Esoterik, Obskurantismus und die „Geheime Physik“ » Die „Welt“ läßt sich bereitwillig als Reklameforum mißbrauchen | Werkstattnotiz LXXXII

TunnelGanz offenbar hat die Frühjahrsmüdigkeit in den Redaktionsstuben der „Welt“ zugeschlagen. Die dortigen Wissenschafts-Redakteure sind zu faul, um selbst anständige Texte zu schreiben und sogar zur Recherche fehlt ihnen die Kraft. Ich nenne es Arbeitsverweigerung.

Das Blog „Begrenzte Wissenschaft“ mausert sich immer mehr zu meinem favorisierten Watch-Blog, wenn es um Schlampereien und Verfehlungen des Wissenschaftsjournalismus geht. Ich selbst habe mich die letzten Tage etwas in Blogosphärenabstinenz geübt, so daß ich den Artikel von kamenin mit etwas Verspätung zur Kenntnis genommen habe.

Wie komfortabel war doch das Journalistenleben, als es noch keine Blogger gab…

Der geschilderte Fall ist aber in doppelter Hinsicht bemerkenswert. Erstens illustriert er das – gelinde gesagt eigenwillige – Berufsverständnis von einigen Wissenschaftsjournalisten (v.a. wenn sie in der Redaktion der „Welt“ sitzen).

Zweitens wird auch hier nochmals deutlich, worin eine Stärke wissenschaftlicher Weblogs liegt: nämlich der Medienkritik.

Was ist vorgefallen? In der „Welt“ war ein umfänglicher Text von Rolf Froböse zu lesen, darin schildert der Autor anekdotenreich Nahtod-Erfahrungen und andere übersinnliche Phänomene. Das irritierende: der Text steht im Wissenschaftsteil. Dort durfte man dann also u.a. folgendes lesen:

„Hat die Naturwissenschaft etwas zu solchen Vorstellungen [Nahtod etc.]1 zu sagen? Inzwischen gibt es eine Reihe von namhaften Physikern, die solche Effekte für real halten. Dabei kommen sie zu dem revolutionären Schluss, dass es eine physikalisch beschreibbare Seele gibt. Das Fundament für die atemberaubende These liefert das quantenphysikalische Phänomen der Verschränkung.“

Erstaunlich für den Wissenschaftsteil einer sich seriös gerierenden Zeitung. Wie auch immer. Froböse vermengt die Namen einiger renommierter Wissenschaftler mit seinem Privat(aber)glauben und würzt das alles mit Zutaten aus der Küche der Quantenphysik. Das Problem ist m.E. weniger, daß über Nahtoderlebnisse und ähnliches berichtet wird, sondern daß der Eindruck erweckt wird, als ließe sich das alles in naher Zukunft (oder vielleicht sogar jetzt schon?) wissenschaftlich beschreiben oder gar belegen.

Die Erklärung für diesen mehr als obskuren Text, der uns über Quantenzustände von Geist und Seele belehren will und darüber informiert, daß sich zum Todeszeitpunkt „die Seele mit Lichtgeschwindigkeit verabschiedet“, ist übrigens ganz banal. Herr Froböse ist Journalist2 und hat soeben ein Buch mit dem Titel „Geheime Physik des Zufalls. Quantenphänomene und Schicksal.“ geschrieben. Und dafür schlägt er eifrig auf der Werbetrommel.

Die „Welt“ als Reklameblatt

Irrititierend ist aber, daß die Welt solchen Marketingmaßnahmen ein Forum bietet – denn bereits letzte Woche wäre in Blogs nachzulesen gewesen, daß der Text von Froböse teilweise haarsträubende Faktenfehler und Schludrigkeiten aufweist,3 sowie renommierte Physiker sinnentstellend oder schlicht falsch zitiert werden. Einmal ganz davon abgesehen, daß der gesamte Artikel (und das Buch vermutlich ebenso) eher zum Gruseln ist.4

Erstaunlich ist ganz einfach, daß die Möchtegern-Wissenschaftsjournalisten der „Welt“ offenbar zu faul und dusselig sind, um auch nur 5 Minuten zu Herrn Froböse zu recherchieren. Da hätten sich dann Interviews gefunden, wo dieser zu Protokoll gibt:

„So wird beispielsweise nicht mehr ausgeschlossen, dass das Herabfallen eines Bildes von der Wand und der zeitgleiche Tod eines nahen Verwandten auf einem physikalischen Effekt basiert, der aus dem Verschränkungsprinzip der Quantenmechanik abgeleitet werden kann.“ [Statement von Herrn Froböse]

Kein Wunder, daß der Kollege kamenin einigermaßen sauer ist. Ich schließe mich übrigens seinem Urteil an:

„Sowas in den Wissenschaftsteil zu schreiben, ist eine Frechheit, weil Menschen, die sich auf solche Meldungen auch verlassen müssen, den Schwachsinn nicht beurteilen können und den hinterher noch ernst nehmen. Das ist wissenschaftlich unhaltbar und in der Kritik- und Ahnungslosigkeit vom wissenschaftsjournalistischen Standpunkt aus, den die Redaktion mit dem Abdruck übernommen hat, nicht nur unverschämt, sondern direkt erbärmlich.“ [Kommentar von kamenin]

Bevor man solche Texte, wie den des Herrn Froböse abdruckt, sollte man seinen Laden ehrlicherweise zusperren. Würde mich ein wissenschaftlicher Blog mit so einem Quark belästigen, würde er sofort aus meiner Feedreader-Liste fliegen. Leider kann ich das mit dem Wissenschaftsteil der „Welt“ nicht machen, den hatte ich mir ohnehin nie zugemutet…



  1. Meine Ergänzung. []
  2. Und wohl irgendwie auch Chemiker. Jedenfalls tingelt er mit seiner Kernthese „Ein universeller Quantencode könnte unser Leben nach dem Tod bestimmen“ durch einschlägige Online- und Blogportale. []
  3. Da wird bspw. behauptet, die quantenmechanische Verschränkung sei „vor kurzem“ von Anton Zeilinger entdeckt worden, obwohl diese Entdeckung eher aufs Jahr 1982 datiert werden muß und Alain Aspect. zuzuschreiben ist. []
  4. Einige fachliche Anmerkungen zur Quantenphysik hat übrigens ebenfalls kamenin nachgereicht: hier. Ich selbst bin auf dem Gebiet auch alles andere als sattelfest. Einige Essays und kurze Texte von Heisenberg, Pauli, Weizsäcker und Co. habe ich zwar gelesen und mir ist in Grundzügen klar, was die „Kopenhagener Deutung“ zum Ausdruck bringt, aber ich bin dann doch Sozial- und kein Naturwissenschaftler. []

7 Gedanken zu „Esoterik, Obskurantismus und die „Geheime Physik“ » Die „Welt“ läßt sich bereitwillig als Reklameforum mißbrauchen | Werkstattnotiz LXXXII“

  1. Pingback: Neurons
  2. Sehr ausführlicher Bericht. Ich habe aber auch bei anderen Autoren anderer großer Magazine oft den Eindruck, dass diese ihre Beiträge nicht wirklich gut recherchiern.

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