Zwischen Anspruch und Wirklichkeit » Scienceblogs.de und das Potential wissenschaftlicher Blogs

Es ist kein Geheimnis: die deutschsprachige Blogosphäre hinkt ihrem amerikanischen Vorbild in manchen Aspekten um 1-2 Jahre hinterher. Viele Konzepte, die in den USA Erfolg hatten, wurden bereits nach Deutschland importiert und konnten hier ebenfalls punkten. Es ist also nicht unbedingt ein besonders mutiger oder gar visionärer Schritt, daß Burda vor wenigen Wochen das US-Erfolgsmodell "Scienceblogs" in Deutschland an den Start brachte.

ScienceBlogs.gifEs hat vielleicht etwas damit zu tun, daß man im Münchner Medienhaus etwas offener für Web2.0-Trends ist und man schlicht den richtigen Riecher hatte.1 Ob das Projekt funktioniert, ob man Scienceblogs.de zum Fliegen bringt, wird sich in den kommenden Monaten zeigen. Es wird davon abhängen, ob man das richtige Händchen für die hiesigen Wissenschaftsblogger hat und natürlich zu allererst von den Inhalten.

Denn für Wissenschaftsblogs gilt unbedingt, daß Qualität über Quantität geht. Es ist nicht die Anzahl der Posts, nicht die bloße Artikel- und Linkfrequenz, sondern die Orginalität der einzelnen Artikel, die über den Erfolg entscheidet.2

Bei Wissenschaftsblogs ist die Anzahl der Artikel sekundär. Qualität geht vor Quantität.

Und hier besteht die erste Besonderheit von Blogs, die sich wissenschaftlichen Themen widmen: denn anders als in weiten Bereichen der Blogosphäre (die primär auf dem Prinzip "schnell, kurz, knackig" basiert) dürfen wissenschaftliche Posts auch etwas länger sein. Ob man gleich ellenlange Abhandlungen produzieren muß3 sei dahingestellt. Aber um dem jeweiligen Gegenstand, der wissenschaftlichen Fragestellung halbwegs gerecht zu werden, kann man es meist nicht bei 2-3 Sätzen belassen. Im Zweifel gilt aber, daß einfach die Mischung stimmen muß.

Die große Frage ist, wer diese Artikel schreiben soll. Denn – wie ich zuletzt hier geschrieben habe – aktuell ist die akademisch-wissenschaftliche Blogszene noch recht übersichtlich. Wer kommt also überhaupt in Frage?

Spezialisten und Universalisten

Grundsätzlich ist ja zwischen Wissenschaftlerblogs und Wissenschaftsblogs zu unterscheiden; einmal ist es der Autor, das andere mal der Gegenstand. Bei originären Wissenschaftlerblogs gibt der Blogger Einblicke in sein Fachgebiet, berichtet aus seinem (Forschungs-)Alltag und nimmt auf Basis seiner fachlichen Expertise Stellung zu relevanten Fragen. Eines der prototypischen Beispiele hierfür ist der Paläontologe Björn Kröger.4

Es gibt Unterschiede zwischen Wissenschaftlerblogs und Wissenschaftsblogs: für ein Portal wie Scienceblogs.de ist es zentral, daß man hier die richtige Mischung findet . Und man braucht hungrige Wissenschaftsblog-Freaks.

Während es sich bei dieser ersten Gruppe also um fachliche Spezialisten handelt, gibt es eine weitere Spezies von Wissenschaftsbloggern, die eher den Universalisten zuzurechnen sind. Hier tummeln sich meist Wissenschaftsjournalisten, deren Stärke (so wäre zu wünschen) in der Wissenschaftskommunikation liegt und die ein breiteres Themenspektrum beackern. Hier entscheidet einfach, ob die Themen spannend, aktuell oder sonstwie originell aufbereitet sind, so daß sich Diskussionen anschließen lassen.

Für ein Meta-Wissenschaftsblog-Portal wie Scienceblogs.de ist es entscheidend, daß man
den richtigen Mix aus Spezialisten und Universalisten, aus souveränen Gelehrten und jungen neugierigen Wissenschaftsblog-Junkies findet. Denn nur wenn wirklich Leben in der Bude ist und wenn alle Beteiligen diskussionsbereit und -fähig sind, liefert das Gemeinschaftsportal den erforderlichen Mehrwert.

