Querverweise » Fundstücke, Lesenswertes & Links – 03

Fundstuecke_01c.jpgDer Juni ist ein durchaus eigentümlicher Monat. Es ist der Monat der Passage, des Übergangs. Das Frühjahr und der vielbesungene Wonnemonat Mai liegen hinter einem und am Horizont leuchten die Sommertage seligen Nichtstuns. 

Die Übergänge kennzeichnen sich durch Warten: die Studenten warten auf das Semesterende und versuchen hektisch, sich den Stoff für die anstehenden Prüfungen reinzupauken, die Dozenten warten ebenfalls auf die Sommerpause, um den staubig-muffigen Seminarräumen zu entrinnen. Die Fernseh- und Medienschaffenden haben sich teilweise schon in ihre Feriendomizile verabschiedet und die Politikerkaste arbeitet auch nur noch mit halber Kraft und sitzt auf gepackten Koffern.

Warten also. Ich persönlich warte auf die anstehende Tocotronic-Platte. In zwei Wochen ist es soweit und die ersten Höreindrücke sind vielversprechend. Andere warten auf den Sommerhit. Der wird nicht von Tocotronic sein, soviel steht glücklicherweise fest. Und wieder andere freuen sich auf den Sommerroman. Ein dicker Schmöker natürlich. 

Um Literatur geht es auch in diesem dritten Teil der Fundstückesammlung, wenigstens ein bißchen:

 


»1. Zunächst geht es allerdings um einen Rückblick und zwar auf die „re:publica“ vom April. Ich selbst war nicht dort, da man als bloggender Sozialwissenschaftler schließlich auch noch andere Dinge zu tun hat, als sich auf diversen Blogger-Treffen, Barcamps und ähnlichem rumzutreiben. Außerdem – ich gestehe – wurde ich weder eingeladen, noch war es mir den weiten Weg nach Berlin wert. Interessantes wurde freilich durchaus geboten, die meisten Präsentationen sind ja hinlänglich durchdiskutiert und bedürfen keiner Reanimationsversuche meinerseits. Einen der spannendsten Vorträge hielt dort sicherlich Jan Schmidt, der unter dem Titel „Mythen der Blogosphäre“ mit so manchem Vorurteil aufräumte.

Vor allem kommt es ihm darauf an, die vielfältig kursierenden Annahmen und Etiketten die mit Bloggern und Blogs verknüpft sind auf ihre Substanz zu hinterfragen; mit sozialwissenschaftlichen Methoden natürlich, denn Jan Schmidt und die Forschungsstelle „Neue Kommunikationsmedien“ [FoNK] in Bamberg haben sich durch ihre akribische Vermessungsarbeit im Feld der Blogosphäre längst zu einer zentralen Instanz gemausert, wenn man fundierte Informationen möchte, was (abseits des journalistischen Tralala) wirklich Sache ist.

So, damit aber genug der Lobhudelei. Der erwähnte Vortrag von Jan Schmidt ist seit wenigen Tagen jedenfalls auch online als Video eingestellt [hier!]. In stolzen 47 Minuten erfährt man dort u.a., daß Blogs entgegen so mancher Klischees „weiblich“ sind… den dreitagebärtigen, schmerbäuchigen Nerd als Prototyp des Bloggers dürfen wir also getrost verabschieden. ;-)

Wer sich für Jan Schmidts Arbeit interessiert ist sicher mit seinem Buch „Weblogs. Eine kommunikationssoziologische Studie“ gut beraten.

 


»2. Themawechsel: Vermutlich der einzige bloggende Paläontologe im deutschsprachigen Raum, Björn Kröger, hat sich vor wenigen Tagen in seinem stets lesenswerten Blog „tiefes leben“ mit aktuellen Entwicklungen im wissenschaftlichen Publikationswesen beschäftigt. Genauer: er schildert aus eigener Erfahrung das Dilemma, die eigenen Artikel nur noch in zitationsstarken Journalen veröffentlichen zu können, wohlwissend, daß somit die weniger prestigeträchtigen Zeitschriften noch stärker ins Hintertreffen geraten.

Nochmal: der eigenen Karriere, der eigenen Reputation (und ein Wissenschaftler kann nur mit diesem Pfund wuchern!) zuliebe, ist es unabdingbar, daß man als Wissenschaftler gezielt die Zeitschriften auswählt, in denen man zu publizieren beabsichtigt. Das erscheint auf den ersten Blick unproblematisch. Allerdings ist es so, daß diese Logik zur Folge hat, daß – wie Björn schreibt – die renommierten Zeitschriften geradezu überrannt werden und kaum mit der Bearbeitung nachkommen. Von der Einreichung bis zur Veröffentlichung vergehen da in Björns Fachgebiet bis zu zwei Jahre! Umgekehrt stehen die vielen anderen, kleinen Zeitschriften immer häufiger vor dem Aus – ein Konzentrations- und Monopolisierungsprozeß, wie man ihn etwa aus der Marktwirtschaft kennt.

