„Free Rainer – Dein Fernseher lügt“ » Hans Weingartner übersteigert seine Kritik an der TV-Verblödungsindustrie zu einer banalen Klamotte

Wer sich versuchsweise auch nur fünf Minuten durch das Fernsehprogramm zappt, der weiß, daß nur eine Sache schlimmer wäre: nämlich sich weitere fünf Minuten durch das Programmangebot schalten zu müssen. Kein Wunder, daß sich zwischen all den voyeuristischen, sensationsheischenden oder sonstwie stumpfsinnigen Formaten, neuerdings sogar Kochshows wie eine Oase der Hochkultur ausnehmen: immer noch lieber einem schnauzbärtigen Meisterkoch beim Filetieren eines Bachsaiblings zusehen, als eine weitere Runde von "Deutschland sucht den Superstar". Die Frage ist nur: wer kuckt sich diese unsäglichen Programme an?

Die üblichen Fernsehshows sind eine Beleidigung der Intelligenz der Zuschauer. Aber sie machen Quote. Was wäre, wenn man die Quoten manipulieren könnte…?

Die traurige Realität ist freilich, daß die Einschaltquoten genau die seichten und intelligenzfeindlichen Formate prämieren. Und – darüber besteht kein Zweifel – die Quote ist der Programmdirektor. Egal wie brechreizfördernd eine Show auf normalbegabte, denkende Menschen auch wirkt, solange die Quote stimmt, bleibt sie im Programm. Aber was wäre eigentlich, wenn man an den Quotenstellschrauben ein wenig drehen könnte? Was wäre, wenn man durch subtile Manipulationen den Literatursendungen oder der langen Fassbinder-Filmnacht zu Spitzeneinschaltquoten verhelfen könnte? Wie lange würde es dauern, bis die Sender auf die neuen Präferenzen der Zuschauer reagieren würden?

Genau diese Fragen stellte sich auch der Regisseur Hans Weingartner. Sein am Donnerstag startender Film "Free Rainer – Dein Fernseher lügt" kreist just um dieses ewige Rätsel der trivialen Massenunterhaltung: 1. Wieso haben vollkommen anspruchslose Formate, die die Intelligenz von Konsumenten und Produzenten beleidigen, dennoch Erfolg? 2. Könnte man das Publikum nicht auch an höherwertige Inhalte gewöhnen und heranführen?

Hans Weingartner sorgte für das Ereignis des Kinojahres 2004: "Die fetten Jahre sind vorbei" waren der beste deutsche Film seit langer Zeit

Für seine in "Die fetten Jahre sind vorbei" furios inszenierte Sozial- und Globalisierungskritik wurde Weingartner vor drei Jahren vollkommen zu Recht gefeiert; setzt der Österreicher Weingartner nun erneut zum Sprung auf den deutschsprachigen Regieolymp an?

Um es kurz zu machen: all das, was "Die fetten Jahre sind vorbei" auszeichnete (glaubhafte Figurenzeichnung, treffsichere Dialoge, perfekt komponierter Spannungsbogen), fehlt Weingartners neuem Film fast komplett. Die oben skizzierte Grundidee ist sympathisch und man hätte sich nichts mehr gewünscht, als daß Hans Weingartner einmal mehr die Rebellion seiner Protagonisten in glaubhaft, starke Bilder packt. Doch während es ihm bei seinem Vorgänger auf beeindruckende Art und Weise gelang, sich in die Gedankenwelt der studentischem Akteure einzufühlen, unternimmt Weingartner einen solchen Versuch diesmal leider erst gar nicht.

Warum muß man die laute, überdrehte Medienbranche noch lauter und überdrehter darstellen? Das erwartbare Ergebnis: eine Karikatur.

Einmal mehr mißlungen: Den Teufel mit dem Beelzebub vertreiben

Er setzt diesmal alles auf eine Karte – und auf diese Karte hat offenbar Samuel Hahnemann sein Prinzip des "Similia similibus curantur"1 gekritzelt. Und Weingartner hält sich daran: der Überdrehtheit der Medienbranche fügt er noch ein paar weitere Um- und Überdrehungen hinzu. Was eventuell entlarvend gedacht war, nämlich bestimmte Merkmale satirisch zu überzeichnen, gerät leider zur schrägen Karikatur, zur Klamotte.

