Traditionen der Rede von der Politikverdrossenheit » Rechte und linke Varianten der Parlamentarismuskritik im Anschluß an Jean-Jaques Rousseau

Was meinen wir, wenn wir von Politikverdrossenheit reden? Ist Politikverdrossenheit etwa gleichzeitig Demokratieverdrossenheit? Und, wenn ja, welches Demokratieverständnis steht hier in der Kritik? Lediglich die Spielart, die wir als parlamentarisch-repräsentative Demokratie vor Augen haben oder wären auch eher direktdemokratische Varianten (etwa gemäß des eidgenössischen Vorbilds) genauso von der ablehnenden Haltung betroffen?
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Um sinnvoll darüber reden zu können, was es mit der vermeintlichen Politikverdrossenheit auf sich hat, lohnt sich also ein Blick auf die ihr zugrunde liegenden Konzepte, wie sie in der demokratietheoretischen Diskussion angelegt sind. Die Kritik an der Demokratie, an der Leistungsfähigkeit neuzeitlicher gesellschaftlicher Repräsentationsregime ist – was kaum verwunderlich ist – nicht neu. Die immer wieder aufflammenden Debatten, ob und in welchem Sinne die gewählten Volksvertreter überhaupt das Volk, also die Interessen der Wahlbürger, vertreten, sind stets durch wohlbekannte Argumente gekennzeichnet.

Im Mittelpunkt stehen dabei einerseits Zweifel, ob die öffentlichen parlamentarischen Verfahren überhaupt den Raum bilden, an dem die fraglichen Entscheidungen getroffen werden. Hier keimt immer wieder der Verdacht auf, daß Korruption und der Virus des Lobbyismus die demokratischen Institutionen längst von innen ausgehöhlt haben und unsichtbar fernsteuern. Andererseits wird immer wieder bemängelt, daß sich die Führungselite nicht aus den tatsächlich fähigsten und kompetentesten Milleus rekrutiere. Mit anderen Worten: die Entscheider in Ministerien und Verwaltung sowie die parlamentarische Führungsregie seien lediglich besseres Mittelmaß. Unattraktive Bezahlung und Strukturdefizite verhinderten – so das Lamento – , daß die wirklichen Leistungs- und Führungseliten die Spitzenpositionen in der Politik einnehmen würden.

Während der Verdacht der Korruption und des stillschweigenden Machtkartells zumeist aus einer eher ‚linken Ecke‘ formuliert wird, ist die Kritik an der personellen Ausstattung meist weltanschaulich konservativ motiviert. Interessant dabei ist, daß in der Diskussion um Möglichkeiten und Grenzen demokratischer Verfahren die Argumentslogik der linken und rechten Parlamentarismuskritik gar nicht so weit auseinander liegen. Und noch spannender ist, daß sie sich beide immer wieder auf denselben Gewährsmann beziehen. Nämlich auf Jean-Jaques Rousseau und dessen Demokratietheorie. 

Aus diesem Grund lohnt sich eine kurze Skizze der rousseauistischen Demokratiekonzeption, um daraufhin exemplarisch die kritische linke Position darzustellen, die mit dem Namen von Johannes Agnoli verknüpft ist. Im Kontrast dazu eignet sich die Schrift „Die geistesgeschichtliche Lage des heutigen Parlamentarismus“ von Carl Schmitt aus dem Jahr 1923, anhand derer die konservative Position skizziert werden kann.

Bei diesem Artikel handelt es sich im übrigen um einen Beitrag zum ‚politischen Blogkarneval‚ – ein weiterer Artikel der Wissenswerkstatt findet sich hier.

Rousseaus Demokratiekonzeption als Grundlage der Parlamentarismuskritik

1. Rousseaus Beitrag zur Demokratietheorie

Am Werk des "egozentrischsten Denkers in der Geschichte der Philosophie"1 scheiden sich auch heute noch die Geister. Wie hätte es auch anders sein sollen? Schließlich haben die politisch-philosophischen und moralisch-ethischen Schriften Jean-Jaques Rousseaus stets äußerst unterschiedliche Reaktionen hervorgerufen; sein Zeitgenosse Voltaire, mit dem sich der Genfer freilich heftig verkrachte, beschimpfte ihn als einen Erznarren, als Monstrum und gar als Scharlatan, Kant hingegen beschäftigte sich intensiv mit Rousseau und erkannte in ihm denjenigen, der ihn "zurechtgebracht" hatte. Entsprechend werden seine staats- und demokratietheoretischen Ausführungen seit jeher ambivalent interpretiert. So wird er einerseits als "Vertreter des klassischen Demokratiemodells"2 und "Apostel der Direkt-Demokratie"3 bezeichnet, F.A. Hermens bescheinigt ihm gar die "wissenschaftlich am besten durchformte, (…) auch heute noch durchschlagkräftigste Auffassung vom Wesen der Demokratie"4 entwickelt zu haben. Andererseits wird Rousseau vorgehalten, der "Totengräber der Demokratie"5 und sogar "Urheber des Totalitarismus"6 zu sein.

1.1. Der Demokratiebegriff bei Rousseau

Betrachtet man Rousseaus Ausführungen zu den verschiedenen republikanischen Staatsformen, stellt man fest, daß sein Demokratiebegriff erheblich von unserem (modernen) Demokratieverständnis abweicht. In seiner Lehre von den Regierungsformen unterscheidet er zwischen Monarchie, Aristokratie und Demokratie, wobei für ihn allein die Anzahl der an der Exekutive beteiligten Bürger ausschlaggebend ist.

