Wir haben zu viel Reichtum und zu wenig Vermögen(de) | Werkstattnotiz LXIX

Geld_01a.jpgKeine Sorge: es folgen keine klassenkämpferischen Parolen, keine Rufe nach Enteignung der Wirtschaftseliten. Denn auch wenn seit gestern in der Mehrzahl der bundesdeutschen Landesparlamente die Linkspartei vertreten ist, die Zeiten Büchners sind vorbei. "Friede den Hütten! Krieg den Palästen!" Das werden wir auch von Lafontaine, Gysi und Co. nicht mehr hören.

Aber mein Thema ist eigentlich ein anderes. Nicht der sozialistische Traum, sondern die Praxis der marktliberalen Demokratie. Ein interessantes SZ-Interview beleuchtet einen Schwachpunkt unserer Gesellschaft: wir leiden unter einem eklatanten Mangel an Vermögenden.

Wenn man das fragwürdige Gebaren der ökonomischen Eliten analysiert, wenn man die Raffgiermentalität der Bestverdienenden kommentiert, dann kann man sich der Zustimmung eines bestimmten Klientels sicher sein. Genauso sicher folgt aber postwendend von irgendwoher der Vorwurf, man schüre doch nur wieder eine "Neiddebatte". 

Und täglich droht die Neiddebatte. Wir haben ganz schön weinerliche Eliten…

"Neiddebatte" ist bäh! Artverwandt mit der hinlänglich bekannten "Moralkeule" und überhaupt sei dies ohnehin typisch deutsch. Denn nirgendwo sonst hätten es die Leistungsträger so schwer wie hierzulande. Aber Neid und Mißgunst seien ja beinahe sowas wie bundesdeutscher Volkssport. Kein Wunder, daß diejenigen, die es sich leisten können, ins Ausland ziehen…

Ich wundere mich dann jedesmal über diese Empfindlichkeit derjenigen, die doch wöchentlich 70-80-Stunden kompromißlos und zielstrebig ihre Arbeit tun, sich dann aber – wenn sie zufälligerweise beim Frühstücksespresso eine unliebsame Schlagzeile lesen – als weinerliche Jammerlappen gerieren: "Oh, wie schlecht geht es mir. Ich bin umzingelt von einer Neidgesellschaft!" Trost brauchen die Herrschaften von meiner Seite nicht zu erwarten.

Dafür möchte ich all den Gut-, Besser- und Bestverdienenden das Interview mit Thomas Druyen in der SZ vom Samstag empfehlen. Druyen – Inhaber des Lehrstuhls für Vergleichende Vermögenskultur an der Sigmund Freud Privat-Universität in Wien – äußert sich zu einigen Aspekten des Reichtums. Gleich zu Anfang kommt natürlich die unvermeidliche Frage, ob Geld glücklich mache. Kaum überraschend, aber immer wieder schön zu lesen: 

SZ: Ich traue mich kaum zu fragen. Aber die Frage muss sein: Macht Geld glücklich?

Druyen: Das ist eine Frage, die ich in jedem meiner Gespräche mit sehr reichen Menschen gestellt habe.

SZ: Und die Antwort?

Druyen: Wir können hier nur über Tendenzen sprechen. Aber man muss klar sagen, die Antwort lautet: nein!

Naja, wer sich einmal mit sozialwissenschaftlicher Glücksforschung beschäftigt hat, kann darüber kaum verwundert sein. Der Punkt, der dann angesprochen wird, ist in meinen Augen aber sehr bedenkenswert: es geht um eine Unterscheidung zwischen reichen Personen und vermögenden Personen. Und, worauf man auch selbst hätte kommen können: die Summe auf dem Bankkonto hat nichts damit zu tun, welcher Gruppe man zugehört.

Druyen: Meine Gegenüberstellung beruht auf Reichen, die sich nur um sich selber kümmern, und Vermögenden, die Verantwortung auch für die Gesellschaft übernehmen. Der Begriff des Vermögens umfasst eine immaterielle Seite – nicht nur eine materielle. Das hat mit Können, mit Kompetenz, mit Erfahrung und mit dem Willen zur Wertschätzung zu tun.