Meine persönliche Erfahrung in den letzten Jahren sieht so aus: Ich kann es mir nicht mehr leisten in Journalen mit geringem Impakt zu veröffentlichen. Veröffentlichungen, auch wenn teilweise sinnvoll, in nicht peer gereviewten und ISI gelisteten Journalen kommt für mich nicht in Frage, weil mein wissenschaftliches Überleben davon abhängt, dass ich zitiert werde und in Journalen mit möglichst hohem ISI Faktor veröffentliche. [Quelle: tiefes leben, imperialer impakt, 15.6.2007]

Björn geht aber noch weiter und skizziert ein weiteres Problem seiner hochspezialisierten Arbeit: da er einer von ganz wenigen Experten auf seinem Gebiet ist, werden seine Artikel auch nach dem Erscheinen nur relativ selten zitiert. Die Zitationshäufigkeit ist aber (so dogmatisch, unflexibel und zahlenhörig ist Wissenschaftspolitik heute!) das entscheidende Kriterium, ob Wissenschaft als erfolgreich angesehen wird oder nicht.

In der Konsequenz werden große Forschungsprojekte bzw. Arbeiten, die von mehreren Autoren eingereicht werden, immer als „erfolgreicher“ angesehen als andere. Da ja die jeweiligen Mitarbeiter in der Folgezeit genau diesen Artikel auch weiterhin zitieren werden. Einzelkämpfer haben diese Möglichkeit nicht. Und noch auf ein weiteres Problem weist Björn hin:

Die Editoren der hochrangigen Zeitschriften erleben einen enormen Machtzuwachs, da immer mehr Arbeiten in den Top Journalen eingereicht werden. Die Top Journale werden einen immer stärkeren Einfluss auf die Inhalte und Forschungsausrichtungen der Fächer haben. [Quelle: tiefes leben, imperialer impakt, 15.6.2007]
 

 


»3. Anläßlich der Re-Lektüre von Niklas Luhmanns „Ökologische Kommunikation“ thematisiert Daniel Lüdecke die Unhintergehbarkeit des Beobachterstandpunkts. Da – und dies ist in meinen Augen eine der Hauptleistungen von Luhmanns Kommunikationstheorie – jede Beobachtung stets an ihre Unterscheidung gekoppelt bleibt, kann sie sich selbst, also den Prozeß des Beobachtens mitsamt seinen möglichen Schwachpunkten, nicht gleichzeitig in den Blick nehmen.

Oder anders formuliert: in jeder Situation in der wir unsere Umwelt beurteilen bzw. beobachten, benötigen wir eine Unterscheidung. Wenn wir am Badesee vorsichtig tastend die Zehenspitzen ins Wasser halten bspw. diejenige von warm|kalt. Ob diese Unterscheidung angemessen ist, kann allerdings nur eine sog. „Beobachtung 2. Ordnung“ feststellen. Denn ein anderer Beobachter könnte möglicherweise sehen, daß die Temperatur in diesem Moment überhaupt nicht erste Priorität hat, wenn sich im Schilfgürtel des Seeufers gerade eine Schnappschildkröte aufhält. Gefahr|Nicht-Gefahr wäre also eine alternative Beobachtungsform, die aber ihrerseits hinsichtlich ihrer Unterscheidungswahl wieder blind ist. 

Aber entfernen wir uns wieder von den trivialen Niederungen des Badevergnügens – und nähern uns der Verallgemeinerung an: was wir aus diesen Überlegungen im Anschluß an Luhmann lernen können ist, daß jede Beobachtung einen unhintergehbaren „blinden Fleck“ aufweist; nämlich nicht sehen kann, was sie nicht sehen kann. Um also die Beobachtungsadäquanz zu beurteilen, bedarf es einer Beobachtung 2. Ordnung, die selbst wieder nicht zwangsläufig besseres, sondern lediglich anderes Wissen generiert.

Daniel Lüdecke kommt zum Schluß:

Die Eigengesetzlichkeiten der Kommunikation müssen durch Selbstbeobachtung beobachtet werden, um zu verstehen, warum geschieht, was geschieht, und warum nicht geschieht, was vielleicht geschehen sollte. Erst wenn diese Eigengesetzlichkeit der Gesellschaft (=Kommunikation) mit hinreichend komplexen Theorien analysiert werden kann, können vernünftige Argumente und funktionale Äquivalente oder Lösungen entwickelt werden.