So ist das Kennzeichen einer Demokratie nach Rousseau "eine besondere Art der Exekutive, nämlich diejenige, bei der die Mehrheit der Bürger zugleich ausführend tätig ist, während die Gesetzgebung in der Hand des (ganzen) Volkes liegt".7

Als Bedingungen setzt er zusätzlich erstens "einen sehr kleinen Staat" und zweitens eine homogen strukturierte Gesellschaft, die sich durch eine "Einfachheit der Sitten" und "Gleichheit in Stand und Vermögen"8 auszeichnet. Diese Begrenzung auf kleinste Gemeinwesen erklärt sich daraus, daß Rousseau die Volkssouveränität absolut setzt und ihm demzufolge eine identitäre Direkt-Demokratie nach Muster einer Volksversammlungsherrschaft athenischer Art als Ideal dient.

Insofern wird verständlich, daß man ihm eine "exzentrische Demokratiedefinition"9 vorgeworfen hat. Dies sicher auch, weil er das Repräsentationsprinzip als für die Demokratie unzulässig erklärt. Trotz dieser auch semantischen Problematik hat Rousseaus Demokratiekonzeption aufgrund ihres starken basis- und direktdemokratischen Gehalts und der Betonung der unteilbaren und unveräußerlichen Volkssouveränität als Quelle und Fundament des Staates große Beachtung hervorgerufen. Jedoch wird der Einfluß Rousseaus hinsichtlich moderner Demokratieformen zumeist überschätzt, schließlich liegt – was man zweifelsfrei eingestehen muß – vor allen Dingen in Folge der überwiegend normativ ausgerichteten Konzeption "die Qualität und Leistungskraft des demokratietheoretischen Ertrags deutlich unter dem Niveau, das vor ihm von z.B. Montesquieu erreicht worden war"10. Auch Iring Fetscher kommt zu dem Schluß, daß Jean-Jaques Rousseau gewiß "nicht der Theoretiker der modernen europäischen Demokratie"11 ist.

2. Rousseaus Demokratiekonzeption als Grundlage der Demokratie- und Parlamentarismuskritik

Allerdings bildete – und das ungeachtet des vielfach bemängelten normativ, fortschrittsskeptischen Konzepts – Rousseaus Lehre die Grundlage der vielbeachteten Demokratie- und Parlamentarismuskritik von links und rechts. Die Unzufriedenheit mit der repräsentativen Demokratie, die sich auf die freie Konkurrenz politischer Eliten beschränkt, hat somit zu einer Erneuerung und Renaissance von Gedanken der direkten Demokratie geführt, die – bewußt oder unbewußt – auf Rousseaus Demokratiekonzept zurückgreifen.

Im folgenden soll anhand jeweils eines Vertreters der verschiedenen Richtungen gezeigt werden, in welcher Hinsicht die Thesen Rousseaus in der Parlamentarismuskritik des 20. Jahrhunderts Eingang gefunden haben.

Carl Schmitt, der bedeutendste, aber zugleich umstrittene, Staatsrechtler der Weimarer Republik, vertritt in "Die geistesgeschichtliche Lage des heutigen Parlamentarismus" die Ansicht, daß die parlamentarische Regierungsform zur Destabilisierung und Partikularisierung der Staatsmacht führe. Später als "Kronzeuge des Dritten Reichs" bezeichnet, kritisiert er die repräsentative Demokratie und deren Ausformung in der modernen Massendemokratie. An deren Stelle setzt Schmitt einen autoritär-elitären Führerstaat mit plebiszitären Elementen.

Im Gegensatz dazu soll Johannes Agnolis Konzeption kurz analysiert werden. Er ist eher ein Vertreter, der den heutigen Attac-Sympathisanten und Globalisierungskritikern nahestehen sollte.

Immerhin als die "Bibel der APO" wurde die 1967 vom Berliner Politikwissenschaftler Johannes Agnoli veröffentlichte Untersuchung "Die Transformation der Demokratie" bezeichnet oder, wenn die Formulierung vom anderen Lager gebraucht wurde: geschmäht. Agnoli entwickelt dort eine sog. „Involutionstheorie“, die den Prozeß der Rückbildung ursprünglich demokratischer Staaten in vor- und antidemokratische, autoritäre Formen beschreibt. Im Gegensatz zu Schmitt behauptet er eine stabilisierende Funktion des Parlaments. Ähnlich wie Herbert Marcuse und andere Vertreter der Kritischen Theorie kritisiert er die durch die kapitalistischen Produktionsverhältnisse hervorgerufenen Klassengegensätze. Lediglich durch eine Illusion des Parteien- und Interessenpluralismus und das Wirken der Kulturindustrie werde, Agnoli zufolge, der antagonistische Widerspruch der Industriegesellschaft verdeckt und schließlich entschärft. Zweck des Staates sei eine Garantie der Reproduktion der gegebenen Verhältnisse.

Entsprechend der Einteilung von Manfred G. Schmidt, der als Kernpunkte der Demokratielehre Rousseaus die Volkssouveränitätslehre und die aus dem freien Vertrag resultierende Vergesellschaftung als Identität von Regierenden und Regierten nennt und schließlich in die zwei Problembereiche Gemeinwohl und Repräsentation unterteilt, soll im folgenden die Argumentation einerseits von Rousseau, andererseits von C. Schmitt und J. Agnoli gegenübergestellt werden.