Schöne, neue, spannende Welt der Wissenschaftskommunikation?

Man könnte – so mein Standpunkt – die Tür in eine neue Ära der Wissenschaftskommunikation aufstoßen. Schnell, direkt, ungefiltert und im Dialog mit den Lesern. Drüben beim Konkurrenzprojekt "Wissenslogs" erfand man den Slogan "Wissenschaft unplugged". Ein Portal wie Scienceblogs – also ein Projekt, hinter dem ein etablierter Medienkonzern, ein engagiertes Redaktionsteam und finanzielle Ressourcen stehen – sollte sich nicht mit weniger zufrieden geben.5 

Ein erfolgreiches Wissenschaftsblog könnte der etablierten Journalistenmeute endlich Feuer unterm Hintern machen.

Es ist einigermaßen unstreitig, daß Scienceblogs die Möglichkeit hätte, sich als Marke zu positionieren. Und ganz nebenbei könnte man endlich auch in Deutschland den Beweis dafür liefern, daß die Vorstellung von den krawallig-undifferenzierten Blogs aus der Web2.0-Schmuddelecke schon lange in die Mottenkiste gehört. Ein professionelles, engagiertes Wissenschaftsblogportal könnte das Instrument sein, um der Old-School-Journalistenmeute da draußen endlich Feuer unterm Hintern zu machen.

Denn wie lange wollen die Print-Wissenschaftsjournalisten ignorieren, daß in Zukunft die spannendsten Wissenschafts-Storys möglicherweise zuerst in Wissenschaftsblogs stehen? Ebenfalls aus den USA wissen wir, daß dort bereits 3/4 aller Journalisten auch Blogs als Quelle für Ideen und Texte nutzen.6 Und fast ebenso viele setzen Blogs als Recherche- und Infoinstrument ein.7

Scienceblogs könnte ein Schrittmacher auf diesem Weg sein. Aber – Sprache ist verräterisch – der letzte Satz stand im Konjunktiv. Denn (wenigstens) bislang ist man von diesem Ziel noch ein großes Stück entfernt.

Wobei – klar, das Projekt befindet sich noch in der Anfangsphase, aber nach bald zwei Monaten läßt sich durchaus schon ein erstes Fazit ziehen.8 Wie präsentiert sich diese Blogcommunity also heute? Sind die ersten Schritte vielversprechend und in welcher Verfassung befindet sich das Wissenschaftsblog-Team, das bislang dort aktiv ist?

 


 

Meine vorläufige, subjektive Manöverkritik folgt im nächsten Beitrag…

 

  1. Auf dem gestern zu Ende gegangenen DLD wurde Scienceblogs nun auch richtig offiziell vorgestellt. Inklusive Verlosung von Molekular-Cocktail-Sets und der Verteilung von kleinen Werbegeschenken… []
  2. Wobei dennoch gesagt werden muß, daß 1-2 Artikel pro Woche dennoch wünschenswert sind. []
  3. Wie ich es teilweise hier in der Wissenswerkstatt praktiziere. Ich gelobe aber Besserung. ;-) []
  4. Der seit Dezember in der Riege der Scienceblogger aktiv ist und durchaus einmal einen Aufruf an seine Fachkollegen "Paläontologen, sammelt Plattwürmer!" postet. []
  5. Wenngleich die Erfahrung lehrt, daß trotz – oder gerade wegen? – eines professionellen Backgrounds solche Profi-Blogprojekte regelmäßig an die Wand gefahren werden. Erst gestern notierte Don in der Blogbar wieder einen solchen Fall. []
  6. So das Ergebnis einer aktuellen Journalistenumfrage. Die Daten sind hier nachzulesen bzw. als PDF einzusehen. Den Link verdanke ich Klaus Eck. []
  7. In Deutschland sind wir von solchen Werten noch ein gutes Stück entfernt. Aktuelle Akzeptanz- und Nutzungswerte sind der Mediastudie "2.0 und dann? Journalismus im Wandel" zu entnehmen. []
  8. Und klar ist auch, daß sich in den nächsten Tagen und Wochen noch einiges bei Scienceblogs ändern wird. []

7 Gedanken zu „Zwischen Anspruch und Wirklichkeit » Scienceblogs.de und das Potential wissenschaftlicher Blogs“

  1. „Und ganz nebenbei könnte man endlich auch in Deutschland den Beweis dafür liefern, daß die Vorstellung von den krawallig-undifferenzierten Blogs aus der Web2.0-Schmuddelecke schon lange in die Mottenkiste gehört.“

    Naja, so ganz stimmt das leider ja nicht. „krawallig“ ist ja sowieso die Wahrnehmung von Journalisten, die sich die Welt bauen wie sie sie haben wollen (Hallo, FAZ&Sueddeutsche). Aber leider ist der Großteil der deutschen Blogs Web2.0- und Computer-verbunden. Im Vergleich z.B. zu den USA herrscht hier doch wirklich noch Blogthemen-Diaspora. Und das ist leider mehr als traurig – das ist bezeichnend.