plakat1.gifEs ist bedauerlich, daß Weingartner sich diesmal offensichtlich an einer medienkritischen Komödie versuchen wollte. Denn es bleibt beim Versuch: die kritischen (Unter-)Töne bleiben fast immer unglaubhaft und werden durch fast schon slapstickartige Einfälle konterkariert. Unter diesen Umständen hätte ein Moritz Bleibtreu, der den anfangs zynisch-skrupellosen TV-Produzenten Rainer verkörpert, über sich hinauswachsen müssen, um hier auf schauspielerischer Seite für ein Gegengewicht zu sorgen. Aber Moritz Bleibtreu zeigt diesmal auch nur Normalform. Dies reicht dann zwar dafür aus, daß man ihm gerne zusieht, wie er sich vom Saulus zum Paulus wandelt, aber zu mehr nicht. Denn als koksender TV-Manager ist Rainer so sehr schmierige Karikatur, daß die Figur diesen Makel bis zum Ende nicht mehr ablegen kann.

Fehlende Plausibilität: konstruiertes Erweckungserlebnis

Wirklich nachvollziehbar ist leider auch die moralische Kehrtwende des hyperselbstbewußten Rainer nicht. Nachdem ihn die junge Pegah (Elsa Sophie Gambard) aus Rache fast ins Jenseits befördert hat, entdeckt der einstige Trash-TV-Guru auf einmal den Qualitätsjournalismus für sich. Den will allerdings keiner sehen; die Einschaltquoten sind verheerend und Rainer erkennt ernüchtert den perfiden Mechanismus: mehr Schund=mehr Quote. Zusammen mit Pegah und dem Programmierer und Sozialphobiker Phillip (sehr stark: Milan Peschel) entwickelt er einen Plan, die Quotenmessung mit technischen Tricks zu manipulieren.

Es genügt nicht, hübsch auszusehen. Elsa Sophie Gambard enttäuscht in ihrer Rolle.

Wenn die drei zur Umsetzung ihres Sabotagekomplotts ihr Hilfsteam aus Arbeits- und Sozialhilfeempfängern zusammenstellen und ihre Kommandozentrale schließlich in einer verschnarchten Waldpension errichten, dann ist der Film immer wieder kurzweilig und amüsant. Aber leider auch furchtbar harmlos. So harmlos, wie – das muß erwähnt werden – Elsa Sophie Gambard, die die Rolle der Pegah mehr recht als schlecht ausfüllt. Hübsch mit den Augen rollen kann sie zwar, aber das ist dann auch schon fast alles, was man der Newcomerin bescheinigen kann.2 Aber vermutlich hätte auch eine Julia Jentsch oder eine Hannah Herzsprung nichts am  Hauptmanko des Films geändert, nämlich an seiner Unentschiedenheit. Denn "Free Rainer" ist alles: Gesellschafts- und Mediensatire, Dokudrama, Zeitgemälde und Liebesfilm – weniger wäre mehr gewesen.

Ein wenig gewinnt man den Eindruck, als hätte Weingartner diesen Geburtsfehler auch selbst bemerkt. Er versucht immer wieder durch Tempowechsel für Auflockerungen zu sorgen und ihm gelingt es durch kleine originelle Sidesteps auch, daß man fast schon wieder versöhnt ist. Wenn man aber bedenkt, was möglich gewesen wäre, hätte sich Weingartner auf seine Kernkompetenz  (psychologische Nahaufnahmen + Inszenierung von Auflehnung/Aufbegehren) besonnen, dann hofft man, daß "Free Rainer" nur ein Ausrutscher war.

Der auf der Website verkündete Anspruch:

"[In "Free Rainer"] entwirft Regisseur Hans Weingartner die Utopie einer geistig befreiten Gesellschaft"

wird bedauerlicherweise meilenweit verfehlt. Deshalb: das nächste Mal bitte kein zweiter Versuch im (Pseudo-)Komödienfach, Herr Weingartner. Danke! 

 


Der Werbetrailer deutet an, was alles möglich gewesen wäre. Das Fernsehen als Volksverdummungsinstanz zu dechiffrieren, es an seinem wunden Punkt (dem goldenen Quotenkalb) zu packen und dann den Spieß umzudrehen. Sabotage im Dienste einer guten Sache. Leider ist die Umsetzung nicht gelungen, die Vorschau ist dennoch sehenswert:

 

 


Lesenswert:

Sehenswert: 

  1. Der Arzt Samuel Hahnemann gilt als Begründer der Homöopathie, die eben auf dem Grundsatz des "Similia similibus curantur" basiert. Also "Gleiches mit Gleichem" zu kurieren. []
  2. Uwe Mies von "Der Westen" unterstreicht zwar das aparte Aussehen, an den schauspielerischen Fähigkeiten findet er aber nichts auszusetzen… []

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