2.1. Radikale Volkssouveränitätslehre

Rousseaus Staatsverständnis ist geradezu revolutionär. Für ihn beruht der Staat weder auf Gottesgnadentum noch auf autoritärer Herrschaft, sondern auf freier Vereinbarung, "in der jeder einzelne sich mit allen verbündet, nur sich selbst gehorcht und so frei bleibt wie zuvor". [CS, I, 6]12 So Rousseaus vielversprechende Formulierung. Da sie für Rousseau derart konstitutiv ist, begründet diese prinzipiell unbeschränkte Volkssouveränität die gesamte Rechtsordnung. Allerdings ist es aber auch möglich, ihr neben diesem liberal-basisdemokratischen auch einen autoritären Charakter zu verleihen, denn wer "den Gehorsam verweigert, muß durch den ganzen Körper dazu gezwungen werden. Das heißt nichts anderes, als daß man ihn zwingt, frei zu sein." [CS, I, 7]

Diese Akzentsetzung und die gefährliche Homogenitätsforderung wird beispielsweise von Schmitt aufgegriffen. Carl Schmitt nämlich begreift den freien Vertragsschluß lediglich als liberale Fassade, als wesentliche Leistung betrachtet er den Begriff der Homogenität, denn "der wahre Staat nach Rousseau existiert nur, wo das Volk homogen ist."13 Diese für ihn elementare Vorstellung präzisiert er folgendermaßen: "Die politische Kraft einer Demokratie zeigt sich darin, daß sie das Fremde, die Homogenität Bedrohende zu beseitigen weiß. […] Eine Demokratie kann einen Teil der vom Staate beherrschten Bevölkerung ausschließen, ohne aufzuhören Demokratie zu sein." [Schmitt: 14] Es sind höchst unerfreuliche Assoziationen, die einem bei solchen Worten durch den Kopf gehen. Aber die Sichtweise ist durchaus bei Rousseau angelegt.

Die Verabsolutierung der Volkssouveränität und die Interpretation des Gedankens von Rousseau, daß unter bestimmten Umständen, wenn es sich "um das Wohl des Vaterlandes handelt" [CS, IV, 6], eine Diktatur notwendig und legitim sein könne, um "die öffentliche Freiheit zu verteidigen, ohne sie jemals antasten zu wollen" [ebd.], führt Schmitt schließlich folgenderweise aus:

"Die Konsequenz [der Krise des Parlamentarismus] ist die Diktatur, die Suspendierung der Demokratie im Namen der wahren, erst noch zu schaffenden Demokratie. Auch während einer solchen Übergangszeit kann die demokratische Identität herrschen und der Wille des Volkes allein maßgebend sein." [Schmitt: 37]

Daß hehre Motive auch nicht vor Greueltaten bewahren, lehrt freilich die Geschichte des 20. Jahrhunderts eindringlich. Für Schmitt war es noch nicht ganz so offensichtlich, daß seine prophetische Rede von der Schaffung einer „wahren Volksdemokratie“ alsbald in Deutschland und wenig später in Rußland grausame Wirklichkeit werden sollte. Das Ziel darf, so wissen wir hoffentlich heute, nicht zur Legitimation jedweder Verfahren zur Erreichung desselben sein.

Auf die Volkssouveränität als Quelle jedes legitimen Staates geht auch Johannes Agnoli ein. Nicht die Souveränität des Volkes, sondern eine "Verfassungssouveränität"14 erkennt er für die Bundesrepublik.

"Es wurde die Lebenslüge enthüllt, […] das deutsche Volk habe sich sozusagen vollverantwortlich ein Grundgesetz gegeben und also von Anfang an seine, des Volks und seiner Mehrheit, Souveränität vollzogen. Mitnichten, weder durch die direkte Wahl einer verfassungsgebenden Versammlung, noch durch die direkte Abstimmung über einen dem Volk vorgelegten Verfassungsentwurf. Das will heißen, daß [das Grundgesetz] in Wirklichkeit vom Volk weder gegeben noch gewollt wurde, vielmehr einen klassischen Fall von oktroyierter, verfassungsähnlicher politischer Ordnung darstellt."15

Man darf freilich im Hinblick auf die Lebenslüge auch anderer Auffassung sein; zumindest kann auch eine Verfassung (wie es das Grundgesetz ist) trotz der Rahmenbedingungen seines Zustandekommens16 die Basis eines freiheitlich-liberalen Staates sein.

Aber im Anchluß an Rousseau ist Agnolis beißende Kritik durchaus plausibel: vergegenwärtigt man sich die Argumentation Rousseaus, der darlegt: "Jedes Gesetz, das das Volk nicht selbst bestätigt, ist null und nichtig: es ist kein Gesetz" [CS, III, 15], so werden die Parallelen in diesem Punkt ersichtlich.

Rousseau allerdings geht noch weiter, er erklärt sogar eine vom Volk bestätigte Verfassung, die nicht eine kontinuierliche Beteiligung und Verwirklichung der ureigenen Souveränität garantiert, für ungültig: "Es genügt nicht, daß das versammelte Volk ein für alle Male die Verfassung des Staates mit der Einsetzung eines Gesetzeswerks formuliert hat." [CS, III, 13] Agnoli vertritt sogar die Ansicht, daß die Verfassung „das unterstellte Ideal der Volkssouveränität“ [Agnoli: 202] aufhebe.