 

Weiterführende Literatur:

 


»4. Was ist denn in Uhlmann gefahren, mag man sich fragen. Ziemt es sich neuerdings für Rockstars sich in der Hauptstadtpostille „Tagesspiegel“ über die Befindlichkeiten, Sorgen und Nöte junger Väter auszulassen?1 Aber wenn Thees Uhlmann ein Prinzip verinnerlicht hat, dann ist es dasjenige, sich nicht um Erwartungen zu scheren. Immer geraderaus oder – Uhlmanns Freund Marcus Wiebusch zitierend – „mach immer, was dein Herz Dir sagt.“ 

Das sind also die Prämissen, unter die Uhlmann – seines Zeichens Kopf und Sänger der unvergleichlich charmanten Hamburger Indieband „Tomte“ – seinen Lebensentwurfs stellt. Man verdankt Uhlmann einige der authentischsten Zeilen in der Geschichte der Rockmusik und viele unvergessene Konzerte. Und daß er es verdammt Ernst meint mit der Aufforderung, die Schönheit der Chance zu ergreifen und all das zu umarmen, was einem gefällt, war ohnehin längst klar.

Nun ist auch öffentlich, weshalb der Tomte-Clan dieses Jahr nicht mit neuer Platte aufwarten kann. Denn Thees ist Vater geworden. Offenbar schon im April. Und über seine Erfahrungen gibt er unter der netten Überschrift „Von Windeln verweht“ Auskunft:

Also, in aller erster Linie soll dieser Text eine tiefe Verneigung vor den Damen dieser Welt sein für das, was sie vor der Schwangerschaft, während der Schwangerschaft und vor allen Dingen nach der Schwangerschaft über sich ergehen lassen müssen. Hut ab!

So ein wenig vermisst man dann auch die Rotzig- und Respektlosigkeit, die Uhlmann sonst auszeichnet. Der Text ist – jedenfalls meiner bescheidenen Ansicht nach – gehörig inkohärent und lässt den roten Faden vermissen. Einige Passagen sind dennoch bemerkens- und festhaltenswert, so z.B.:

Ich gebe zu, ein Kind zu haben, ist zu 90 Prozent der Himmel. Aber zu zehn Prozent ist es die gottverdammte Hölle. Wenn das Kind schreit – und merke, wenn das Kind schreit, hat es immer recht! – dann ist das kein Weinen, wie wenn man sich den kleinen Zeh nachts am Bettpfosten gestoßen hat. Das ist ein Geräusch vom Ende der Seele.

Ja, das ist der Uhlmann, von dem man gerne mehr lesen würde. Aber vermutlich hat der Nachwuchs auch während der Abfassung des Textes genau das getan, worüber Thees schreibt: geheult nämlich und den jungen Papa nicht in Ruhe schreiben lassen. So ist es kein Artikel wie aus einem Guß geworden, dafür endet er mit einem schönen Plädoyer bzw. einer Aufforderung an zumindest den männlichen Teil der Leserschaft:

Haben Sie Langeweile, starke Nerven, eine Dame, bei der sie sich vorstellen können, sie 20 Jahre zu lieben, und haben Sie alle dummen Bars und dummen Typen dieser Stadt gesehen? Ja? Gut, dann sage ich: Machen Sie mal schnell ein Kind.

 Sollte dem noch etwas hinzuzufügen sein?

 

 


»5. Und wo wir abschließend bei Musik sind: einer der vielversprechendsten Musiker und Songwriter unserer Zeit ist der 34-jährige Damien Rice. Bereits 2002 hatte der gebürtige Ire mit dem Album „O“ für wahre Begeisterungsstürme gesorgt, dann mit Liveauftritten sich weiteres Renommee erarbeitet und schließlich Ende 2006 sein zweites Album vorgelegt.

Dieses ist – Rice ist kein Elegiker – ebenfalls recht unscheinbar mit „9“ betitelt. Was so bescheiden daherkommt, offenbart allerdings beim Hören der Popsongs ein Strahlen, das seltene Intensität besitzt. Wundervoll zart instrumentiert sind die Lieder von Rice. Und von beeindruckender Schönheit. Im Zentrum steht Rice‘ kraftvolle Stimme, die aber nie überwältigt, sondern stets die Möglichkeit ihrer Fragilität kenntlich macht. Große Gefühle, Emotionalität und bescheidene, fast introvertierte Klänge gehen so Hand in Hand. Einer der zerbrechlichsten Songs ist die Singleauskopplung „9 Crimes“, das Rice im Duett mit Lisa Hannigans singt. Dazu gibt es ein sehr schönes Video. 

 

 

CD-Tipps:

  1. Und da ich mit dem Hinweis auf Thees Essay nun einige Tage gewartet habe, bis diese Fundstückesammlung komplett wird, wurde auch schon anderswo, z.B. im Spreeblick oder bei Franzi und hier darauf verwiesen. Das kommt davon, wenn man sich Zeit läßt. ;-) []

2 Gedanken zu „Querverweise » Fundstücke, Lesenswertes & Links – 03“

Schreibe einen Kommentar