Digital ist besser: Über Vinyl, CDs, MP3s und die Macht der Hörgewohnheiten

Es sind Glaubenskriege. Als zu Beginn der 80er Jahre die ersten CDs in den Regalen standen, teilte sich die Gemeinde der Musikliebhaber in zwei Lager: die einen waren begeistert vom glasklaren Klang der digitalen Scheiben, ganz ohne Knistern und Knacken. Die anderen waren enttäuscht vom angeblich so fortschrittlichen CD-Klang: zu kalt, zu unnatürlich sei der Sound.

Bis heute halten viele Musikfans der Schallplatte die Treue – und schütteln den Kopf über die Jugend, die Rock- und Popsongs auf ihren tragbaren MP3-Playern hören. Und das Schlimmste: in den Ohren der iPod-Generation klingt das MP3-Format am besten.

MP3 klingt am besten?!

Es ist hier nicht der Ort, um über die Vor- und Nachteile verschiedenster Audioformate zu fachsimpeln, aber was Jonathan Berger, Musikprofessor in Stanford, zu berichten weiß, hat mich doch, nun ja: aufhorchen lassen. Vor wenigen Tagen nahm Berger an einer Panel-Diskussion der „American Academy of Arts and Sciences“ teil und erzählte dort von einem kleinen Experiment, das er seit 2001 mit seinen Studenten durchführt.

Jedes Jahr bittet er die Studenten, die seinen Musikwahrnehmungskurs belegen, zum Hörtest. Dabei läßt er seine Probanden die Qualität verschiedener Musikformate beurteilen. Darunter das unkomprimierte Format,1 das auf CDs zu hören ist, sowie verschiedene Kompressionsformate wie das populäre MP3 in verschiedenen Bitraten.2 Seine Hörbeispiele decken dabei eine große Palette aus Rock, Pop, Jazz und orchestraler Musik ab.

Egal was wir physikalisch messen: der Klang der MP3 wird von Studenten bevorzugt.

Das Ergebnis ist überraschend: die Studenten präferieren das – eigentlich verlustbehaftete – MP3-Format. Und diese Vorliebe für die MP3s wird von Jahr zu Jahr stärker. Diese Ergebnisse decken sich mit den Erfahrungen, die auch Matthias Bertsch von der Uni Wien gemacht hat. Auch bei seinen Tests schnitt (gerade bei Rock- und Popsongs, sowie lauteren Passagen) die MP3 besser ab, wie bei der orf-futurezone zu lesen ist.

Die Macht der Gewohnheit

Was lehrt uns das? Dieses Beispiel illustriert doch wieder, daß subjektive Empfindungen herzlich wenig mit den rein physikalischen Gegebenheiten zu tun haben. Denn unzweifelhaft ist der Frequenzumfang der MP3 geringer und natürlich geht die Kompression – rein meßtechnisch – mit Qualitätseinbußen einher. Doch: was messbar als Qualitätsminderung daherkommt, wird subjektiv als angenehmer, besser, wertvoller oder eben: bekannter und vertrauter eingestuft.

Wir sind eben doch Gewohnheitstiere. Auch wenn es um das Hören geht. Und so verweise ich – ohne jeden Skrupel – zum Abschluß auf diesen wunderbaren Mitschnitt des Tocotronic-Unplugged-Konzerts in Wien. Gar nicht audiophil, aber sehr, sehr schön.

Dirk von Lowtzow und Rick McPhail mit „Drüben auf dem Hügel“:


  1. Also das WAV-Audio-Format von 44,1-kHz. []
  2. Berger spielt den Studenten MP3s und andere Komprimierungsformate in den Qualitäten 128, 160 und 192 KBit/s vor. []

9 Gedanken zu „Digital ist besser: Über Vinyl, CDs, MP3s und die Macht der Hörgewohnheiten“

  1. Wahnsinn! Die Erklärung klingt vernünftig und ist sicherlich hilfreich, wenn mir das nächste Mal ein Vinylafficionado erklären will, dass in den schwarzen Scheiben die einzig seeligmachende Wahrheit liegt.
    Und wenn wir jetzt den nächsten Schritt von mp3s zu wahrlich schrecklichen Audiospuren bei Videos gehen, so wird in einigen Jahren das Gejaule (von YouTube-Junkies) als angenehm empfunden!

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  2. Ich bin die alte Rockversion von „Drüben auf dem Hügel“ gewöhnt und finde Sie auch besser. Sogar am besten – von allem auf der Welt. Naja, fast…

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  3. Erstaunlich. Oder auch nicht.

    Es hat vermutlich wirklich mit Hörgewohnheiten zu tun. Ich erinnere mich gut, dass CDs von MDG früher oft dafür kritisiert wurden, dass sie zu „hallig“ klängen. Tatsächlich waren sie einfach besser aufgenommen als Durchschnittsproduktionen, und man nahm nicht nur das aufgenommene Instrument, sondern auch seinen Klang im Raum wahr. Das hat viele Klassik-Rezensenten damals überfordert. Sie wollten das Klavier hören und nicht das Klavier im Raum.