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  2. *Wie ich es teilweise hier in der Wissenswerkstatt praktiziere. Ich gelobe aber Besserung.*

    Das lässt du mal schön bleiben. Die Länge passt schon so. Mich stört schon bei den Scienceblogs, dass der ganze Kram da so kurz ist, das muss jetzt nicht auch noch hier einreißen… ;)

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  3. „Das Projekt befindet sich noch in der Anfangsphase, aber nach bald zwei Monaten läßt sich durchaus schon ein erstes Fazit ziehen.“

    Finde ich nicht. Wenn man sieht, wie viel Zeit andere Projekte in der Regel brauchen, um ein eigenes Profil zu entwickeln, so sind „bald zwei Monate“ eine lächerlich kurze Zeit. Das erste Projekt-Treffen für potenzielle ScienceBlogs-Autoren fand am 5.11. statt, keine vier Wochen später waren wir schon mit den ersten Beiträgen online. Gleichzeitig wurde noch an der Technik geschraubt, erst zur DLD ging das jetzige Erscheinungsbild ans Netz. Das wird sicher noch nicht das Endergebnis sein, aber es ist schon ziemlich viel für nicht mal drei Monate…

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  4. @Joerg:

    Ich meinte mit dem Verweis auf das Vorurteil der „krawallig-undifferenzierten“ Blogosphäre ja eben genau das in den Medien kolportierte Bild. (Das aber auch differenzierter ist, als wir manchmal wahrnehmen.) Unabhängig davon bin ich nicht ganz Deiner Meinung, daß Journalisten „die Welt bauen wie sie sie haben wollen.“

    Das trifft bei manchen Vertretern dieser Spezies zu. Aber auch hier verbietet sich m.E. die pauschale Rede von „den Journalisten“.

    @Lars (Fischer):

    Oh, Danke für diesen Kommentar. Keine Sorge, so ganz kurz kann ich ja gar nicht. ;-)

    Ansonsten stimme ich Dir zu und stehe auf dem Standpunkt, daß es (auch hinsichtlich der Länge der Postings) die Mischung bzw. Abwechslung macht.

    @Stefan:

    Hmmm…? Es ist ja immer eine Frage, mit welchem Anspruch so ein Projekt startet, von wem es durchgeführt wurde etc. Und man muß einfach sehen, daß die Seite seit bald 2 Monaten online ist, davor aber ja schon einige Monate Vorbereitungen liefen.

    Aber logo, Du hast Recht, daß es im Prinzip eine kurze Zeit ist. Aber – ich schreibe ja eben auch von einem ersten Fazit und an vielen Stellen weise ich darauf hin, daß es die ersten Schritte sind und man sich von der zukünftigen Entwicklung überraschen lassen muß.

    P.S.: Ich war ja selbst beim ScienceLunch am 5.11. dabei und war dann fast überrascht, daß man dann so schnell an den Start wollte. Ich hätte nichts Schlimmes daran gefunden, wenn man sich noch 5-6 Wochen mehr Zeit gelassen hätte… Aber, wenn man mal in der Öffentlichkeit bloggt, dann muß man auch damit rechnen, daß jemand kritisch kommentiert – und ich habe mich ja den ganzen Dezember und den halben Januar zurückgehalten… ;-)

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  5. „Ich hätte nichts Schlimmes daran gefunden, wenn man sich noch 5-6 Wochen mehr Zeit gelassen hätte…“

    Tja, im Web meint man immer, besonders schnell sein zu müssen ;-)

    „Aber, wenn man mal in der Öffentlichkeit bloggt, dann muß man auch damit rechnen, daß jemand kritisch kommentiert“

    Das auf jeden Fall! Nach der Werbung auf der DLD ist ja jetzt auch richtig Öffentlichkeit hergestellt, da wird sich noch so mancher Kritiker zum Kommentar herausgefordert sehen. Ich finde das durchweg positiv.