SZ: Ist jemand wie Herr Zumwinkel ein Reicher oder ein Vermögender?

Druyen: Zumwinkel kann nur ein Reicher sein, denn ein Vermögender würde so etwas nicht tun. Der Begriff "Vermögende" wird im Grunde wie eine Auszeichnung verliehen. Dazu muss man für die Gemeinschaft etwas Gutes getan haben. Ich interviewe nur Vermögende, nicht Reiche. Zumwinkel würde mich als Forschungsgegenstand nicht interessieren.

SZ: "Vermögender" ist ein Prädikat?

Druyen: Aristoteles hat den Begriff weitgehend geprägt. Und der sagt: Vermögen haben heißt, etwas konstruktiv in die Zukunft umzusetzen. Das Wort hat zwei Bedeutungen: Man hat Vermögen. Und man hat das Vermögen, etwas damit zu tun. Es geht um die Verantwortung der Reichen für eine Gesellschaft. Darüber gibt es natürlich keinen Zweifel: Wer mehr Glück hatte, auch wenn er mehr Leistung gebracht hat, der hat eine Verantwortung für die Gesellschaft! Das ist die Idee, die hinter der Vermögenskultur steckt: Dass diejenigen, die über herausragende Mittel verfügen, diese dem Staat nicht einfach zur Verfügung stellen, sondern über eine neue professionalisierte Philanthropie selbst etwas zur Beseitigung der Armut beizutragen. So jemand muss etwas an die Gemeinschaft zurückgeben. 

Sollte man nicht ab einem bestimmten Jahresverdienst gewisse Pflichtkurse belegen müssen? – Titel: "In 10 Schritten vom Reichtum zum Vermögen"

Wunderbar, oder? Jetzt könnte man lange Erörterungen anschließen. Man könnte an das Grundgesetz und dessen Artikel 14, Absatz 2 erinnern, wo die sog. "Sozialbindung des Eigentums" niedergelegt ist.1

Darauf kommt es aber gar nicht an. Es ginge vielmehr darum, die Eliten daran zu erinnern, daß im besten liberalen Sinne das Eigentum2 eine weitere Facette hat: nämlich daß in dem Moment, in dem mir Eigentum zufließt, mir gleichzeitig auch Verantwortung zugemutet wird. Verantwortung, die sich nicht darin erschöpft Reichtum zu genießen, sondern eine Verantwortung, mein Vermögen "auszuüben".

In diesem Sinne möchte ich all den schwerreichen Jungs und Mädels zurufen:  

"Verdient so viel ihr wollt. Handelt Verträge mit den lukrativsten Konditionen aus. Aber habt danach bitte nicht nur sagenhaft viel Geld auf dem Konto, sondern habt Vermögen!"

 


 

Link:

 

  1. Im Wortlaut heißt es dort: "Eigentum verpflichtet. Sein Gebrauch soll zugleich dem Wohle der Allgemeinheit dienen." []
  2. Also das Recht des Einzelnen auf Privateigentum und die Pflicht des Staates, die Ordnungsbedingungen zu gewährleisten. []

3 Gedanken zu „Wir haben zu viel Reichtum und zu wenig Vermögen(de) | Werkstattnotiz LXIX“

  1. @Sebastian:

    Naja, die Reichen, die immerhin die Einsicht aufbringen, daß sie ihren privilegierten Status auch „verantwortlich“ ausüben könnten, sind ja nicht das Problem. Falls jemand zuviel Geld auf der hohen Kante hat, aber nicht genau weiß, wie er dies gesellschaftsdienlich „anlegt“, dann stehe ich gerne beratend zur Seite.

    Ein Dilemma sehe ich dagegen in der Frage, was man mit den (potentiell) Vermögenden machen soll, die dummerweise nicht reich sind. ;-)

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