Vermessung der akademischen Blogosphäre » Wissenschaftliche Blogs und bloggende Wissenschaftler | Werkstattnotiz X

Sind Blogs anderes als bevorzugtes Betätigungsfeld für eitle Selbstdarsteller? Ist die Blogosphäre mehr als der Tummelplatz spätpubertärer Rotzlöffel, die sich wichtig machen und dann beleidigt schmollen, wenn ihnen seitens etablierter Medien der Irrelevanzvorwurf gemacht wird? Was sind Blogs? Und was zum Teufel hat Wissenschaft damit zu tun? 

Wenn man ganz nüchtern konstatiert, daß die Bloginfrastruktur es ermöglicht, auf einfache Art und Weise (fast) beliebige Inhalte online zu stellen, dann nähert man sich meiner Meinung nach einer möglichen Antwort auf die oben genannten Fragen schon gehörig an. Das Medium ist zunächst semantisch unterbestimmt, die Inhalte aber sind in gewissen Grenzen variabel. Wie sollte es auch anders sein? Die ambitioniertesten literarischen Experimente sind genauso auf Papier gedruckt wie die Dutzendware profaner Arztromane; und so sind die „101 Besten Gesundheitstipps“ genauso zwischen zwei Buchdeckeln zu finden wie Adornos „Minima Moralia“. Wieso sollten sich also anspruchsvolle Blogprojekte nicht auch neben Tokio-Hotel-Fan-Blogs behaupten können?

Worauf es mir ankommt: bisweilen wird angezweifelt, ob Blogs überhaupt geeignet sind, um wissenschaftliche Fragen zu thematisieren. Ist es – so die Vorbehalte – überhaupt sinnvoll, innerhalb der Blogosphäre ein Angebot mit beispielsweise sozialwissenschaftlichen Inhalten zu etablieren? Die Tatsache, daß solche Fragen immer noch umherschwirren, hängt vermutlich fast ausschließlich damit zusammen, daß die Blogosphäre hauptsächlich als mediale Fast-Food-Nische angesehen wird: tagesaktuell werden von schnell angelernten Hilfskräften kurze, leicht verdauliche Häppchen produziert. Am nächsten Tag schmeckt das Angebot schon leicht ranzig…

Es gibt wissenschaftliche Feinschmeckerblogs

Wer sich ein wenig in den Nischen der Blogosphäre auskennt, der weiß, daß es freilich Blogs gibt, die literarische, popkulturelle oder wissenschaftliche Feinschmeckerware anbieten. Das Problem: man muß diese Angebote erst einmal finden, oder mit anderen Worten: Sichtbarkeit.

Was fehlt ist also eine zentrale Anlaufstelle, die auf die einschlägigen wissenschaftlichen Blogs verweist.

Was also Not tut: ein Portal, das handverlesene fachspezifische Themenblogs versammelt. Gibt es in der Bücherwelt neben den Bestseller- und Ramschläden nicht auch die Universitätsbuchhandlung? Genau! Was fehlt ist also eine zentrale Anlaufstelle, die auf die einschlägigen wissenschaftlichen Blogs verweist.

Ich selbst habe schon vor längerer Zeit ein solches Projekt angedacht; vor einigen Tagen hatte Robert Basic die Frage nach bloggenden Professoren gestellt und daraufhin wurde das Thema eines „wissenschaftlichen Blogportals“ wieder aktuell. Ich hatte mich bereit erklärt hier ggf. etwas in die Wege zu leiten und zwischenzeitlich hat Markus ein kleines Wiki aufgesetzt, wo sich alle wissenschaftlichen Blogger eintragen können.

Eigentlich wollte ich eine mögliche Umsetzung ja beim Workshop in Bamberg mit Benedikt1 diskutieren, aber wir hatten dutzende andere Themen, so daß ich es am Ende vollkommen verpennt hatte. Wissenschaftliche Blogs sind aber als Thema auf der Tagesordnung und zählen ja am Rande auch zu meiner Vision einer „Wissenschaft 2.0“, die ich in Bamberg präsentiert hatte und die ich in den nächsten Tagen hier in der Wissenswerkstatt noch eingehender skizzieren will.