2.2. Vergesellschaftung der Politik – Identität von Regierenden und Regierten

Aus dem fundamentalen Postulat der Volkssouveränität resultiert in Rousseaus Lehre eine häufig als Identitätstheorie bezeichnete Konstruktion. Infolge des auf freier Vereinbarung beruhenden Vertrags verschmelzen Staat und Gesellschaft zu einer Einheit; Staat und Gesellschaft müssen "realidentisch"17 sein, die Staatsangelegenheiten werden somit zur Sache aller Bürger, denn "aus dieser Vergesellschaftung entsteht ein Kollektivkörper."[CS, I, 7]]

Vor diesem Hintergrund wird es leicht begreiflich, daß sich sozialistische Theorien immer wieder auf Rousseau berufen und auch Agnoli orientiert sich an diesem Ideal. In seiner Untersuchung am Beispiel der Bundesrepublik glaubt er zu erkennen:

"Im parlamentarischen System sind die Bürger aus der Verwaltung ihrer eigenen öffentlichen Angelegenheiten ausgeschlossen. Der Staat bildet das rechtliche Werkzeug die politische Herrschaft zum Reservat geschlossener Gruppen zu machen. Verfassungsstaatlich muß nur noch die Legitimation zu herrschen bei den Massen eingeholt werden."[Agnoli: 56]

Ein krasser Verstoß also gegen Rousseaus Auffassung der Demokratie, die Agnoli hier offensichtlich teilt. Und ebenso eindeutig von Rousseau entlehnt, bemerkt Agnoli im folgenden: "Das Identitätsverhältnis zwischen Regierten und Regierenden, das dem demokratischen Gedanken zugrunde liegt, [muß] als eine Fiktion angesehen werden." [79]

Vielleicht weniger zu erwarten ist, jedoch auch ein wesentliches Element der späteren Propaganda,18 daß auch Schmitt dem Identitätsgedanken in seiner Konzeption einen sehr hohen Stellenwert einräumt. Denn aus der im Bezug auf die Volkssouveränität angesprochenen Homogenität "ergibt sich die demokratische Identität von Regierenden und Regierten."[Schmitt: 20] Schmitts Bekenntnis zur Demokratie nach seiner Vorstellung ist dann gar deckungsgleich mit der des Genfer Bürgersohns.

"Die Logik der Demokratie: Identität von Regierenden und Regierten, Herrscher und Beherrschten, Identität von Subjekt und Objekt staatlicher Autorität, […] Identität von Staat und Gesetz." [Schmitt: 35]


2.3. Gemeinwohl – Gemeinwille gegen Sonderinteressen

Eine herausragende Rolle in Rousseaus staatstheoretischen Arbeiten spielt der Gemeinwille (volonté générale). Er unterscheidet in dieser Frage zwischen dem Einzelwillen (volonté particulière), der "seiner Natur nach nach Bevorzugung strebt" [CS, II, 1] und dem Gemeinwillen, "der allein die Kräfte des Staates dem Zweck seiner Gründung entsprechend lenken kann" [CS, II, 1] und legt darüberhinaus noch fest, "daß der Gemeinwille immer recht hat und immer auf das Gemeinwohl zielt." [CS, II, 3] Doch erkennt er auch die Gefahr, daß dieser Prozeß der Findung des Gemeinwillens beeinträchtigt wird: "denn das Volk wird oft getäuscht und dann scheint es zu wollen, was schlecht ist."[CS, II, 3] Um die Verfälschung des Gemeinwillens zu verhindern, schlägt Rousseau vor, "daß es im Staat keine Teilgesellschaften gibt und daß jeder Bürger nur seine eigene Meinung vertritt. Gibt es aber Parteien, so muß man ihre Zahl vervielfältigen." [CS, II, 3] und er warnt davor, "daß kleine Parteien auf die Gesellschaft Einfluß ausüben" [CS, IV, 1], um ihre Sonderinteressen zu vertreten.

Jedoch ist es von grundlegender Bedeutung, daß der Begriff der volonté général einen – wie Fetscher bemerkt – "normativen Charakter" hat und allein den Willen der "Gemeinschaft als solcher" bezeichnet; aber "nicht den empirischen Willen der Summe der Glieder dieser Gemeinschaft"[alle Zitate: Fetscher: 127]. Denn sollten sich, trotz aller Vorsichtsmaßnahmen, "die Privatinteressen bemerkbar machen und […] auf die Gesellschaft Einfluß auszuüben beginnen"[CS, IV, 1] und wenn "sich krasser Eigennutz mit dem heiligen Namen des Allgemeinwohls" [CS, IV, 1] schmückt, dann folgt nicht daraus, "daß der Gemeinwille vernichtet oder verfälscht ist. Nein! Er bleibt sich immer gleich, unveränderlich und rein. Aber er wird anderen Willensäußerungen [gelenkt von Privatinteressen, M.S.] untergeordnet, die stärker sind." [CS, IV, 1]

