Dümmer auf Englisch? » Die Marginalisierung der deutschen Sprache in der Wissenschaft | Werkstattnotiz XXXVI

Die Wissenschaft ist ein internationales Geschäft und sie kommuniziert auf Englisch. Es wäre naiv, in Abrede stellen zu wollen, daß heute nur noch ein verschwindend geringer Teil aller wissenschaftlichen Publikationen auf Deutsch verfaßt wird und daß man (wenn man sich in den internationalen Diskurs einklinken will) besser daran tut, ebenfalls auch auf Englisch zu publizieren. 

Dennoch darf man daran erinnern, daß es Zeiten gab, in denen in vielen wissenschaftlichen Disziplinen die deutsche Sprache selbstverständlich die "lingua franca" war. Und so schrieb etwa Iwan Pawlow,1 der russische Nobelpreisträger und berühmtester Physiologe seiner Tage, seine Texte auf Deutsch. Daß sich das Rad der Zeit nicht mehr zurückdrehen läßt, steht außer Frage – inzwischen wird aber die deutsche Sprache selbst in der innerdeutschen akademischen Landschaft immer mehr an den Rand gedrängt.

Um am internationalen Fachdiskurs teilzunehmen sind englische Publikationen unabdingbar. Aber weshalb ist es auch notwendig, in allen Bereichen von Forschung und Lehre auf die englische Sprache umzustellen?

Und hier sei Einspruch erlaubt. Denn daß es häufig unabdingbar ist, seine wissenschaftlichen Forschungsergebnisse in international zugänglichen Journals zu plazieren, steht außer Frage.2 Es geht also keineswegs darum, einer wissenschaftlichen Kleinstaaterei das Wort zu reden. Allerdings erscheint es mir doch mehr als fragwürdig, daß bspw. neuerdings wissenschaftliche Konferenzen in Deutschland vermehrt auf Englisch abgehalten werden, obwohl keine oder nur ganz wenige ausländische Gäste anwesend sind. Und was man sich davon verspricht, wenn man an Universitäten nicht nur einzelne Vorlesungen oder Seminare in englischer Sprache anbietet, sondern gleich auch noch die Prüfungen in der Fremdsprache abnimmt, muß man mir bitteschön erklären.

Ganz aktuell hat Lars Fischer vom Fisch-Blog dieses Thema aufgegriffen und dort hat sich auch eine kleine Diskussion entfaltet. Ich erlaube mir hier nochmal den Verweis auf einen eigenen Artikel vom Juli 2007. Ich hatte damals auf einen Text von Stefan Klein in der FAZ verwiesen und folgendermaßen kommentiert:

Einer Wissenschaft, die sich ihrer Exzellenz nur dadurch vergewissert, daß sie auf Englisch publiziert, kann man nicht oft genug ins Gewissen reden, die Leistungsfähigkeit der Wissenschaftssprache Deutsch nicht zu vergessen. Dabei geht es nicht um einen Boykott des Englischen, sondern darum, darauf zu insistieren, daß wissenschaftliche Ergebnisse – vor allem, wenn sie in ihren Zusammenhängen und Auswirkungen dargestellt werden sollen – auch auf Deutsch veröffentlicht werden sollten. [Marc Scheloske, Wissenswerkstatt, 18.7.2007]

 

Lars Fischer stellt kritisch fest:

In Deutschland jedoch nimmt die Anglifizierung der Wissenschaft inzwischen absurde Ausmaße an: Da heißen Fachbereiche plötzlich „Departments“, Lehrveranstaltungen von deutschen Muttersprachlern für deutsche Muttersprachler werden auf Englisch abgehalten, Diplom- und Examensarbeiten an deutschen Instituten auf Englisch verfasst.

[…] Denn es ist keineswegs egal, ob an deutschen Universitäten nun auf Deutsch oder Englisch geforscht und gelehrt wird.

Naturwissenschaft kann nur durch Austausch und Kommunikation mit der Gesellschaft bestehen. Ihre Relevanz erhalten wissenschaftliche Ideen nicht dadurch, dass sie zur Konstruktion neuer, toller Technologien führen, sondern dass sie von der Allgemeinheit aufgenommen werden und in den gesellschaftlichen Grundkonsens eingehen. [Lars Fischer, Fisch-Blog, 15.11.2007]

 

Um keine Mißverständnisse aufkommen zu lassen: ich bin keineswegs für eine Abschottung gegenüber der internationalen "scientific community" und daß bereits im Studium die Rezeption der englischen Fachliteratur unerläßlich ist, ist ebenso unbestritten. Daß aber der wissenschaftliche Diskurs v.a. in den Geistes- und Sozialwissenschaften auch3 weiterhin auf Deutsch geführt werden sollte, halte ich für mehr als wünschenswert. Und insofern schließe ich mich dem Standpunkt Julian Nida-Rümelins ohne Einschränkungen an:

Die größere Buchpublikation – für die geisteswissenschaftliche Forschung nach wie vor zentral […] – wird entwertet. Publikationen in der Muttersprache oder in einer anderen Sprache als Englisch zählen nicht mehr. Die stilistische Sorgfalt – charakteristisch für geisteswissenschaftliche Publikationen – schwindet, die "Schrumpfform" des Amerikanischen, wie sie in internationalen englischsprachigen Zeitschriften dominiert, nivelliert die geisteswissenschaftliche Terminologie, klassische Quellen und fremdsprachige Texte werden lediglich in ihren englischen Übersetzungen rezipiert etc. Letztlich mündet diese Entwicklung in eine Art Selbstkolonialisierung der reichhaltigen und vielfältigen geisteswissenschaftlichen Landschaften in Europa. [Nida-Rümelin, Julian (2006): Hochschulpolitik und die Zukunft der Geisteswissenschaften]

 


 

Weitere Literatur- und Linktipps zu dieser Frage, finden sich hier:

 

  1. Pawlow arbeitete auch einige Jahre an der Universität Leipzig. []
  2. Bereits 1990 ergab die Studie von Garfied & Welljams-Dorof, daß auch deutsche Forscher weitaus häufiger zitiert werden, wenn sie englisch publizieren, vgl. Eugene Garfield und Alfred Welljams-Dorof (1990): Language Use in International Research: A Citation Analysis, The ANNALS of the American Academy of Political and Social Science, Vol. 511, No. 1, 10-24. []
  3. Und "auch" meint nicht ausschließlich, sondern eben eine Parallelität von Deutsch und Englisch. []

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