Da ich selbst jenseits profaner HTML- und PHP-Bastelkenntnisse nicht mit vertieften Programmierkünsten glänzen kann, könnte ich ein wissenschaftliches Blogportal selbst nur in Form eines angepaßten Meta-Blogs umsetzen. Meine wesentlichen Ansprüche würde das durchaus erfüllen, da ja aber ggf. andere auch ambitioniertere Designs bewerkstelligen können, will ich vorerst nur einige Gedanken zu dieser Frage formulieren.

Was sollte dieses wissenschaftliche Blogportal also mindestens leisten? Schnelle Übersicht und Zugriff auf aktuelle2 Blogs mit wissenschaftlicher Akzentsetzung, geordnet nach den akademischen Großdisziplinen.

Redaktionell betreut oder auf Wiki-Basis? Natürlich spricht manches dafür, das Prinzip des user-generated-content hier auch zur Anwendung zu bringen. Nichts leichter also als ein Wiki installiert, wo die User dann ihre Blogs selbst eintragen? Ich bin in dieser Hinsicht skeptisch: denn erstens vermisse ich gerade auf Wikiportalen einige Features, die Blogs auszeichnen, was v.a. mit der Übersichtlichkeit zusammenhängt. Ich habe schlicht keine Lust in einer Liste mit auch nur 30-40 Einträgen zu suchen, wo ein neues Blog seit meinem letzten Besuch eingefügt wurde oder ggf. herausgefallen ist. Ich könnte mir zudem vorstellen, daß die Anzahl akademischer Blogs im deutschsprachigen Raum so überschaubar ist, daß man die Eingabe redaktionell betreut vornehmen könnte. Dies hätte auch den Vorteil, daß eine gewisse Qualitätssicherung vorhanden wäre, anstatt auf die Selbstreinigungskräfte zu setzen…

Wie ich mir ein wissenschaftliches Blogportal vorstelle?

Wie oben erwähnt:

+1. Sammlung von Blogs mit wissenschaftlicher Ausrichtung,
+2. Neuzugänge sollten (ganz gemäß der Blogkonvention) prominent sichtbar sein,
+3. eine Groborientierung und Ordnung gemäß bekannter Disziplinen,3 die evtl. über Kategorien vorgenommen werden könnte,
+4. konkretere Einordnung bzw. Feingliederung über Tags/Schlagworte,
+5. Bewertungssystem als Option (spätestens hier kämen dann die User ins Spiel).

Viel mehr bräuchte man nicht, oder? Die Trennung zwischen akademischen Hierarchiestufen (Professoren, Mittelbau, Studenten) ist in meinen Augen nicht primär; dies könnte durch weitere Kategorien oder Tags gewährleistet werden, so daß man hier also selektieren könnte.

Das also meine Überlegungen und Präferenzen. Robert hatte ja schon neugierig nachgefragt, ob wir schon zu ersten Ergebnissen gekommen seien. Gleichzeitig hat Benedikt sich an einer vorläufigen „Typologie wissenschaftlicher Blogs“ versucht; seine Unterscheidung ist an für sich plausibel. Interessant finde ich die Feststellung, daß es auch dezidierte „Qualifizierungsblogs“4 gibt. Und die Blogs, die sich der (journalistischen) Wissenschaftskommunikation verschrieben haben, sind natürlich auch eine Gruppe für sich. Abgesehen davon würde ich selbst eine Klassizifierung anhand der folgenden drei Kriterien bzw. Dimensionen für sinnvoll erachten:

1. Zeitdauer: langfristig5 vs. projektbezogen6
2. Anzahl der Personen: Einzel-7 vs. Gruppenblog8
3. Inhalte: ausschließlich oder schwerpunktmäßig wissenschaftliche Themen9 vs. akademische „Hybrid“-Blogs10

Eine solche Etikettierung bzw. Klassifizierung könnte man innerhalb des Blogportals meines Erachtens ebenfalls über Tags bewerkstelligen. Wenn ich mir meine Präferenzen nochmals durchsehe, dann spräche wirklich wenig dagegen, das Blogportal tatsächlich auf der Basis eines (WordPress-)Blogsystems laufen zu lassen. Aber sicher gibt es auch Gegenargumente, welche? Wer hat weitere Wünsche, die verwirklicht werden sollten? Welche Features sind unabdingbar, welche zu vernachlässigen?