Tritt also ein solches Szenario ein, dann – führt man diesen Gedanken konsequent zu Ende – wird unter diesen Voraussetzungen die volonté générale, also nur noch von einer Minderheit der Bürger, die sich nicht durch Privatinteressen leiten läßt, artikuliert. So darf der Allgemeinwille "nicht mit dem Willen einer Mehrheit des Volkes verwechselt werden." [Fetscher: 131] Jedoch erkennt Rousseau eine den (angeblichen) Gemeinwillen gegen die Mehrheit durchsetzende Elite keineswegs an, denn es liegt im Wesen des Gemeinwillens, daß er "allgemein sein muß; daß er von allen ausgehen muß, um auf alle anwendbar zu sein." [CS, II, 4]

Die Problematik der Manipulation der Bürger, die "oft getäuscht" werden, greift auch Johannes Agnoli in seiner Analyse auf. Er kritisiert dabei den Einfluß der Interessenverbände, die anstatt "sie evolutionäre oder revolutionäre Veränderungstendenzen organisierten und so dem sozialen Befriedungsprozeß entgegenwirkten, […] als oligarchischer Verband die Interessen ihrer Mitglieder zum Werkzeug der Pläne und Interessen der Führungsstäbe" [Agnoli: 49] machen. Doch Agnoli geht noch weiter und stellt fest,

[daß] "den Wählern lediglich die Illusion eines offenen Wettbewerbs der Parteien geboten"[Agnoli: 51] wird, in Wirklichkeit aber "haben sich die Parteien zum Gegenpol der Wahlbürger in den Apparat des Staates integriert; diese neue Form der staatlichen Organisation bildet die letzte Stufe eines zur lückenlosen Manipulation tendierenden Systems." [Agnoli: 51]

In der gesamten Argumentation Agnolis bildet, in Anlehnung an die Konstruktion Rousseaus, der Gedanke, daß der die Gemeinschaft "konstituierende Wille" [Fetscher: 130] nie ganz absterbe, sondern allenfalls zum Schweigen gebracht werden könne, das Fundament auf dem er seine Kritik übt. Daraus folgt, daß eben solange sich z.B. die Vertreter der Kritischen Theorie, "gegen die ungleiche Verteilung von Herrschaftspositionen und Privilegienchancen richten" [Agnoli: 35], sie ihren Anspruch dem Gemeinwohl zu dienen, trotz ihrer Minderheitenposition behalten. Dies widerspricht allerdings in einem zentralen Punkt dem Rousseauschen Verständnis der volonté générale. [vgl. etwa: CS, II, 4]

Nicht weniger negativ bewertet Carl Schmitt die Verhältnisse der Weimarer Republik. "Die Massen werden durch einen Propaganda-Apparat gewonnen. Das Argument im eigentlichen Sinne, das für die echte Diskussion charakteristisch ist, verschwindet." [Schmitt: 11] Und ganz im Sinne Rousseaus fordert er: "Es darf keine Parteien geben, keine Sonderinteressen, keine religiösen Verschiedenheiten, nichts was die Menschen trennt." [Schmitt: 19] Ähnlich wie Agnoli, jedoch weniger differenziert, stellt Schmitt fest: "Es macht eigentlich gar keinen Unterschied, ob man den Willen der Mehrheit oder den Willen der Minderheit mit dem Willen des Volkes identifiziert." Starke Worte eines wirkmächtigen Staatsrechtlers und Verfassungsphilosophen. Die Anlehnung an Rousseau ist hier allerdings deplatziert – diese Position stellt, wie bereits gezeigt, ein elementares Mißverständnis der Idee des Gemeinwillens dar.

2.4. Repräsentation

Sein Demokratiemodell begrenzt Rousseau bekanntlich auf kleinste Gemeinwesen. Da die Volkssouveränität ein unveräußerliches und unteilbares Recht ist, kann sie auch nicht delegiert werden; "Die Souveränität kann aus dem gleichen Grund nicht vertreten werden, wie sie nicht veräußert werden kann. Sie besteht im wesentlichen aus dem Gemeinwillen, und der Wille läßt sich nicht vertreten: entweder ist er er selbst, oder er ist es nicht." [CS, III, 15] Er lehnt das Repräsentationsprinzip also kategorisch ab. "Vom Augenblick an, wo sich ein Volk Vertreter gibt, ist es nicht mehr frei, ja es existiert nicht mehr." [CS, III, 15]

Seine Idee der direkten Ausübung der Souveränität durch das gesetzgebende Volk, das seiner Vorstellung nach nahezu ständig versammelt sein müßte, [vgl. CS, III, 4] ist freilich schon für ein Staatswesen in der Größe seiner Vaterstadt Genf kaum praktikabel, für Flächenstaaten überhaupt nicht denkbar. Unter Berücksichtigung des Vertragsschlusses, der zwar mit der "vollständigen Überäußerung eines jeden Mitglieds mit all seinen Rechten an die Gemeinschaft" einhergeht, jedoch "jeder einzelne […] nur sich selbst gehorcht und so frei bleibt wie zuvor" [beide Stellen: CS, I, 6], erklärt sich von selbst, daß ein parlamentarisches System, völlig unvereinbar mit Rousseaus Prinzip einer undelegierbaren Freiheit ist. So hatte er folglich für Staaten mit einem Repräsentativsystem nur Hohn und Spott übrig: "Das englische Volk glaubt frei zu sein. Es täuscht sich sehr. Es ist nur während der Wahl der Parlamentsmitglieder frei. Sobald sie gewählt sind, ist es Sklave: es ist nichts."[CS, III, 15]

