Blogcamp 3.0 » Die Ambivalenz des Politischen im Web 2.0 und andere Zukunftsfragen

Der subtile Klassentreffencharakter, der üblicherweise Treffen der Web2.0-Gemeinde auszeichnet, fehlte beim BlogCamp 3.0 in Zürich. Aber sonst war alles wie immer. Fast jedenfalls. Einige Notizen zum BlogCamp Switzerland.

Eine der ersten Stationen der herbstlichen BarCamp-Tour fand am vergangenen Freitag in Zürich statt. Die Macher von Blogwerk, rund um ihren Häuptling Peter Hogenkamp, hatten gerufen und über 150 Blogger, Twitterati und Web2.0-Freaks waren gekommen. Und der Technopark, rund 500 m von der Limmat entfernt, bot die geeignete Infrastrukur.

Der Tag begann mit kurzen einführenden Worten von Peter Hogenkamp, der die alten BarCamp-Hasen an die Regeln erinnerte und die Neulinge auf die spezifische BarCamp-Kultur hinwies: No spectators. Keine passiven Zuseher also – wer an BarCamps teilnimmt, bringt sich ein. Durch Referate, Diskussionsbeiträge etc.

Das „Prinzip“ Blocher

Und die Präsentationen des Tages waren durchweg spannend und professionell. So auch die Präsentation von Matthias Ackeret – der Schweizer Journalist berichtete vom umstrittenen Projekt „Teleblocher„. Zur Erinnerung: Christoph Blocher, Unternehmer, Milliardär und konservativ-volkstümlicher Politiker hatte in den letzten Jahren das politische System der Schweiz gehörig durcheinandergewirbelt. Latent fremdenfeinliche Slogans und naiv-patriotische Positionen hatten der SVP und Blocher unerwartete Wahlerfolge beschert – und die Schweiz hatte auf einmal schlechte Presse im Ausland.

Im Winter schied Blocher nach einigen Turbulentzen aus dem Bundesrat aus – und stellt sich seitdem fast noch stärker als aufrechten Kämpfer für schweizerische Interessen dar, dessen Positionen von einer angeblichen Allianz in den Medien bekämpft und unterdrückt werde. Der Journalist Ackeret begann – er hatte ohnehin ein Buch über das „Blocher Prinzip“ vorgelegt – im Januar ein Online-Interview-Projekt mit dem SVP-Politiker.

Das Internet als Plattform für rechtslastige Politiker?

Einmal pro Woche ist seitdem jeweils ein kurzes Frage-Antwort-Spiel auf der Website „teleblocher“ zu sehen. Volksnah und authentisch – gibt sich dort der Volkstribun. In der Schweiz sorgte der Start dieses Polit-You-Tube für große Aufregung. Darf man einem rechtslastigen Politiker eine solche Plattform bieten? Ist Ackeret naiv oder ohnehin längst zum Stichwortgeber des charismatischen Blocher mutiert?

Zauberlehrling Ackeret? Wieso betätigt sich der Journalist als Stichwortgeber für den umstrittenen Blocher?

Die Ausführungen Acherers hinterließen (bei mir und Ali Arbia, der ebenfalls interessiert zuhörte) ein mehr als zwiespältiges Gefühl. Da steht ein gelernter Journalist und predigt durchaus glaubhaft die Vorteile eines alternativen, low-budget-Journalismus im Web. Er erzählt begeistert, wie revolutionär die Möglichkeiten zur Berichterstattung jenseits verkrusteter Medienstruktureren sind, die das Internet bietet – und doch bleibt der schale Beigeschmack, daß da jemand dem „Phänomen“ Blocher erlegen ist und selbst mit am Mythos eines Politikers bastelt, der xenophobe Reflexe herausfordert.

Wie gesagt: hochinteressant diese erste Präsentation, aber gleichzeitig ernüchternd. Denn Ackeret schien tatsächlich daran zu glauben, daß sein „Held“ Blocher von den etablierten Schweizer Medien systematisch benachteiligt werde und diese umgekehrt den anderen Politikern willfährig zu Dienste stünden. Also wieder mal etwas gelernt – die Behauptung die Schweizer Medien seien quasi gleichgeschaltet wurde einigermaßen unwidersprochen hingenommen.

Werden wissenschaftliche Blogs überschätzt?

Am Nachmittag ging es dann weiter mit meiner eigenen Präsentation zu wissenschaftlichen Weblogs. Im Anschluß an meine 20-minütige Präsentation gab es eine ganze Reihe spannender und durchaus kritischer Nachfragen. Einig war man sich, daß wissenschaftliche Blogs ein ungeheurer Luxus sind: mit geringem Aufwand kann hier über eigene Forschungsprojekte berichtet werden und zu allen möglichen wissenschaftlichen Themen Stellung bezogen werden. Und der Mehrwert für die bloggenden Wissenschaftler1 ist auch – wie man feststellte – offensichtlich.

