Ratiopharm-Akte: Die pharmazeutische Landschaftspflege von Ratiopharm

Gelddose_200Die Pharmabranche ist ein Geschäft wie jedes andere: man muß seine Produkte an den Mann oder die Frau bringen. Fast egal um welchen Preis. Wer Skrupel hat, der hat das Nachsehen. Moral, Fairness, Transparenz – das sind eher Fremdworte in Kreisen von Pharmareferenten, die zu Zigtausenden in der Republik unterwegs sind, um bei Ärzten und Apothekern für ihre Medikamente zu werben. Nun ist im Internet der Ermittlungsbericht zu den Praktiken von Ratiopharm aufgetaucht, der einen interessanten Einblick in dieses Geschäft gibt.

Es ist eigentlich ganz egal, ob es um den Verkauf von billigen Nachahmerpräparaten (Generika) oder den meist überteuerten Originalmedikamenten geht: die Pharmafirmen sind darauf angewiesen, daß die Ärzte genau ihr Medikament auf den Rezeptblock schreiben. Und dafür muß man die Ärzte bei Laune halten. Das beginnt mit den bekannten Gratis-Medikamenten, geht weiter mit den Einladungen zu Fortbildungskursen, die in besonders exklusiven Hotels stattfinden und reicht bis zu Gutscheinen und Geschenken.

Oberste Pflicht der Außendienstmitarbeiter: Die Ärzte bei Laune halten und zu Verschreibungen „verpflichten“.

Der Generika-Platzhirsch Ratiopharm hat sich ab Ende der 90er Jahre besonders intensiv um die niedergelassenen Ärzte bemüht. Das hatte bereits 2005 der stern-Journalist Markus Grill recherchiert. Nun sind die Ermittlungsakten auf der Website von wikileaks einsehbar. Spannende Lektüre für alle, die wissen wollen, wie es in der Szene zugeht.

Erbitterte Konkurrenz unter den Generika-Herstellern

Ratiopharm hat sich mit pfiffig-penetranter Werbung seit langem als Hersteller von preiswerten Medikamenten positioniert. Bei näherem Hinsehen fällt freilich auf, daß die ratiopharm-Pillen gar nicht immer so unschlagbar günstig sind. Stada, Hexal und Co. sind teilweise günstiger. Umso wichtiger, daß die Ärzte und Apotheker dennoch irgendwas von ratiopharm verschreiben oder über die Ladentheke schieben.

Die Pharmareferenten stehen selbst unter Druck. Letztlich entscheidet, wer die Ärzte auf raffinierte Weise „kaufen“ kann..

Um eine möglichst hohe Verschreibungsquote zu erzielen und die Konkurrenz abzuhängen, tingeln die Außendienstmitarbeiter übers Land. Die werden – wie man in den Akten nachlesen kann – speziell geschult, um Ärzte zu locken.1 Und sie stehen selbst unter enormem Erfolgsdruck. Sicher kein leichter Job mit diesen „zickigen“ Ärzten. Sonnenklar ist für die ratiopharm-Leitung offenbar, daß man die Ärzte „kaufen“ muß:

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Und die passenden Argumente für die Mediziner sind ganz offensichtlich idealerweise finanzieller Natur. Wer besonders fleißig ratiopharm-Medikamente verschrieb, wurde mit 2,5% am Verkaufspreis beteiligt. Als man 2004 etwa den Cholesterinsenker „Pravastatin“ in den Markt drücken wollte, lockte man die Mediziner mit Honorarversprechungen für jede neue Verschreibung. 10 Patienten, die ein Arzt neu auf Pravastatin umstellte, wurden mit 100,- Euro entlohnt.

In der Wirtschaftswoche ist zu lesen, daß die Ermittler für die Jahre 2000-2005 davon ausgehen, daß ratiopharm auf diese Weise rund 1,7 Millionen Euro auszahlte.2

Aber auch gegenüber anderen netten Gesten zeigen sich die Ärzte aufgeschlossen. Espresso-Maschinen eines noblen Schweizer-Herstellers wurden an besonders kooperative Praxen verteilt.3

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Und Ärzte, die schon eine Espressomaschine haben, die werden kurzerhand mit ihrer gesamten Praxis zum Essen eingeladen. Auf Ratiopharm-Kosten selbstverständlich. Abgerechnet wurden solche Maßnahmen als „Fortbildungsmaßnahme für Ärzte nebst Personal“. Ist ja auch kaum gemogelt.

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Die Ermittlungsakte vermittelt auf 96 Seiten einen hübschen Eindruck, was in der Branche üblich ist. Man sollte sich freilich keine Illusionen machen: auch die Mitbewerber von Ratiopharm dürften mit ähnlichen Mitteln versuchen, das Verschreibungsverhalten der Ärzte zu ihren Gunsten zu beeinflußen.

