Anleitung zum Unbürgerlichsein – F. Gräfin zu Reventlows Roman „Von Paul zu Pedro“ als Spiel mit Genres und Geschlecht

Sie interessieren sich für die literarische Szene der Jahrhundertwende? Ihnen ist die Münchner Bohème und vielleicht sogar eine ihrer schillerndsten Gestalten – nämlich Fanny Gräfin zu Reventlow – ein Begriff?

Die Literaturwissenschaftlerin Kaya Presser hat sich des Romans ‚Von Paul zu Pedro‘ angenommen und weist in ihrer kenntnisreichen Arbeit auf, daß die üblichen Zuschreibungen an die Adresse Reventlows zumeist nur einseitige Vorurteile reproduzieren. In der vorliegenden Arbeit, die ab sofort in der Wissenswerkstatt abrufbar ist, skizziert Kaya Presser die vielfältigen Bezüge, die Anknüpfungspunkte an literarische Traditionsstränge und die Auseinandersetzung mit zeitgenössischen Geschlechtsstereotypen, die Reventlows oftmals unterschätzten Text auszeichnen.

Marc Scheloske

  • Presser, Kaya (2007): Anleitung zum Unbürgerlichsein – F. Gräfin zu Reventlows Roman Von Paul zu Pedro als Spiel mit Genres und Geschlecht. Onlineveröffentlichung der Wissenswerkstatt. [Download als PDF]

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Fanny oder Franziska Gräfin zu Reventlow wurde 1871 in Husum geboren. 1893 kam sie probeweise als Malstudentin, 1895 endgültig nach München und wurde Teil der Schwabinger Bohème, sie kannte alle, die damals in München Rang und Namen hatten. Sie wollte Malerin werden, schlug sich mit unzähligen Übersetzungen aus dem Französischen (Marcel Prévost, Anatole France, Guy de Maupassant u.a.), dem Verkauf von Witzen an den Simplicissimus und sehr wenig Geld durch und führte Tagebuch. 1897 brachte sie einen Sohn zur Welt, dessen Vater sie nie bekannt gab und lebte fortan als alleinerziehende Mutter, damals ein Skandal.
Sie schrieb Kurzgeschichten und Essays und auch ihr erster Roman, Ellen Olestjerne (von ihr selbst später als ‚Schmarren‘ bezeichnet) entstand bereits 1903. Erst 1910 verließ Fanny zu Reventlow München wieder und zog nach Ascona, um dort eine Scheinehe mit dem russischen Baron von Rechenberg-Linten einzugehen. Das erhoffte Erbe blieb aus und Reventlow schrieb eine Reihe von Romanen, in Der Geldkomplex (1916) verarbeitete sie ihre Scheinehe und parodiert die Psychoanalyse Freuds, in Herrn Dames Aufzeichnungen (1913) die Erlebnisse in der Münchner Bohème. 1912 erschien der kurze Roman Von Paul zu Pedro – Amouresken. So weit zu den dürren Daten.

Von Paul zu Pedro behandelt in 19 Brie­fen einer Frau an einen ‚Freund‘ Themen wie Liebe, Erotik, Liebhaber, Ehe und Alter. Der Roman lässt sich grob in einen theoretisch-philosophischen und einen praktisch-handelnden Teil untergliedern. In den ersten neun Kapiteln befindet sich die namenlose Protagonistin in einer nicht näher beschriebenen ‚Regenstadt‘, berichtet über vergangene Erlebnisse, erzählt Anekdoten und skizziert verschiedene Überlegungen. Darauf folgt das zentrale zehnte Kapitel, in dem die Erzählerin zwar schon die ‚Regenstadt‘ verlässt, zu einer Reise nach Italien aufbricht und in Venedig landet, sie aber noch immer im Rückblick die ‚Geschichte vom roten Faden‘ – eine immer wieder ergebnislos bleibende Beziehung zu einem Mann – erzählt.
Die Briefe 11 bis 19 beschreiben die aktuellen Erlebnisse der Ich-Erzählerin auf ihrer Reise durch Italien. Die ‚Geschichte vom roten Faden‘ endet wiederum ergebnislos, aber dieser Mann macht sie mit einem Sizilianer bekannt, durch den sie sich ‚rangieren‘ soll. Sie reist dabei nach Rom und schließlich nach Neapel. In Rom trifft sie ihren alten Bekannten Sir John und dessen Begleiter, den jungen Dichter Bobby. Der Sizilianer oder ‚Rasta‘ muss dann – weil er finanziell von seinem Onkel abhängig ist – doch seine sizilianische Cousine heiraten, man trennt sich und die Schreiberin bricht (wahrscheinlich) mit Bobby auf, um auf eine griechische Insel zu gehen.