 

 

  1. Der derzeit fast im Tagesrhythmus mit Neuerungen in seiner Metaroll aufwartet. []
  2. Es gibt leider eine Vielzahl an wissenschaftlichen Blogs, die längst eingeschlafen sind und dennoch weiterhin als Karteileichen in bestimmten Listen geführt werden. []
  3. Es sollte fast schon die Unterscheidung in: Naturwissenschaften, Ingenieurswissenschaften, Geistes- und Sozialwissenschaften, Wirtschaftswissenschaften, PR/Medien/Marketing genügen. []
  4. Etwa für Diplom- oder Doktorarbeiten. []
  5. Kontinuierlich gepflegte Angebote. []
  6. Konferenz- oder Diplomarbeitenblogs []
  7. Privatprojekte von Wissenschaftlern. []
  8. thematisch fokussiert oder Blogs von Graduiertenkollegs oder Institutionen []
  9. Meine Paradebeispiele: „tiefes leben“ oder „strenge jacke!„ []
  10. Bestes Beispiel „Wissenswerkstatt.net“ – neben den soziologischen Einwürfen gibt es eben auch Musikkritiken etc. []

9 Gedanken zu „Vermessung der akademischen Blogosphäre » Wissenschaftliche Blogs und bloggende Wissenschaftler | Werkstattnotiz X“

  1. Du schreibst, was ich schon seit Ewigkeiten denke. Aber ich glaube nicht, dass es einfach wird so ein Projekt aus dem Boden zu stampfen. Folgende Aspekte werden es erschweren: Was ist ein Wissenschaftsblog? Wo machst du den Strich zu sagen, das ist kein wissenschaftliches Blog mehr, sondern ein persönliches Blog. Ist mein onezblog z.B. ein wissenschaftsblog? Ich weiß es nicht, aber die Grenzziehung wird ganz wichtig, sonst hast du in einem halben Jahr einfach ein Blogkatalog für Studenten und die Perlen, die sich wirklich mit Wissenschaft in ihrem Blog beschäftigen, gehen in der Masse der Studenten unter. Diese Kriterien müssten scharf sein und das wird ein Problem der Plattform, denn du wirst wohl vielen sagen müsse, dass ihr Blog keinen wissenschaftichen Kriterien genügt, wenn sie einmal in der Woche ein Adornozitat bringen, weißt was ich meine? In der Blogosphäre laufen genauso viele Hampelmänner rum, wie in der Uni. meinen sie würden wissenschaft betreiben, liefern aber Texte ab, die selbst doppelt so ausführlich nicht mal für die Grundlage eines Essays reichen würden. Ist ja nicht schlimm, aber du musst dir eben überlegen, ob diese Plattform Bloggen und Uni oder Bloggen und Wissenschaft zusammenbringen soll. Ansonsten wirst du auch all das haben, was StudiVZ hat, viele Studenten, mit allem was dazu gehört. Wenn du dich aber strikt auf wissenschaft beschränkst, musst du sagen, woran du die fest machst.

    Ich würde ja sagen ich helfe mit, weil ich das super finde, baue aber gerade an einem großen Projekt und habe kaum Zeit, würde mich aber gerne später einbringen und helfen, habe nur keine Zeit den grundbaustein mit zu legen.

    Antworten
  2. Ich vermute, der Aufwand wird insbesondere in der Redaktion / Aufnahme neuer Blogs liegen und ggf. auch der Suche danach. Wie mein Vorschreiber schon anmerkte, sind zwei Fragen wichtig: 1.) Das Verhältnis wissenschaftlicher zu privaten/sonstigen Einträgen und 2.) die „Qualität“ der Beiträge. Bei dir bspw. findet man ziemlich konsequent schöne, lange Texte. Bei mir wechselt das, je nachdem ob ich nur kurz was mitzuteilen habe oder einen Text / Vortrag „verarbeite“.

    Aber das sind vorbedingungen, die evtl. für eine Art peer-review wichtig wären. Ist diese Hürde geschafft, scheinen mir deine drei Kriterien zur Katalogisierung plausibel.

    Antworten
  3. @Soeren:

    Danke für dein zustimmendes Feedback und die Anmerkungen; und ja, wie Du ja aus meinem Text rauslesen kannst: ich bin mir der Schwierigkeit der Grenzziehung bewußt und präferiere deshalb (oder dennoch?) ein quasi-redaktionelles Portal. Mit allen Vor-und Nachteilen.