  1. Zum Einstieg sollen die Vertreter etwa mit folgendem Satz beginnen: „Was halten Sie davon, wenn ich Ihre Bemühungen von Mehrverordnungen honorieren würde.“ S. 63 []
  2. Zitat: „Nach den Erkenntnissen der Fahnder könnten sich die Zahlungen an die Ärzte in den Jahren 2000 bis 2005 auf rund 1,7 Millionen Euro summieren. Ermittlungen laufen noch.“ []
  3. „Sehr geehrte Damen und Herren, es sind noch 433 Stück Espressomaschinen vorhanden. Sie haben nun die Möglichkeit, maximal drei Espressomaschinen anzufordern. Bitte knüpfen Sie die Abgabe der hochwertigen Espressomaschine an ein Verordnungsversprechen! Wir grüßen Sie sehr herzlich aus Ulm.“ S. 52 []

4 Gedanken zu „Ratiopharm-Akte: Die pharmazeutische Landschaftspflege von Ratiopharm“

  1. Die Ermittlungsakte vermittelt auf 96 Seiten einen hübschen Eindruck, was in der Branche üblich ist.

    Ah, ja. Schreibt hier ein Brancheninsider? Oder woher will der Autor wissen, was denn „üblich“ ist?

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  2. @Alice:

    Ah, ja. Schreibt hier ein Brancheninsider? Oder woher will der Autor wissen, was denn “üblich” ist?

    Ach, Insider muß man da in meinen Augen nicht sein. Es genügt, wenn man eins und eins zusammenzählen kann. Man braucht sich lediglich vor Augen halten, daß (die Zahlen stammen aus einer seriösen Erhebung des Jahres 2008) die US-Pharmafirmen jährlich knapp 60 Milliarden US-Dollar für Marketingaktivitäten ausgeben, allerdings nur 31 Milliarden für Forschung und Entwicklung von Medikamenten. Und ein Großteil der Ausgaben betrifft die oben im Text erwähnten Medikamentenproben, über die restlichen Milliarden darf jeder für sich spekulieren.

    Für weitere Einblicke in die Branche empfehle ich das Interview mit dem ehem. Eli-Lilly-Manager John Rengen: Ich habe Menschen bestochen.

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  3. Rengen ist eine super Quelle. Einer, der vor Scientology-nahen Organisationen und andere Sektierern wie der AZK auftritt. Davon abgesehen. Ist unter die „üblichen Methoden“ wirklich so einfach die „Pharmaindustrie“ also alle Unternehmen, mit unterschiedlichen Produkten und Indikationen, auf unterschiedlichen Märkten, und zu unterschiedlichen Zeiten subsummierbar?

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  4. Die Sachlage ist außerordentlich kompliziert, viel komplizierter als hier dargestellt.

    1.) Die Werbeausgaben der amerikanischen Pharmaindustrie können nicht mit denen der deutschen verglichen werden. In Deutschland ist Werbung für verschreibungspflichtige Arzneimittel verboten, in den USA dagegen erlaubt. Also sind die 61 Milliarden nicht alles Bestechungsgelder.

    2.) Leider ist in Deutschland nicht eindeutig geregelt, ob es Bestechlichkeit ist, wenn der niedergelassene Arzt Sachgeschenke oder Geld von Pharmafirmen entgegen nimmt. Mehrere Gerichte haben zum Teil unterschiedliche Urteile gefällt, der BGH hat sein Urteil verschoben. Ich plädiere für eine eindeutige Regelung – Geringfügigkeit festlegen (z.B. 50 Euro pro Jahr) und alles andere strafbar machen.

    3.) Ich bin selbst niedergelassener Allgemeinarzt und empfange Pharmareferenten, nehme aber keine Zuwendungen außer Holzspatel oder Kugelschreiber an. Scharf bin ich allerdings auf die Muster von Ratiopharm: Da habe ich auch mal was zu Hause, wenn der Patient abends, nachts oder am Wochenende an die Tür kommt. Im Gegensatz zu den meisten anderen verteilt Ratiopharm auch mal Muster von Paracetamol oder ähnlichem, da sind sich andere zu fein für, bringt ja kein Umsatz. Eine Verpflichtung bin ich noch bei keiner Pharmafirma eingegangen.

    4.) Viel Geld geben deutsche Pharmafirmen offensichtlich auch für indirekte Werbung bei Patienten aus. Da gibt es positiv urteilende Stellungnahmen zu neuen, teuren Medikamenten in bunten Illustrierten, in der Tagespresse und sogar bei Selbsthilfeorganisationen. Das müsste dringend gesetzlich unterbunden werden!

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