Der Inhalt ist schnell erzählt. Interessanter und komplexer sind allerdings die literarisch-intertextuellen Verfahren, die Fanny zu Reventlow anwendet, um in ihrem Roman mit literarischen Genres und Geschlecht zu spielen. Denn sie macht eine – um die Jahrhundertwende sehr moderne – Hetärenfigur zur Protagonistin des kurzen Romans, die antiken Hetärengespräche und Hetärenbriefe aufgreifend. Sie schreibt damit moderne Hetärengespräche mit einer Protagonistin, die ein Leben quer zu den klassischen Geschlechtergrenzen führt. Dabei greift sie Positionen ihrer Essays (Das Männerphantom der Frau und Viragines oder Hetären?) ebenso auf wie die August Bebels in Die Frau und der Sozialismus. Gleichzeitig handelt es sich formal gesehen um einen Briefroman, in der Tradition des empfindsamen Frauenbriefromans des 18. Jahrhunderts stehend.

Im Ergebnis entsteht eine Parodie des bürgerlich-weiblich geprägten Briefromans und eine Travestie des bürgerlich-männlich geprägten Entwicklungsromans, auch hier wieder ein Spiel mit Geschlechtergrenzen.

In Kombination mit der anti-bürgerlichen, oberflächlichen Hetärenfigur, die allen Werten des Briefromans zuwider läuft, ergibt dies jedoch eine Parodie auf den Briefroman. Weiß man ferner darum, dass Reventlow selbst als ‚Hetäre‘ bezeichnet wurde, erkennt man, dass sie das Genre des Briefromans nutzt, um mit ihrer eigenen Biographie zu spielen und sich selbst zu inszenieren. Desweiteren unterlegt sie thematisch Elemente aus dem Bildungs- bzw. Entwicklungsroman, etwa die klassische Bildungsreise der Protagonistin von Venedig nach Rom und Neapel, und persifliert diesen mithilfe ihrer anti-bürgerlichen, bildungs- und erkenntnisresistenten Hetärenfigur. Es entsteht also insgesamt eine Parodie des bürgerlich-weiblich geprägten Briefromans und eine Travestie des bürgerlich-männlich geprägten Entwicklungsromans, auch hier wieder ein Spiel mit Geschlechtergrenzen. Obwohl Reventlow sich nicht auf eine politische Position festlegen lässt, bleibt in diesem Spiel mit Genres und Geschlecht der Protest gegen alles Bürgerliche der rote Faden. Benannt wird das Ganze schlussendlich als ‚Amouresken‘, an das Spielerische, Zufällige, Chaotische und Abschweifende der ‚Arabesken‘ erinnernd, wobei die Nebensächlichkeiten zur Hauptsache werden.
Oder mit Reventlows eigenen (metapoetisch lesbaren) Worten gesagt: „ich werfe lieber alles durcheinander in eine Schublade und hole gelegentlich heraus, was mir – oder anderen Spaß macht“.
Eine eher spielerisch-persönliche Annäherung an Fanny zu Reventlow mit Überlegungen zur Namensfrage und Abbildungen der Titelbilder einiger Originalausgaben, sowie weitere Literaturhinweise gibt es hier zu lesen.

Kaya Presser

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