Risiken und Nebenwirkungen wissenschaftlicher Blogs: Besser nicht zu viel Privates?

Interessant war freilich die Anmerkung eines Professors für Wirtschaftsinformatik, der daran erinnerte, daß man sich als bloggender Wissenschaftler auch beschädigen kann. Denn – so seine Erfahrung – wenn Texte vor rechtschreibfehlern wimmeln und formale Mängel aufweisen, so ist das nicht unbedingt der Reputation zuträglich.

Und: er selbst – so die ehrliche Aussage – bevorzuge letztlich doch die nüchterne Kommunikation über die bewährten Kanäle. Denn allzu private Details wolle er aus dem Leben seiner Kollegen oft gar nicht wissen…

Der bloggende Bundesrat

Und den etwas untypischen Abschluß des Blogcamps fand dieses mit dem Auftritt von Bundesrat Moritz Leuenberger. Der prominente Schweizer Politiker, seit 12 Jahren Mitglied des Bundesrats und derzeit für das Department Umwelt, Wirtschaft, Verkehr und Kommunikation verantwortlich, präsentierte sich charmant, hochprofessionell und als glaubhafter Gelegenheitsblogger.

Moritz Leuenberger beim BlogCamp

Natürlich, Leuenberger ist Profi genug und wenn er vor einigen hundert Bloggern einen kurzen Vortrag hält, wird er nicht so dumm sein und gestehen, daß er insgeheim das ganze Gerede um das Web2.0 für Blödsinn hält. Aber – so jedenfalls mein Eindruck – Leuenberger steht zu seiner Nebentätigkeit als Blogger und hat tatsächlich Spaß daran gefunden.

Einmal pro Woche schreibt er einen Beitrag – so seine Auskunft und die Ideen für seine Postings erhalte er regelmäßig durch seine Leser. Oft sei es so, daß ihn ein Kommentar nachhaltig beschäftige und er in einem folgenden Artikel eben darauf Bezug nehme. Das hörte sich glaubhaft an und insgesamt muß man die Schweizer Szene wohl zu diesem Bundesrat beglückwünschen.

Am Rande: Blogger-Smalltalk und Erfahrungsaustausch

Insgesamt also ein versöhnlicher Abschluß des Tages. Wobei natürlich die vielen interessanten Diskussionen am Rande des BlogCamps nicht ganz unerwähnt bleiben sollen. Immer wieder kam man auf die Problematik zu sprechen, daß das besondere Nutzungsprofil von Blogs (hohe Interaktionsrate, lange Verweildauer auf den Seiten) in den konventionellen Bewertungssystemen nicht abbildbar sind. M.a.W.: die Orientierung an PageImpressions verkennt das Potential von Blogs.

Die Tage des PI-Fetisch sind gezählt. Die Tage des klassischen Blog-Layouts auch?

Eine zweite spannende Diskussion betraf die Frage, ob das klassische Blog-Layout2 nicht viele Leser abschreckt oder zumindest nicht hinreichend mit Orientierungsmöglichkeiten ausstattet.

In diesem Zusammenhang konnte Jürg Vollmer von Krusenstern.ch berichten, daß sein Blog-Re-Design vom Frühjahr – als er Magazin-Elemente integrierte – sehr gut bei den Lesern ankomme. Und der Krusenstern glänzt tatsächlich, wie ich finde, durch ein ansprechend-übersichtliches Layout.3

Weitere Diskussionen zu diesen Fragen findet man u.a. im Anschluß des Artikels von Lars Fischer. Der mich übrigens mit solchen feinen Beobachtungen immer wieder erfreut:

Die Hälfte der Leute in den Vorträgen haben ihre Zeit damit verschwendet, alle drei Minuten in Twitter reinzuschreiben, dass sie grade in einem tollen Vortrag sitzen. Von dem sie gerade bestenfalls die Hälfte mitbekommen, wenn überhaupt.

Aber gut, digitale Kommunikation um ihrer selbst willen ist ja eh so ein bisschen der Fluch der Blogosphäre, frei nach dem Motto: Warum soll ich mit dem Typ neben mit reden, ich folge doch seinem Tweet? Das Web 2.0 demonstriert eben neben den Möglichkeiten der Kommunikation auch oft ihr scheitern.

Und wer sich die Teilnehmer des Camps gerne ansehen möchte, der ist mit diesem kleinen photographisch-filmischen Video wunderbar bedient:



  1. Erhöhte Sichtbarkeit und Außenwirkung, Chance mit Kollegen in Kontakt zu treten etc. []
  2. Alle Beiträge werden strikt chronologisch angeordnet. []
  3. Von den spannenden inhalten ganz zu schweigen. []

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