»Free Burma« – Bürgerjournalismus in Krisenzeiten und die globalen Solidaritätsnetzwerke | Werkstattnotiz XII

Recherchieren, informieren, dokumentieren. So lautet die klassische Aufgabenbeschreibung des Journalismus. Wenn – wie derzeit in Burma – die Presse- und Meinungsfreiheit unter Beschuß gerät, dann zeigt sich die Bedeutung des neuen Bürgerjournalismus: in Krisenzeiten sind sog. Weblogs („Online-Tagebücher“) inzwischen häufig eine wichtige Quelle für die freie Berichterstattung.

Die Blogger in Burma, die wertvolle Informationen zugänglich machen, sind aber nicht allein. Nun formiert sich eine internationale Solidaritätsaktion der Blogcommunity.

Krisen- und Kriegszeiten als Hochkonjunktur für den Graswurzeljournalismus?

Die Tatsache ist nicht neu: im Sommer 2006 eskaliert der Konflikt zwischen Israel und der libanesischen Hisbollah. Daß auch Stadtteile Beiruts Ziele von Angriffen waren, erfährt die  interessierte Weltöffentlichkeit zuerst durch Blogs. Ein Jahr später spitzt sich innerhalb weniger Tage die Lage in Burma zu. Die Protestbewegung gegen das Militärregime weitet sich aus. Versammlungsverbote werden verhängt und die Sicherheitskräfte gehen massiv gegen die buddhistischen Mönche und andere Demonstranten vor.

Von den staatlich kontrollierten Zeitungsredaktionen ist kaum zu erwarten, daß die Ausschreitungen thematisiert werden. Und die ausländischen Journalisten sehen sich Repressalien der Militärjunta gegenüber. Währenddessen etablieren sich Weblogs als alternative Kommunikationskanäle. Augenzeugenberichte, Fotos von Mißhandlungen und Videos der Auseinandersetzungen auf den Straßen Ranguns – diese Dokumente stoßen weltweit auf große Aufmerksamkeit. Und sie finden sich zuerst auf privaten burmesischen Internetblogs.

Blogs sind Bürgerjournalismus im ursprünglichen Sinne: sie stellen eine Gegenöffentlichkeit dar und sind somit integraler Teil einer pluralen Meinungslandschaft.

Es ist ein Bürgerjournalismus im ursprünglichen Sinne, der gegen alle Versuche des meinungsfeindlichen Regimes eine Gegenöffentlichkeit darstellt.1 Und diese Öffentlichkeit – die  Tatsache, daß die brutalen Übergriffe der Sicherheitskräfte weltweit publik werden – ist von zentraler Bedeutung. Die Demokratiebewegung in Burma hat kaum andere Chancen auf Erfolg, als einen internationalen Sturm der Empörung zu entfachen.

Die Machthaber in Burma haben diese Gefahr freilich erkannt. Zensur fand schon lange statt und am Freitag wurden auch die Internetverbindungen größtenteils gekappt. Nun ist es für die engagierten Blogger nur noch unter erschwerten Bedingungen möglich, ihre Informationen nach draußen zu schleusen. Aber auch über die restlichen Schlupfwege gibt es Möglichkeiten, die ungefilterte Berichterstattung aufrecht zu erhalten. Das alles findet – das sollte man nicht vergessen – unter einem nicht unerheblichen persönlichen Risiko statt. Häufig sind es junge Studenten, die hier ihr Leben aufs Spiel setzen.

Robert Basic, einer der prominentesten deutschen Blogger, gesteht diesbezüglich unumwunden ein: „Ganz ehrlich, ich wüsste nicht, ob ich soviel Mut und Zivilcourage aufbringen würde.“2 Aber genauso trotzig reklamiert er: „Das Web ermöglicht weitaus mehr, als es manch einer wahrhaben will. Noch haben die meisten Menschen nicht mal ansatzweise begriffen, welche Power sie durch die Vernetzung in der Hand halten."3

Und genau diese Macht der weltweiten Community soll nun mobilisiert werden. Unzählige Blogger haben sich inzwischen zusammengeschlossen und arbeiten an einer internationalen Solidaritätskampagne für den 4. Oktober.

