue, dabei handele es sich aber um eine Privatsache.

Alles in allem: ein Verband, der toleriert, daß eine derart belastete Person weiterhin Nachwuchstalente trainiert und dies als Privatangelegenheit deklariert, hat die Zeichen der Zeit längst nicht erkannt. Wenn der BDR nicht in den Verdacht geraten möchte, die gesamte Antidopingarbeit doch nur höchst halbherzig zu betreiben, sollte man hier dringend umdenken. Die bislang vorgeschlagenen Konzepte sind zwar löblich, greifen aber viel zu kurz. Ein rigoroser Antidopingkurs, mit dessen Umsetzung sich der Radsport aus der selbstverschuldeten Dopingmisere befreien könnte, bestünde aus drei Komponenten: erstens dem zeitlich befristeten Angebot einer Kronzeugenregelung mitsamt einer Teilamnestie, zweitens der Erweiterung der Dopingtestpraxis durch eine sogenannte "C-Probe" und drittens durch eine staatliche Anti-Dopinggesetzgebung, die diesen Namen auch verdient. Die Frage dabei ist nur, ob man in der Riege der Funktionäre für eine solche Roßkur tatsächlich bereit ist. Wie die genannten Maßnahmen im Detail den Weg zu einem Neuanfang im Radsport begleiten können, wie die Münchhausen-Operation gelingen kann, wird an dieser Stelle ab morgen in einem zweiten Teil dargestellt…

[Update: Hier wird verraten, wie sich der Radsport aus den Händen des Dopingmonsters befreien könnte.] 

 

 


Linktipps:

 

Literaturtipps:

  1. Unverständnis, Entsetzen und teilweise Belustigung über das traurige Spektakel, äußert sich hier, hier und hier auch in der Blogosphäre. Es wäre schön, wenn im nächsten Jahr die Sportfreaks weniger häufig so unerfreuliche Vokabeln wie EPO, Blutdoping und Testosteron lesen müßten. []

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