    Vielleicht führt die einfachere Klangqualität von mp3 ja zu einer Art Konzentration auf das Wesentliche. Um jetzt mal einen weit hergeholten Vergleich anzustrengen: Wie bei der Schwarz-Weiß-Fotografie, die ja „objektiv“ auch eindimensionaler als die Farbfotografie ist.

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  4. Das Phänomen kennt man übrigens nicht nur dort, sondern schon sehr lange schon beim Thema Ernährung: Die meisten Leute bevorzugen inzwischen verarbeitete Lebensmittel, weil die ihnen vertrauter sind.

    Dort weiß man allerdings auch: Wenn man die Leute wieder an frische Lebensmittel gewöhnt, dann wechseln diese Präferenzen bald wieder. Und wer beides kennt, lässt keinen Zweifel daran, dass frisch einfach besser ist.

    Die Studie zeigt also nicht etwa, dass die objektive Qualität für den Hörgenuss irrelevant sei, sondern vielmehr, dass auch das Musikempfinden eine Trainingsfrage ist.

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  5. @Julia:

    Ja, eigentlich mag man gar nicht weiterdenken, was (wenn man in diese Logik weiterdenkt) irgendwann einmal als Qualität empfunden und beurteilt wird. Wobei ich – wenigstens wenn es um Musik geht – schon denke, daß wirklich Einbußen an Klangqualität kaum hingenommen werden würden. Die MP3s mit 96KBit/s werden auch heute von den Studenten als minderwertig eingestuft.

    @Oli:

    Ich bin die alte Rockversion von “Drüben auf dem Hügel” gewöhnt und finde Sie auch besser.

    Du sagst es: Du bist daran gewöhnt! ;-)

    @HG:

    Interessanter Gedanke, daß uns zu komplexe Formate (egal ob visuell oder auditiv) manchmal überfordern und weniger „Informationen“ dann einfach den Blick bzw. das Hören aufs Wesentliche ermöglichen…

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  6. @Fischer:

    Ja, klar, die Präferenz für bestimmte Produkte und Lebensmittel, die inzwischen kaum mehr etwas mit dem „Original“ zu tun haben, ist vom Mechanismus vergleichbar. Egal ob es um die Ananas aus der Dose oder mit Geschmacksverstärkern und/oder Aromen aufgepeppte Sachen geht.

    Insofern gehe ich zu 100% d’accord: es ist der Trainingseffekt. Wobei Training ja eben letztlich doch wieder auf Gewöhnung (Stichwort: Homöostase) hinausläuft.

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  7. @HG & Marc
    wobei der Begrif des „Wesentlichen“ auch wieder einer sozialen Deutung unterliegt – und das hat auch wieder was mit Gewohnheiten usw. zu tun.
    Der Raumklang kann so auch zum Klang des Klaviers dazugehören … oder so…
    Viele Grüße
    Bege

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  8. Es bleibt die Erkenntnis, dass sich Präferenzen für bestimmte Tonträger-Typen nicht allein durch den in Messkurven ermittelten Frequenzgang bestimmen lassen. Irrationale Argumente spielen hierbei eine zumindest genauso wichtige Rolle. Insbesondere die Diskussion ‚Analog vs. Digital‘ gerät in diesem Zusammenhang zu einer regelrechten Glaubensfrage. Kein Wunder, handelt es sich doch gerade bei Musik um ein höchst emotionales Gut und zugleich um einen wichtigen Baustein unserer Sozialisation.

    Dass die Entscheidung für oder gegen einen Tonträger nicht allein vom ‚objektiven‘ Klangerleben bestimmt wird, konnte ich auch in der Abschluss-Arbeit meines Bachelor-Studiums nachweisen. Hierfür hatte ich 217 Konsumenten von Vinyl-Schallplatten nach ihren Nutzungsmotiven befragt. Neben dem Klang konnten weitere ästhetische, aber auch praktische sowie sozialpsychologische Motive identifiziert werden (z.B. Nostalgie, Schallplattenkauf als Ausdruck einer Protesthaltung gegenüber Musikindustrie).

    Wer sich für das Thema interessiert, kann sich die Arbeit bei Scribd ansehen bzw. herunterladen:
    http://www.scribd.com/doc/14850338/Studie-Nutzungsmotive-von-Schallplattenkonsumenten-Autor-Robert-Arndt
    Eine (englische) Kurzfassung findet sich hier:
    http://www.scribd.com/doc/14850258/Research-Motives-of-Vinyl-Use-Author-Robert-Arndt

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  9. @Robert Arndt:

    Vielen Dank für den Kommentar und den Link auf die Arbeit. Ich habe kurz reingelesen und klingt sehr interessant. Und im Ergebnis kann man wohl nur Dein Fazit (S. 75) unterstreichen:

    Letztlich wird sich das Nebeneinander verschiedener Tonträgerformen in einer hoch differenzierten und individualisierten Gesellschaft auch in Zukunft kaum vermeiden lassen. Die Musikindustrie sollte lernen, diesen Umstand mehr als Chance, denn als Hindernis zu begreifen. Denn im Gegensatz zu den meisten anderen technischen Produkten gibt es in diesem Bereich kein „besser“ oder „schlech-ter“. Jede Form von Tonträgern hat ihre eigenen Stärken und Schwächen

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