    „und ich habe mich ja den ganzen Dezember und den halben Januar zurückgehalten“

    Dafür gibt es jetzt aber ScienceBlogs-Beiträge im Stundentakt, was? ;-)

    Vielleicht hab ich da was übersehen, aber mit den „scilogs“ scheinst Du Dich nicht so intensiv auseinandergesetzt zu haben. Das ist nicht als Vorwurf gemeint. Ich frag mich nur, ob Du an Burda mehr Erwartungen richtest als an Spektrum (und wenn ja, warum). Oder ob Du mit denen einfach zufriedener bist…

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  6. @Stefan:

    Nach der Werbung auf der DLD ist ja jetzt auch richtig Öffentlichkeit hergestellt, da wird sich noch so mancher Kritiker zum Kommentar herausgefordert sehen. Ich finde das durchweg positiv.

    Und ich finde es positiv, daß Ihr (also Marcus, Du, …) auf meine Anmerkungen reagiert und sie nicht als Pauschalkritik mißversteht.

    Ich hatte mich ja bemüht, deutlich zu machen, daß ich viele Aspekte von Scienceblogs und v.a. die zugrundeliegende Idee für vielversprechend halte. Und an der (noch?) unzureichenden technischen Umsetzung tragt ihr Blogger ja ohnehin keine Verantwortung.

    Zu Deinen Fragen:

    Die verschiedenen Blogs des Spektrum-Verlags (Wissenslogs, Brainlogs und Co.) hatte ich vor 2-3 Monaten kurz erwähnt, aber – Du hast Recht – ich habe die Blogs nicht detailliert dargestellt. Dafür gibt es sicher verschiedene Gründe. Der eine ist sicher derjenige, daß (jedenfalls nach meiner Wahrnehmung) Spektrum recht bescheiden auftritt. Ich habe diesen Artikel mit „Zwischen Anspruch und Wirklichkeit“ überschrieben – und genau diese Differenz scheint mir bei den „SciLogs“ nicht allzu groß.

    Was ich dort lese ist häufig gescheit, manchmal belanglos. Insgesamt recht brav. Aber sie haben viele, viele tolle Autoren in ihren Reihen. Der Unterschied: Scienceblogs und Burda haben selbst einen ganz anderen Anspruch formuliert. Man will ja nichts weniger als Plattform bzw. Community für „einen neuen Dialog aus erster Hand über die Rolle der Wissenschaft in der Politik, Religion, Philosophie, Kunst und Wirtschaft“ sein.

    Wenn ich zudem bedenke, daß man sich bei SEED mit einem Millionenbetrag als Kooperationspartner für Scienceblogs einkaufte und sich bspw. jüngst (Du warst ja dabei) beim DLD und einem eigenen „ScienceBlog-Dinner“ im Lichte von international renommierten Forschern präsentierte, dann steigen auch bei mir die Erwartungen.

    Und ich habe mich ja in meinen Artikeln bemüht, zu skizzieren, daß ich a) an Profis andere Maßstäbe anlege, als an Laien, b) der Medienkonzern Burda sich ebenfalls einer kritischeren Betrachtung stellen muß, als andere Akteure und folglich c) die Fallhöhe für das Projekt „Scienceblogs“ ganz anders aussieht, als bspw. für die „SciLogs“.

    Um es nochmal anders zu formulieren: in meinen Augen sind die SciLogs angetreten, um auf regionaler und nationaler Ebene mitzuspielen und einige neue Stimmen ins Konzert der Wissenschaftsblogger zu bringen. Und hier positionieren sie sich ganz ordentlich.

    Die „Scienceblogs“ reklamieren aber von vornherein die internationale Ebene, die „Champions-League“ für sich. Und (den eigenen Verlautbarungen nach!) dies wohlgemerkt nicht gemäß dem olympischen Motto „Dabeisein ist alles“, sondern man erhebt von Beginn an den Anspruch auf die Spitzenposition.

    „ScienceBlogs ist das Portal für diesen weltweiten Dialog – der digitale Salon führender Blogger unterschiedlicher Fachbereiche.“

    Und an diesen selbstformulierten Zielsetzungen habe ich das derzeitige Erscheinungsbild gemessen.

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