In zehntausenden privaten Onlinejournalen soll an diesem Tag ausschließlich eine Grafik mit der Botschaft „Free Burma“ erscheinen. Eventuell ergänzt durch einen kurzen Artikel zur aktuellen Situation im südostasiatischen Land. Damit soll demonstriert werden, daß die dortige Demokratiebewegung weltweit Unterstützung findet. In der Formulierung der Blogger liest sich ihr Anliegen wie folgt:

»Blogger aus aller Welt bereiten einen Aktionstag zur Unterstützung der friedlichen Revolution in Burma vor. Wir wollen ein Zeichen für den Frieden setzen und den Menschen, die ihr grausames Regime ohne Waffen bekämpfen, unsere Sympathie bekunden. Diese Blogger haben vor, am 4. Oktober 2007 ihre normalen Blog-Aktivitäten einzustellen, um nur einen einzigen Artikel zu veröffentlichen: Ein rotes Banner mit dem Text „Free Burma!“.«

Die Aktion ist Indiz dafür, daß die oftmals belächelte und intern zersplitterte Blogcommunity sich unter bestimmten Bedingungen doch zu gemeinsamen Aktionen zusammenraufen kann. Oftmals – und nicht selten zu Recht – wurde der Blogsphäre ihre Selbstreferentialität vorgeworfen: die Themen, die in den Blogs hoch im Kurs standen, hatten häufig herzlich wenig damit zu tun, was „draußen“ auf der Tagesordnung stand.

Schluß mit der Selbstreferentialität? Entdecken die Blogs die Politik? Oder entdeckt die Politik die Blogs?

Mit der jetzigen Aktion demonstrieren die Blogger allerdings, daß sie zunehmend so etwas wie gesellschaftliche Verantwortung entdecken. Zwar wird intern auch darüber diskutiert, ob denn dieser Aktionstag wirklich etwas an der Situation in Burma ändern könne, dabei handelt es sich aber nur um vereinzelte Stimmen.4 Die Mehrheit der Blogger zeigt sich überzeugt davon, daß es notwendig und wichtig ist, in dieser Frage Stellung zu beziehen.

Interessant ist, daß hier die internationale Kooperation zwischen Bloggern und Webmastern aus ganz verschiedenen Ländern und Kulturkreisen offenbar funktioniert. Wenn – wie nun in Burma – Menschenrechte und die Meinungsfreiheit unterdrückt werden, dann entdeckt das sogenannte „Soziale Netz“ offenbar sein politisches und soziale Gewissen.

 


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Anmerkung:

Diesen Artikel habe ich bereits am vergangenen Samstag, den 29.9. geschrieben. Ich hatte ihn ursprünglich für die klassischen Medien gedacht und zunächst telepolis angeboten. Florian Rötzer (Chefredakteur von tp) hat mir daraufhin mitgeteilt, daß sie bereits eine kurze Notiz in Vorbereitung hätten. Diese erschien ja auch am Samstagabend [hier].

Daraufhin habe ich den Text u.a. SpiegelOnline offeriert – die Kollegen der Spiegel-Netzwelt hatten offenbar aber kein Interesse. Ich bin darüber zwar etwas erstaunt und denke, daß es dem SpOn-Leser nicht geschadet hätte zu erfahren, welche weiteren "Nebenfolgen" im Netz die politischen Ereignisse in Burma nach sich ziehen, aber kann es nicht ändern. Allerdings bin ich nun durchaus gespannt, wie lange es dauert, bis SpiegelOnline den Aktionstag doch noch entdeckt und prominent thematisiert…


Technorati: free-burma

  1. Und genau hier erweist sich die Stärke von Blogs: Der Betrieb von Blogs erfordert nur geringes Know-How und stellt kaum technische Zugangsbarrieren. Somit sind Blogs – von staatlichen Institutionen – auch nur schwer zu kontrollieren. []
  2. So Robert Basic in "Burma-Blogs" am 26.9.2007 []
  3. So die durchaus bedenkenswerte These von Robert in "warum?", am 27.9.2007 []
  4. Das gibt die Situation von vergangenem Samstag wider. Seither gibt es – mehr oder minder – berechtigte Kritik und Einwände. Meine Stellungnahme dazu findet sich hier. []

4 Gedanken zu „»Free Burma« – Bürgerjournalismus in Krisenzeiten und die globalen Solidaritätsnetzwerke | Werkstattnotiz XII“

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