Ähnlich hart urteilt auch Johannes Agnoli: "Nirgends fühlen sich die Regierten so frei wie in den westlichen Demokratien. […] Das Repräsentationsprinzip – der Kern des Parlamentarismus – wurde als Verfassungsnorm erdacht, gewollt und verwirklicht mit einer genau repressiven Aufgabe, die schon von Anfang an einen Befriedungscharakter trug: es galt, friedlich aber wirksam die Mehrheit der Bevölkerung von den Machtzentren des Staates fernzuhalten." [Agnoli: 39]

An die Adresse der BRD richtet er den Vorwurf: "Die Mitglieder des Parlamentarischen Rates haben ihre Aufgabe darin gesehen, eine konstitutionelle Demokratie ohne Beteiligung der Massen zu errichten und aufrechtzuerhalten. Und das lief – durchaus bewußt – in letzter Instanz auf eine Demokratie ohne demos hinaus." [Agnoli: 57] Agnolis Kritik am parlamentarischen System ist jedoch, im Gegensatz zu Rousseau, weniger prinzipieller Natur, also nicht gegen die Repräsentation als solche gerichtet, schließlich ist für ihn ein Rätesystem eine denkbare Alternative. Seine Haltung erklärt sich vielmehr aus seiner Erfahrung, daß "staatliche Institutionen benutzt und transformiert werden, um als Instrumente der Friedensstiftung in einer konfliktual strukturierten Gesellschaft zu dienen." [Agnoli: 172] Er wendet sich also nicht gegen eine Volksvertretung, sondern prangert das "parlamentarische Schattenboxen" an, welches "das Interesse von den wirklich politischen Problemen eines Landes auf relativ ungefährliche Auseinandersetzungen lenkt." [Agnoli: 69]

Zu einem völlig anderen Schluß gelangt Carl Schmitt. Er "macht die Beobachtung, daß das Verhältniswahlrecht den Zusammenhang zwischen Wähler und Abgeordneten aufhebt […] und das ganze parlamentarische System schließlich nur eine schlechte Fassade vor der Herrschaft von Parteien und wirtschaftlichen Interessen ist." [Schmitt: 28]

Hier befindet er sich zwar noch auf einer Linie mit Agnoli, der ebenfalls wirtschaftliche Interessen und die Parteipolitik kritisiert19, doch geht Schmitt noch weiter und fordert "die Suspendierung der Demokratie." [Schmitt: 37] Die liberalen Wurzeln seien ein Anachronismus und man müsse "wenigstens so viel Bewußtsein der geschichtlichen Situation haben, um zu sehen, daß der Parlamentarismus […] seine geistige Basis aufgibt und das ganze System von Rede-, Versammlungs- und Preßfreiheit, öffentlichen Sitzungen, parlamentarischen Immunitäten und Privilegien seine ratio verliert." [Schmitt: 62]

3. Rousseau als Stichwortgeber des Anti-Parlamentarismus?

Die moral-philosophischen Werke Jean-Jaques Rousseaus, allen voran der Erziehungsroman "Emile oder Über die Erziehung" sind auch heute noch Bezugspunkt und Grundlage der modernen Pädagogik. Im Gegensatz dazu stoßen seine staatsphilosophischen und vor allen Dingen die demokratietheoretischen Äußerungen auf ungleich mehr Widerstand und Kritik, haben jedoch für das politische Denken Europas ebenfalls eminente Wichtigkeit erlangt.

Daß sich zwei Vertreter der Parlamentarismuskritik des 20. Jahrhunderts zumindest teilweise an Rousseau orientieren ist deshalb nicht weiter verwunderlich. Die in einigen Bereichen, um es vorsichtig auszudrücken, Berührungspunkte in der Argumentation von Schmitt und Agnoli erklären sich allerdings ausschließlich aus der Fundamentalopposition zum System der Weimarer Republik beziehungsweise zu dem der Bundesrepublik. Die ihnen zugrunde liegende Intention ist unzweifelhaft höchst unterschiedlich.

Für Schmitt "steht Rousseau am Anfang der modernen Demokratie" [Schmitt: 18] und schließlich paßt auch der identitätstheoretische Teil von Rousseaus Theorie sehr gut zu Schmitts Konzept eines plebiszitären Führerstaats. Die rousseauistische Betonung der radikalen Volkssouveränität und die Hervorhebung der politischen, sozialen und ökonomischen Gleichheit erklärt, daß sich häufig insbesondere Vertreter sozialistischer Ideen, wozu eben auch Johannes Agnoli zu zählen ist, auf Rousseau berufen. Die Frage, wessen Analyse letztendlich zutreffender ist, läßt freilich auch Agnoli offen: "Wer hat nun das Richtigere getroffen: Carl Schmitt mit seiner These von der parlamentarisch bedingten Destabilisierung und Partikularisierung der Staatsmacht oder meine Mutmaßung, daß gerade das parlamentarische System ein Verfahren zur Herbeiführung friedlich-integrativer Reproduktionsformen sei." [Agnoli: 166]

4.  Die lange Tradition der Verdrossenheit und ihre Ursachen

Ich hoffe, es ist deutlich geworden, daß im Grunde alle Argumentationsstränge, die wir heute in den Debatten um die Politikverdrossenheit und ihre Ursachen vorfinden, bereits bei Rousseau bzw. Carl Schmitt und Johannes Agnoli angelegt sind. Als Konstante und Kern aller Kritik lässt sich die Frage nach der legitimen Repräsentation und Entscheidungsfindung festmachen.