    Ich habe einfach den Eindruck habe, daß ohne Moderation sich am Ende zu viele Blogs in der Liste befänden, die eben kaum wissenschaftlichen Ansprüchen genügen. Und unter dutzenden Blogs von Studenten, die hauptsächlich über das letzte Partywochenende bloggen und in homöopathischen Dosen „wissenschaftliche“ Inhalte posten, sollen wirklich dezidiert wissenschaftliche Blogs nicht untergehen.

    Das ist natürlich auf die Schnelle leicht gesagt und es ist klar, daß hier immer subjektive Kriterien reinspielen. Aber ich denke, daß man es in 2-3 Punkten hinreichend klar beschreiben kann, was ein Blog mit wissenschaftlicher Akzentsetzung ist und was nicht. Und ein Diskussions- bzw. Vorschlagsforum, wo darüber debattiert werden könnte, welche Blogs zu berücksichtigen sind und welche nicht, wäre ja ohnehin obligatorisch.

    Lange Rede, kurzer Sinn: ich halte so ein Portal nur für sinnvoll, wenn es sich tatsächlich auf Blogs mit wissenschaftlichem Schwerpunkt beschränkt. Da ist dann dennoch genug Platz für Professorenblogs, Vorlesungs- und Seminarblogs oder „Hybridblogs“ wie dieser hier, der ab und an auch außerwissenschaftlichen Themen hat, aber eben den Fokus doch auf Wissenschaft.

    Ich werde mal noch einige Tage warten und sammeln und auch beobachten, was an anderer Stelle die potentiellen Mitstreiter wissen…

    Antworten
  4. @Daniel:

    Bezüglich des ersten Punktes (also des Quotienten zwischen wissenschaftlichen/privaten Inhalten) stimme ich 100% mit Euch überein. Das muß geklärt werden. Ich denke, daß man da aber (v.a. wenn man bei strittigen Fällen das intern zu zweit, zu dritt kurz begutachtet) durchaus eine klare Linie finden könnte. Klar ist, daß die Anzahl der Blogpostings, die sich mit wissenschaftlichen Themen befassen, in den von mir als Hybridblogs bezeichneten Formaten nicht immer konstant bleibt. Aber die grundsätzliche Ausrichtung ist meistens zu erkennen…

    Zu Punkt 2: Die „Qualität“ der Beiträge ist freilich schwieriger zu bewerten. U.a. deshalb halte ich dieses Kriterium nicht für relevant. Wenn zu erkennen ist, daß es um Wissenschaft geht, dann gehört das Blog in die Liste. Und „Wissenschaft“ selbst läßt sich ja auch definieren: ein „Mecker- oder Motzblog“ in dem die Dozenten einer Uni aufs Korn genommen werden, zählt nicht dazu. Da ist zwar universitäre Wissenschaft der Gegenstand, aber nicht selbst inhaltlich gedeckt. Genauso fallen „Pseudo-„Wissenschaften raus…

    Aber die Länge der Blogbeiträge? Nein, nein… das ist in meinen Augen wirklich nebensächlich. Wenn spannende Gedanken ab und an in zwei Zeilen formuliert werden, so ist das durchaus legitim. Ist dann eben sowas wie ne Wortmeldung im Seminar…

    Antworten
  5. Es kommt immer darauf an, wer wie bloggt. In der Presse werden so oft immer nur die gleichen Beiträge aufgenommen, ein wenig überarbeitet und veröffentlicht, ohne dass sonderlich hinterfragt wird. Da meist professionelle Texter am Werk sind, sieht es auch sehr seriös aus.

    Blogger sind anders. Auch hier wird natürlich viel übernommen, aber das hier keine Redaktionen, sondern oft interessierte und fachlich auch versierte Personen hinter stehen, die ein Thema auch mehr aus der „so habe ich es verstanden“- und „ach übrigens“-Perspektive darstellen, lese ich so etwas lieber, als die weichgespülten Beiträge, die sich sonst oft als erste Wahl darbieten.

    Hängt zwar vom Blogger ab, aber die Themen, die ich mir so antue, kenne ich so gut, dass ich einen Schwätzer von einem Kenner unterscheiden kann.

    Antworten
  6. @Klaus:

    Naja, ihre Sammlung ist ja strenggenommen kein Blog. Ihr Engagement bzgl. der Kritik von pseudowissenschaftlichen Umtrieben ist natürlich aller Ehren wert. Vielleicht überlegen Sie es sich ja, einen richtigen Blog zu starten?

    Weitere Wissenschaftsblogs finden Sie im Wissenschafts-Café

    Antworten

Schreibe einen Kommentar