Denn die Quelle der Frustration, die sich dann zunächst in Politikverdrossenheit, später und schlimmerenfalls in Ablehnung freiheitlicher Strukturen äußert, entspringt nach meinem Dafürhalten dem Gefühl, daß die behauptete Repräsentation der Wahlbürger durch die professionellen Politiker längst nicht mehr gegeben ist. Früher kam diese Ansicht in der Rede vom "Raumschiff Bonn" zum Ausdruck; heute ist es die abgekapselte Sphäre des Politzirkels in Berlin, die – so eben die Kritik – längst die eigentlichen Probleme des ‚gemeinen Volkes‘ aus den Augen verloren habe und insofern auch keine Lösungen anbieten könne. Das Versprechen der Volkssouveränität werde also nicht mehr eingelöst.

Das also – der Zweifel an der Repräsentationsfähigkeit und am Repräsentationswillen – wäre eine der ersten Ursachen für die Ablehnung von Politik und ihren institutionalisierten Erscheinungsformen. Der zweite Punkt zielt auf die Formen der Entscheidungsfindung selbst. Hier wird in vielen Fällen angezweifelt, ob die Verfahren der parlamentarischen Diskussion und Aushandlung von Gesetzen und Verordnungen überhaupt mehr ist, als ein "Schattenboxen". Diese Kritik findet sich auf der rechten, wie auf der linken Seite und entspringt der Tradition der "Schule des Verdachts". Es ist – so deren Logik – in Wahrheit immer anders, als dem leichtgläubigen Bürger vorgegaukelt wird. In Wahrheit – so die These im Hinblick auf die Politik – regierten Eigeninteresse und Vorteilsnahme. Die Mächtigen in der Politik seien korrumpiert und bildeten einen verschworenen Klüngel mit den Eliten von Wirtschaft und Industrie. Die Sicherung von Einfluß und Pfründen stehe vor dem Gemeinwohl, so der Verdacht.

Es ist leicht nachzuvollziehen, daß man – sobald dieser Verdacht sich erstmal in den Köpfen eingenistet hat – nur schwerlich argumentativ dagegen vorgehen kann. Jeder Hinweis, jeder Versuch auf die Prozesse der Gesetzgebung, Gewaltenteilung, Kontrollmechanismen etc. hinzuweisen, wird lächelnd hingenommen, den da spricht eben einer, der diesem großen Apparat der Verblendung immer noch auf den Leim geht. Das ist eines der wesentlichsten Probleme, das mit der um sich greifenden Politikverdrossenheit einhergeht.

Als letzter Problemkreis sei noch jene prinzipielle Skepsis gegenüber den parlamentarisch-diskursiven Verfahren genannt, die stets darauf hinausläuft, daß reklamiert wird: "Die reden nur, anstatt zu handeln." Auch hier ist nachzuvollziehen, daß sich bei oberflächlichem Hinsehen dieser Widerspruch auftut, allerdings zeigt sich auch hier, daß diese Kritik am Parlamentarismus lange Tradition hat. Das vermeintliche Palaver der Abgeordneten stand bereits in der Weimarer Republik im Schußfeld.

Was ich andeuten wollte: der Blick auf die grundlegenden Texte der europäischen Staats- und Demokratietheorie lehrt, daß es in der Hinsicht wenig Neues unter der Sonne gibt. Eigentlich sind alle Argumente ausgetauscht und die Positionen, die die Legitimation, die Homogenität oder die Glaubwürdigkeit der Verfahrensweisen anzweifeln, sind bekannt. Die Demokratie wird sich damit anfreunden müssen, daß es immer einen gewissen Teil der Bevölkerung gibt, der die Sphäre des politischen als belanglos oder als Schauplatz einer großen Verschwörung ansieht. Zu groß darf dieser Bevölkerungsteil selbstverständlich nicht werden. Deshalb gilt es immer wieder aufzuzeigen, daß es doch geht: man kann (egal ob in Parteien, Verbänden oder in alternativen Initiativformen) etwas verändern. Und schließlich: auch das Recht auf freie Meinungsäußerung ist ein Mittel, um seinem Frust Luft zu machen – dann stellt sich nur noch die Frage, ob man für seinen eigenen Standpunkt Mehrheiten gewinnen und begeistern kann. Diese Form des Protests stünde noch jedem politikverdrossenen Bürger offen…

 

Literatur:

tags: Politische_Theorie, Parlamentarismus, Demokratiekritik, Rousseau, Repräsentation, Volkssouveränität, Parlamentarismuskritik, Traditionen

 

 

  1. Weischedel, Wilhelm: Die philosophische Hintertreppe. 25. Aufl., München, 1994. S. 160 []
  2. Schumpeter, Joseph A.: Kapitalismus, Sozialismus und Demokratie. Bern, 1950. []
  3. Friedrich, Carl Joachim: Der Verfassungsstaat der Neuzeit. Berlin, 1953. []
  4. Hermens, Ferdinand Aloys: Demokratie und Kapitalismus. München/Leipzig, 1931. []
  5. alle Stellen zitiert nach: Schmidt, Manfred G.: Demokratietheorien. 2. Aufl., Opladen, 1997. S. 74ff. []
  6. Brockard, Hans: Anmerkungen, in: Rousseau, Jean-Jaques, Vom Gesellschaftsvertrag oder Grundsätze des Staatsrechts. Stuttgart, 1977. []
  7. Brockard, Hans: Anmerkungen, in: Rousseau, Jean-Jaques, Vom Gesellschaftsvertrag oder Grundsätze des Staatsrechts. Stuttgart, 1977. []
  8. Contract Social, III. Buch, 4. Kapitel. zitiert nach: Rousseau, Jean-Jaques: Politische Schriften. Übersetzung und Einführung von Ludwig Schmidts. Paderborn, München, 1995. []
  9. so etwa: Dahl, Robert A.: Democracy and its critics. Cambridge, 1989. []
  10. Schmidt, Manfred G.: Demokratietheorien. 2. Aufl., Opladen, 1997. S.79 []
  11. Fetscher, Iring: Rousseaus politische Philosophie. 7. Aufl., Frankfurt a. M., 1993. S. 255 []
  12. Zitate im folgenden beziehen sich auf die Kapitel und Absätze des „Contrat Social von Rousseau []
  13. Schmitt, Carl: Die geistesgeschichliche Lage des heutigen Parlamentarismus. 6. Aufl., Berlin, 1985. S. 18 []
  14. Abromeit, Heidrun: Volkssouveränität, Parlamentssouveränität, Verfassungssouveränität: Drei Realmodelle der Legitimation staatlichen Handelns, in: Politische Vierteljahresschrift 36, S. 49-66. []
  15. Agnoli, Johannes: Die Transformation der Demokratie und andere Schriften zur Kritik der Politik. Freiburg, 1990. S. 151 []
  16. denn fraglos diktierten die Siegermächte einige Bedingungen, daß jedoch viele Prinzipien sehr wohl freiheitlich und fortschrittlich sind, kann man 60 Jahre später dennoch erkennen []
  17. So die treffende Formulierung von M. Forschner: Forschner, Maximilian: Rousseau. 1. Aufl., Freiburg, München, 1977. S. 114 []
  18. vgl. NS-Ideologie: "Ein Volk, ein Reich, ein Führer!" []
  19. "So kämpfen die Parteien untereinander um die Regierungsmacht und bilden dennoch eine symbiotische Einheit, in deren geschlossenem Kreis der abstrakte Führungskonflikt ausgetragen wird." [Agnoli: 53] []

6 Gedanken zu „Traditionen der Rede von der Politikverdrossenheit » Rechte und linke Varianten der Parlamentarismuskritik im Anschluß an Jean-Jaques Rousseau“

  1. „So ist das Kennzeichen einer Demokratie nach Rousseau „eine besondere Art der Exekutive, nämlich diejenige, bei der die Mehrheit der Bürger zugleich ausführend tätig ist, während die Gesetzgebung in der Hand des (ganzen) Volkes liegt“7

    Als Bedingungen setzt er zusätzlich erstens, „einen sehr kleinen Staat“ und zweitens, eine homogen strukturierte Gesellschaft, die sich durch eine „Einfachheit der Sitten“ und „Gleichheit in Stand und Vermögen“8 auszeichnet. Diese Begrenzung auf kleinste Gemeinwesen erklärt sich daraus, daß Rousseau die Volkssouveränität absolut setzt und ihm demzufolge eine identitäre Direkt-Demokratie nach Muster einer Volksversammlungsherrschaft athenischer Art als Ideal dient.“

    Diese intelligenten Ausführungen von Rousseaus Demokratie wären in einem Europa der Regionen leicht zu verwirklichen, die sich unter einer gemeinsamen Vision versammeln. Aber auch hier hilft letztendlich nur, dass sich das Individuum entfaltet und so souverän wird und seine Macht nicht leichtfertig an irgendwelche „Repräsentanten“ abgibt.

    Solange aber Schuldzuweisungen vorherrschen – egal in welchem Bereich – solange wird von sich selbst abgelenkt und das, was heute mehr denn je notwendig ist auf die lange Bank geschoben, nämlich Selbsterkenntnis. Ohne Selbsterkenntnis haben „die Vertreter“ leichtes Spiel.

    Deshalb geht es, so meine ich, nicht um „Proteste“ GEGEN etwas, sondern um Orientierung ZU gewünschten Zuständen. Wer „protestiert“ bleibt im System gefangen und bleibt auch in der Rolle eines Opfers. Wer sich aber seiner eigenen Visionen zuwendet, leitet die Energie in diese Visionen und erlaubt so deren Realisierung.

    Es ist ein Anachronismus, heute noch von „Regierungen“ zu sprechen, welche „das Volk“ eben regieren, dirigieren… Ein souveränder Mensch braucht keine Regierung. Er ist selbst-bestimmt. Aber eine Gesellschaftsform entspricht natürlich immer den Menschen, die sie einsetzen. Deshalb muss der einzelne Mensch intelligent werden. Er muss bewusst sich SELBST werden. Erst dann wird auch eine intelligente Gesellschaftsform möglich sein.

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  2. Ein sehr dicht geschriebene, schwierig zu lesende, trotzdem sehr interessante Analyse. Vielen Dank dafür, auch 2009 hat der Text noch Relevanz und wird sie, was die These „Nichts Neues unter der Sonne bestätigt, behalten.

    Unabhängig vom Inhalt würde mich noch interessieren, ob die Zitationen über ein Plugin organisiert sind? (wenn ja welches?)

    Beste Grüße

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